Titel Logo
Amtskurier des Amtes Treptower Tollensewinkel
Ausgabe 13/2023
Stadtbibliothek
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

"Eine Stadt - viele Geschichten"

In Vorbereitung auf das 775-jährige Jubiläum der Stadt Altentreptow rief die Stadtbibliothek die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, ihre ganz persönliche Geschichte, die einen Bezug zu Altentreptow hat, aufzuschreiben und einzureichen. Am 23.06.2022, pünktlich zur 777-Jahr-Feier, wurden diese Geschichten dann präsentiert. Im Amtskurier veröffentlichen wir in den folgenden Ausgaben einige der Beiträge.

Januar 1996

Die freien Tage zum Jahreswechsel sind vorüber. Friedvoll dämmert der Tag der Nacht entgegen. Unter der Straßenlaterne glitzert der Schnee, der nur dünn gefallen ist und trotzdem Freude für die Kinder brachte.

Wie schön wir es doch auf der Nordkreuzung haben!

Morgen beginnt der Alltag wieder. Die Mappe ist gepackt. Meine Kleidung für den nächsten Tag lege ich in die Wohnstube. Dank des Elektroofens ist es dort morgens schon kuschlig warm. Das Abendprogramm im Fernsehen überschauen wir heute nur halbherzig und begeben uns beizeiten zur Nachtruhe.

An künftige Aufgaben denkend, schlafe ich die letzte Feriennacht immer sehr unruhig. Doch diesmal finde ich bald erholsame Ruhe, bis sich am Morgen ein seltsamer Traum bleiern auf meine Brust legt. So stehe ich in Greifswald auf dem Marktplatz und gegenüber auf der Nordseite brennt die gesamte Häuserfront. Schwarzer Rauch und goldrote Flammen steigen aus den Fenstern zum Himmel empor. Komischer Weise ist es um mich herum belastend still - und schon wache ich auf.

Als ich die Augen öffne, bin ich irritiert, weil flackernde Lichtscheine im Dunkeln des Raumes an den Wänden tanzen. Sicher durch den Traum noch beeindruckt, stehe ich auf und eile ans Fenster. „Jetzt ist es wirklich passiert!“ sage ich laut, sofort das Unglück begreifend. Das Haus visävis steht in Flammen.

Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. „Erst Hilfe holen? - Erst etwas anziehen? - Und wo ist meine Wäsche?" Ich laufe durch alle Räume. Ich finde sie nicht. Zwischendurch geht mein Blick wieder aus dem Fenster. „Du musst was tun! Was? Ja, das Telefon!"

Ich wähle 112. Eine männliche Stimme meldet sich. So, wie ich es meinen Schülern gelehrt habe, nenne ich zunächst meinen Namen, dann was, wo geschehen ist und dass in dem Haus eine Familie mit sechs Kindern wohnt. Der Herr bedankt sich und teilt mir mit, dass dieser Notruf schon eingegangen wäre.

Gott sei Dank, also haben auch andere das Feuer bemerkt.

Permanent geht mein Blick aus dem Fenster. „Da bewegt sich etwas!" Ein Nachbar hat eins der Kinder auf dem Arm. Ein anderes folgt ihm. Er bringt sie in seine Wohnung.

Auch mein Mann ist in großer Aufregung. Jetzt, notdürftig bekleidet, laufen wir gemeinsam auf die Straße. Es heißt, die Kinder sind unbeschadet gerettet, aber sie brauchen etwas zum Anziehen. Ich werde mich darum kümmern, aber ...

„Wo bleibt die Feuerwehr? Müsste sie nicht längst hier sein?"

Das Feuer greift immer weiter um sich. Kann es sich auch auf die umliegenden Häuser oder gar auf unser Grundstück ausdehnen? „Wann kommt die Feuerwehr?" mein Hirn gibt keine Ruhe.

Während ich nach Kinderkleidung suche, wird mein Mann Zeuge, wie Eva (Name geändert), die Mutter der Kinder, aus einer Höhe von etwa vier Metern aus dem Fenster in die Garageneinfahrt springt. Dass sie noch im Haus war, hat keiner vermutet.

Unbekleidet und vom Brand schwer gekennzeichnet, läuft sie aus der Gefahrenzone. Helfende Hände sind sofort zur Stelle.

Endlich ist das Martinshorn zu hören und in den dunklen Morgen mischen sich die Blautöne der Rundumleuchten von Wehr- und Rettungswagen. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass, was ich als eine Ewigkeit empfand, hat nur wenige Minuten gedauert. „Jetzt ist professionelle Hilfe da. Nun wird alles gut!"

„Ist alles gut geworden?"

Uns gegenüber steht ein Haus, dem man nicht ansieht, dass es ein zweitesmal aufgebaut wurde. Eine Versicherungssumme sowie praktische Hilfe und Geldspenden vieler Mitbürger unserer Stadt trugen zur Bewältigung der materiellen Not bei.

Und sonst? Eva erlag einige Tage später ihren schlimmen Verletzungen. Ein Mann verlor seine Frau, sechs Kinder ihre Mutter, wir einen liebenswerten Menschen. Mich bewegt das noch heute.

Januar 2020