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Barther Boddenblick
Ausgabe 10/2023
Nichtamtlicher Teil
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Exponat des Monats im Vineta-Museum

Postkarte „Wadai“ auf der Elbe

Ltd. lng. Ernst Frenz aus Barth, gestorben 03.05.1945

Es war ein sonniger, heißer Morgen auf hoher See im Jahre 1926 am 23. Mai. Mit jedem Tag wurden diese Morgen noch heißer und noch sonniger, ein Zeichen dafür, dass sich der Dampfer „Urundi“ den Tropen näherte. Das Ziel war die Walfischbucht, Südafrika. Der Passagierdampfer lief schon sechs Jahre zuvor, im Juli 1920, bei der Hamburger Werft Blohm & Voss vom Stapel und hat diese Reise schon einige Male hinter sich. Bald wird wieder der Äquator überquert sein und für den jungen Seemann Ernst Frenz das erste Mal. Seeleute, die zum ersten Mal bei einer Seefahrt den Äquator von Norden nach Süden überquerten, mussten sich der Äquatortaufe unterziehen. Ein alter Initiationsritus aus der Zeit der Entdeckerreisen. Schon am Tag zuvor wurden einige Vorbereitungen getroffen: Es wurden Utensilien zusammengesucht, ein provisorisch zusammengebautes Taufbecken aufgestellt und das Schiff mit Girlanden geschmückt.

Als das Schiff nun den Äquator erreichte, versammelte sich die Besatzung am Bug um die jungen Ungetauften durch die Zeremonie zu schicken. Einer der erfahrenen Seemänner durfte sich als Neptun verkleiden, der lange Bart wurde durch ein Fischernetz und Kabelgarn simuliert und eine Krone aus Pappe kleidete sein Haupt. Offiziere und Mannschaft gruppierten sich um das Schauspiel zu beobachten oder aktiv Beihilfe zu leisten. Auch Gäste standen dabei, denn die „Urundi“ war schließlich ein Passagierdampfer. Mit donnernder Stimme sprach Neptun und gab jedem Täufling einen neuen Namen. Ernst Frenz bekam den Namen Kabelgarn. Nun musste er noch zusammen mit den anderen einige mehr oder weniger demütigende Etappen durchlaufen, z.B. das Küssen von Neptuns Füßen nachdem diese dick mit Senf oder Lebertran beschmiert wurden. Die Täuflinge selbst wurden mit Maschinenöl oder Rostschutzfarbe übergossen, was eben gerade zur Verfügung stand. Später erfolgte dann die Taufe im provisorischen Becken, gefüllt mit „geheiligtem Linienwasser“. Das ging etwas rabiater zu als bei einer katholischen Taufe, aber immerhin wurden die jungen Anwärter dadurch an die raue See gewöhnt. Schließlich stand am Ende aller Prozeduren und Riten immerhin das Licht am Ende des Tunnels: eine gehörige Konsumierung alkoholischer Getränke und das sogar mit Erlaubnis des „Alten“.

So oder so ähnlich hat es sich abgespielt und der Ingenieurs-Anwärter Frenz erhielt für seine tapfere Teilnahme oben abgebildete Urkunde mit folgendem Text: „Wir, Neptun, Beherrscher aller Meere, Seen, Flüsse, Bäche, Sümpfe und Moräste geruhen hiermit, die allerhöchst unserer Gegenwart an Bord des Dampfers Urundi stattgefundene Aequatortaufe dem Ing. Asp. E. Frenz allergnädigst zu bestätigen. Nachdem derselbe vom Schmutze der Nördlichen Halbkugel gereinigt wurde, erhielt derselbe den Namen: Kabelgarn. Gegeben im Jahre des Heils 1926 am 23. Tage des 5. Monats. – Neptun J.R.“. Rückseitig unterschrieben die „Taufzeugen“: der Dritte Offizier Galts, die Ingenieure Klaus und Knickmeier sowie ein weiterer Ingenieur-Aspirant.

Gedruckt wurden diese Urkunden in der Kunstanstalt Charles Fuchs, welche vom gleichnamigen Fotografen und Lithografen 1832 in Hamburg gegründet wurde. Offensichtlich eigens für die Deutsche Ost-Afrika-Linie (DOAL) in Auftrag gegeben, da auf der Urkunde deren Hausflagge mit schwarz-weiss-roter Raute auf gelbem Grund abgebildet ist. Der erwähnte Dampfer Urundi wurde hauptsächlich auf den Routen der DOAL bzw. Woermann Linie AG eingesetzt, insbesondere entlang der afrikanischen Westküste. Die Reederei hatte eine starke Präsenz in der Region und transportierte sowohl Passagiere als auch Frachtgüter wie Baumwolle, Palmöl und Kautschuk. Nachdem der Dampfer im Zweiten Weltkrieg designiert als Transportschiff für Verwundete diente, wurde er 1949 in Antwerpen verschrottet.

Der Schiffsingenieur Ernst Frenz war am 17.09.1904 in Barth geboren. Sein Vater Johann Frenz war Arbeiter und wohnte in der Turmstraße 7. Er war einige Jahre Kutscher für die Firma des Kaufmanns Max Howitz. Sein Sohn Ernst strebte eine Karriere auf hoher See an, denn schon zwei Jahre nach seiner „Äquatortaufe“ war er auf dem Dampfer „Wadai“, ebenfalls ein Schiff der Woermann-Linie, bereits erster technischer Offizier, auch Chief genannt. Eine Postkarte an seine Schwester zeugt von seiner langen Abwesenheit von der Heimat. Hier schrieb er: „Liebe Merel, wiederum muss ich dir aus weiter Ferne meine Glückwünsche darbringen. Möge das neue Jahr dir alle deine Wünsche erfüllen, dir fernerhin Gesundheit und Wohlergehen erhalten und dir in deinen Berufe Glück und Zufriedenheit verleihen. Dein Bruder Ernst/ Monrovia, Süd-Westafrika, 1928.“

In einem Tatsachenbericht über den Untergang der Cap Arcona wird der Name Ernst Frenz ein letztes Mal erwähnt. Diese Tragödie ereignete sich kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges am 03. Mai 1945. Der damals Überlebende Gerhard Hynitzsch berichtete in der Ausgabe „Deutsches Schiffahrtsarchiv 22, 1999“ ausführlich über die Ereignisse. Die Cap Arcona diente in den Kriegsjahren als Wohnschiff der Kriegsmarine und musste unter Zeitdruck wieder seetauglich gemacht werden. Per Telegramm kam der Befehl, dass ca. 4600 KZ-Häftlinge auf die Arcona zu übernehmen seien. Nach seemännischer Auffassung der Crew war es unmöglich, diese enorme Anzahl an Bord zu nehmen. Doch am 26. April erschien ein SS-Kommando und drohte, den Kapitän sofort zu erschießen, wenn er sich weiterhin widersetzte. Kapitän Heinrich Bertram hat in seinem Bericht 1947 zu Protokoll gegeben: „Es wurde mir nun klar, daß auch mein Tod nicht die Einschiffung der Häftlinge würde verhindern können, und so erklärte ich dem SS-0ffizier, daß ich von nun an die Verantwortung für mein Schiff grundsätzlich ablehnen müßte.“

Am 3. Mai begannen britische Jagdbomber vom Typ „Typhoon“ ihren letzten Großangriff über der Ostsee und das Schiff wurde mehrfach heftig erschüttert. Die Cap Arcona wurde von 64 Raketen getroffen. Sie trafen den Maschinenraum, den Schiffskörper unter Wasser und schlugen in die vielen Decks ein, wodurch das Schiff in wenigen Minuten in ein einziges Rauch- und Flammenmeer gehüllt war. Die Katastrophe war so blitzartig, dass keine Rettungsmaßnahmen mehr ergriffen werden konnten.

Der Überlebende 2. Offizier Hynitzsch berichtet noch am Ende über den Barther Ingenieur: „Besonders gedenken möchte ich des Ltd. lng. Ernst Frenz, eines Mannes, den ich an Bord sehr schätzen gelernt hatte und der im Maschinenraum ebenfalls einen sinnlosen Tod fand. Im letzten Brief an seine Mutter äußerte er den Wunsch: „(...) möge Gott es geben, daß wir uns alle gesund wiedersehen (...)“. Ein Wunsch, der leider nicht in Erfüllung ging.“

Christian Schumacher
Vineta-Museum der Stadt Barth