Bei Recherchen im Barther Stadtarchiv zum Bereitschaftslager Barth-Stein wäre der Empfangsschein bzw. Lieferschein aus dem Jahr 1942 beinahe übersehen worden. Doch bei dem Empfänger erscheint auch das „Gemeinschaftslager Barth-Holz“, was aufmerken lässt. Denn zu diesem ehemaligen Lager sind Publikationen äußerst spärlich gesät.
Worum ging es nun hier bei dem Schreiben? Die „Verwaltung Siedlung Barth-Stein & Gemeinschaftslager Barth-Holz“ hatte am 4. März 1942 bei einem Kräutergarten einen größeren Posten Gewürze und Kräuter bestellt und drei Wochen später auch erhalten. Die „Siedlung Barth-Stein“ war in Wahrheit ein Bereitschaftslager, in dem dienstverpflichtete deutsche Mitarbeiter der PIW in Massenunterkünften kasernenähnliche Quartiere hatten. Bei dem „Gemeinschaftslager Barth-Holz“ handelte es sich um jenes Lager, in welchem Zwangsarbeiter aus Osteuropa sowie Kriegsgefangene, die ebenfalls in dem Rüstungsbetrieb PIW zur Arbeit gezwungen worden waren. Auf den ersten Blick wirkt das Schriftstück dennoch wie eine ganz normale, harmlose Lieferbestätigung, und scheint eigentlich nicht des Erwähnens wert zu sein. Wenn, ja wenn die Kräuter nicht aus einem Unternehmen gekommen wären, das unter der Bezeichnung „Kräutergarten“ von der SS im KZ Dachau betrieben wurde.
Dachau in der NS-Zeit? War da nicht was mit Konzentrationslager, brutaler Ausbeutung und staatlich organisiertem Massenmord an Juden und anderen Menschen? Damit erscheint der Lieferschein aus Dachau in einem anderen Licht. Er zeigt, wie weit verzweigt das SS-Wirtschaftsnetz war. Selbst harmlose Produkte wie Kräuter wurden über KZ-Strukturen produziert und verteilt. Die SS inszenierte derartige Projekte wie den Kräutergarten als volksmedizinische Forschung.
Barth-Stein und Barth-Holz waren zwar keine Konzentrationslager, aber der Empfangschein zeigt, dass selbst diese Lager in das weitverzweigte Wirtschaftsnetz der SS eingebunden waren. Die Lieferung von Kräutern aus dem „Kräutergarten“ ist ein Beispiel für die perfide Normalisierung von KZ-Produkten im Alltag der NS-Verwaltung.
Bei dem unverfänglichen Absender Kräutergarten denkt man zunächst an gesunde Öko-Ernährung vom Wochenmarkt für die dienstverpflichteten deutschen Insassen des Bereitschaftslagers Barth-Stein sowie an die Ostarbeiter, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und Militärinternierten im benachbarten Lager Barth-Holz. Steckte da etwa nationalsozialistischer Humanismus dahinter? Dem dürfte wohl nicht so gewesen sein. In Barth-Holz wurden die Kräuter mit Sicherheit nicht dafür verwendet, die Speisen der Zwangsarbeiter und Gefangenen geschmacklich zu verfeinern und bekömmlicher zu machen. Sie waren wohl eher für die Mitarbeiter in der Verwaltung und für das Sicherheitspersonal bestimmt.
Die Anlage in Dachau wurde am 23. Januar 1939 gegründet. Gründer war der SS-Führer Oswald Pohl, Leiter war der SS-Hauptsturmführer Emil Vogt.
„Emil Vogt war sechs Jahre lang Werksleiter der Deutschen Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung (DVA) in Dachau, die verharmlosend als `Kräutergarten´ und von den Häftlingen des nahegelegenen Konzentrationslagers als `Plantage´ bezeichnet wurde. Unter den Häftlingen, die in der Plantage arbeiten mussten, waren viele Geistliche.“ (1)
Die Häftlinge des Konzentrationslagers wurden zu teilweise härtester körperlicher Arbeit gezwungen. Etwa 800 dieser bedauernswerten Menschen kamen hierbei zu Tode.
„Zu den Aufgaben der Anstalt gehörten der Anbau und die Erforschung von Gewürz- und Heilkräutern, die Versorgung deutscher und ausländischer Märkte mit `deutschen Drogen´, die Herstellung und Mischung neuer Drogen, die Unterhaltung von Laboren, der Grundstückserwerb sowie der Vertrieb der erstellten Produkte.“ (2)
Diese Produkte konnten auch von den Bewohnern Dachaus und der Nachbargemeinden in einer Verkaufsstelle erworben werden.