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Barther Boddenblick
Ausgabe 12/2023
Nichtamtlicher Teil
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Exponat des Monats im Vineta-Museum

Diesen Monat präsentieren wir ein Stück der musikalischen Geschichte unserer Stadt. Es handelt sich um die Vereinsfahne des Barther Männer-Gesangvereins, die damals anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums rückseitig erweitert wurde. Die in gold gestickten Zahlen zeigen 1878 als das Gründungsjahr. Im Zentrum der Fahne ist das altbekannte Stadtwappen, welches von zwei zusammengebundenen Eichenzweigen unten halb umkreisend verziert wurde. Das alles auf dunkelblauem Samt gestickt an dessen Seiten goldene Fransen entlanglaufen. Das rechte Bild zeigt die eigentliche Vereinsfahne und ist deutlich älter als die Jubiläums-Seite. Sie besteht aus heller Seide mit der gestickten Aufschrift „Treu unser Herz, frei unser Wort / deutsch unser Sang, Gott unser Hort“. Ein oft verwendeter Sängerspruch aus dem 19. Jahrhundert. In der Mitte sehen wir eine goldene Lyra (auch Leier) mit Notenblättern im Hintergrund und zwei Lorbeerzweigen darunter. Dieses Saiteninstrument kann zu den ältesten auf Bildwerken dargestellten Musikinstrumenten gezählt werden und ist auf vielen Gesangvereins-Fahnen zu finden. Attribute wie diese sollen u.a. Apollon, den antiken Gott der Musik, oder auch Orpheus symbolisieren. Die heilige Cäcilia, Schutzpatronin der Kirchenmusik, war ebenfalls ein gerne verwendetes Motiv. Die Buchstaben „DSB“ (Das S ist wie ein Violinschlüssel geformt) oben und unten verweisen auf die Zugehörigkeit zum Deutschen Sängerbund. Dieser wurde 1862 in Coburg gegründet und war der weltweit größte Laienchorverband.

Das Vereinswesen blühte im Zuge der Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf und war neben dem eigentlichen Zweck auch ein Teil der Freizeitgestaltung. So auch im Rahmen der Kultur die Männer-Gesangvereine, die in einer regelrechten Gründungswelle zahlreich hervorgingen. Die Begeisterung für die Romantik und den unbegleiteten Liedvortrag

war der Impuls. Wie die meisten Gesangvereine hatte es sich auch der Barther Männer-Gesangverein zur Aufgabe gemacht, Heimat- und Volkslieder zu pflegen und zu erhalten. Der Verein hat Frühlings- und Herbstkonzerte sowie Weihnachtsabende veranstaltet. Meistens im Saal der „Burg“ mit anschließenden Ball und das Städtische Orchester von Barth sorgte für die instrumentale Begleitung. Für die Feier des 90-jährigen Bestehens des Barther Frauenvereins am 16.Februar 1907 hat sich der Gesangverein ebenfalls im Burgrestaurant eingefunden. Der Verein nahm an den Kreis-Sängerfesten teil, die u.a. 1920 in Barth ausgerichtet wurden. Eines der musikalischen Höhepunkte war die Aufführung von „Der Freischütz“, die hochgelobt und mit Begeisterung im Barther Tageblatt vom 27. März 1933 beschrieben wurde. Natürlich haben auch hier weibliche Gesangvereins-Mitglieder mitgewirkt. Im Laufe der Jahre sind immer mehr Frauen in Männer-Gesangvereine eingetreten. Zuerst zwar nur als passive Mitglieder, doch später fingen auch sie an zu singen. Noch im Verlauf des 19. Jahrhunderts organisierten sich viele Männerchöre zu gemischten Chören um. An den XII. Deutschen Sängerbundfest in Breslau 1937 war auch der Barther Verein vertreten und hatte ihre oben beschriebene Fahne dabei.

Ursprünglich entstand der Barther Gesangverein aus dem 1873 gegründeten Kriegerverein. Hier trafen sich die Männer, die im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gedient haben. „Mitglied konnte jeder werden, der des Königs Rock in Ehren getragen hatte“ heißt es in der Barther Stadtchronik. Der erste Vorsitzende des Vereins war ein Major von Arnim. „Von 1882 - 1913 führte der Geheime Sanitätsrat Dr. Zaeske den Vorsitz und leitete den Verein mit großem Interesse und vielem Geschick, so daß der Verein zu hoher Blüte gelangte.“ Unter anderem stiftete der Kriegerverein die fünfteilige Gedenktafel mit 286 Namen von Gefallenen des 1. Weltkrieges, die sich heute noch in der Marienkirche befinden. Zahlreich waren die Mitglieder und wenn jemand von ihnen verstarb, wurde er in militärischer Weise mit verhüllter Fahne und Musik zu Grabe getragen. So gründete sich bald der Männer-Gesangverein im Jahre 1878 unter der Leitung des Lehrers Karl Dieck. Er selbst wie auch seine Kollegen Lehrer Witt und Rektor Kurth haben an dem Krieg in Frankreich teilgenommen.

Karl Heinrich Christoph Dieck, am 04.11.1843 in Damgarten geboren, war seit 1864 Lehrer an der Freischule, später an der Barther Mädchenschule. Ab Dezember 1877 bekleidete er auch das Amt des Organisten der Kirche und reihte sich damit bei seinen Vorgängern C. F. Wiesener und Ferdinand Eucharius Florschütz ein. Dieses Nebenamt als Organist war mit dem Einzug in eine Amtswohnung verbunden. Verheiratet war er mit der Tochter des Sattlermeisters Handtmann. Erst nach seinem Tod 1892 wurde der Musikverein offiziell in „Barther Männer-Gesangverein“ umbenannt. Außerdem sind noch 1881 die Freiwillige Feuerwehr und 1891 die Sanitätskolonne vom Roten Kreuz aus dem Kriegerverein hervorgegangen. Letztere wurden vom Geheimen Sanitätsrat Dr. Zaeske ausgebildet.

Es zählten im Laufe der Jahre Lehrer Carl Lewerenz, Malermeister Joachim Komus und Wiegemeister Wilhelm Asmus zu den Nachfolgern als Vorsitzender des Vereins. In den 20er Jahren war der Lehrer Emil Wolten der Dirigent des Vereins. Er unterrichtete an der Knabenvolksschule am Bleicherwall (später Diesterwegschule), komponierte auch eigene Lieder und organisierte das Kinderfest. Zurzeit des 50-jährigen Bestehens (1928) war Kaufmann Reinhard Redeker Vorsitzender mit Hugo Hellwald, ebenfalls Kaufmann, als Dirigent. Nachweisbar bestand der Verein bis 1938 und wurde im Nationalsozialismus, wie das Vereinswesen generell, instrumentalisiert. Hier nannte man den Vorsitzenden nun „Vereinsführer“ und dieser war zu dieser Zeit der Gendarmerie-Obermeister Wilhelm Brosig. So versuchte man auch die Gesang-Vereine „gleichzustellen“ und wortwörtlich andere Töne anzuschlagen. Vom Vereinsmitglied Emil Wolten ist überliefert, dass er „politisch unbelastet“ war und daher auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter unterrichten durfte. Über das weitere musikalische Leben in Barth berichtete Dr. Erich Gülzow zusammenfassend: „In der Musik hat Barth schon früher sehr tüchtige, ausübende Künstler gehabt; neuerdings haben manche auch Kompositionen geschaffen wie z. B. Emil Wolten, Hans Meinhold und Heinz Ludwig Denecke, der auch als Pianist hervorragt und durch eine Abhandlung den Doktortitel in der Musik erwarb. Von gebürtigen Barthern, die als ausübende Künstler auswärts zur Geltung gekommen sind, seien hier der Violinvirtuose Heinrich Campowsky und die beiden Kammermusiker Franz Rost und Paul Leonhardt genannt, neben ihnen noch der schon ältere Prof. W. Wendt aus Bresewitz, der vom Fischerjungen zum hochgeachteten Trompetensolisten in Wien emporstieg. Er hat in der Barther Stadtkapelle seine Ausbildung genossen, die neuerdings unter der Leitung von Wilhelm Scharp und seinem Neffen Franz Scharp Gediegenes geleistet hat.“

Christian Schumacher
Vineta-Museum der Stadt Barth