Die ersten Häuser im Reichsheimstättengebiet, Foto aus der Klissing´schen Chronik
Reichsheimstätten waren besondere Formen von Grundeigentum, die im Sinne der Eigenversorgung gestaltet wurden. Sie umfassten in der Regel Einfamilienhäuser mit Nutzgärten sowie kleine landwirtschaftliche oder gärtnerische Betriebe, die von einer Familie ohne dauerhafte Fremdarbeiter bewirtschaftet werden konnten. Interessanterweise wurden auch gartenlose Häuser oder Kleingärten, die nicht gewerblich genutzt werden durften (sogenanntes "Laubenland"), als Heimstätten vergeben. Das Hauptmerkmal lag stets in der Deckung des Eigenbedarfs der Bewohner, den sogenannten Heimstättern. Die rechtlichen Grundlagen schuf das Reichsheimstättengesetz, ergänzt durch diverse landesrechtliche Vorschriften. Mit dem Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs 1976 in der DDR wurde das Gesetz jedoch aufgehoben. Heimstätten waren öffentlich-rechtlich gebunden und wurden von staatlichen Stellen an einen definierten Personenkreis vergeben.
Dabei waren die Rechte der Heimstätter deutlich eingeschränkt: Sie durften ihr Eigentum weder beliebig teilen noch belasten, ohne die Zustimmung des Ausgebers einzuholen. Selbst bei Vererbung galten spezielle Regelungen. Zudem hatte der Ausgeber das Vorkaufsrecht und konnte das Grundstück zurückfordern – ein sogenannter Heimfallanspruch –, wenn der Heimstätter es nicht selbst bewohnte oder bewirtschaftete, oder im Fall von grober Misswirtschaft. In solchen Fällen musste der Ausgeber allerdings eine Entschädigung zahlen, die sich aus dem Bodenwert sowie den Bau- und Verbesserungswerten zusammensetzte. Im Grundbuch erhielt jede Heimstätte ein eigenes Grundbuchblatt. Besonders markant: Die Heimstätteneigenschaft wurde als Belastung eingetragen und hatte per Gesetz Vorrang vor anderen Einträgen. Dieses Konzept spiegelte die soziale und wirtschaftliche Funktion wider, die Grundstücke und Wohnraum in einer Zeit erfüllten, in der die Selbstversorgung und der Schutz vor Spekulation zentrale Anliegen waren. Wie so vieles wurde auch diese Bodenreform in der NS-Zeit politisch instrumentalisiert.
Am 28. März 1928 stellte der Verwaltungsassistent Kurt Alert, Vorsitzender der Ortsgruppe Barth des Bundes Deutscher Bodenreformer, beim Magistrat der Stadt einen Antrag auf Einrichtung eines Reichsheimstättengebiets nach dem Gesetz vom 10. Mai 1920. Dank des Engagements von Bürgermeister Dr. Dähn wurde der Antrag zügig genehmigt und das Gelände rechts der Straße von Barth nach Tannenheim als Reichsheimstättengebiet ausgewiesen. Der Landrat Rönneburg des Kreises Franzburg-Barth und Vorstandsmitglied des Bundes Deutscher Bodenreformer unterstützte das Vorhaben mit einem besonderen Schreiben.
Das 100. Barther Kinderfest und die „Barther Woche“ waren gerade vorbei, als am 2. August 1928 das Projekt der „Damaschke-Siedlung Barth“ konkrete Gestalt annahm: Kurt Alert legte den Grundstein für die erste Reichsheimstätte auf dem neuen Gebiet. Der Entwurf stammte vom Barther Architekten Albert, Leiter des Büros der Pommerschen Heimstätte GmbH, die auch die Bauleitung übernahm. Die Bauarbeiten führte der Bauunternehmer Paul Wegner aus Barth aus. In feierlicher Zeremonie begleiteten zahlreiche Mitglieder des Bundes sowie städtische Vertreter den Tag Grundsteinlegung, zu dem folgende Verse aus einem Schul-Lesebuch vorgetragen wurden:
„Gib am Ende meiner Wanderschaften,
Wenn der Abend langsam niedersinkt,
Dass ein Schall von Feierabendglocken
Süß und tröstend mir zu Ohren klingt.
Gib mir dann ein Haus mit hohem Giebel,
Rings von Fliederhecken eingehegt,
Und am Gartentore wartend,
Gib ein Kind, das meine Züge trägt.“
Nachdem sich Alert bei allen Anwesenden bedankt hatte, wurde eine Zeitkapsel mit einer Urkunde, einem Damaschke-Bild, Geldscheinen aus der Inflationszeit, ein paar Ausgaben des Barther Tageblatts und einer Bodenreform-Zeitschrift an der Südostseite des Hauses mit eingemauert. Alert plante, das Haus bereits im Herbst 1928 gemeinsam mit seiner Familie zu beziehen. Die Ortsgruppe wollte mit dem Reichsheimstättengebiet die Bestrebungen, für die der Vorsitzende des Bundes Deutscher Bodenreformer Adolf Damaschke wirkte, auch in Barth in die Tat umsetzen. Der Boden als die Grundlage allen Seins, sollte unter ein Recht gestellt werden, das seinen Gebrauch als Werk- und Wohnstätte förderte, das jeden Missbrauch mit ihm ausschloss und das die Wertsteigerung, die er ohne die Arbeit des einzelnen erhielt, dem Volk nutzbar machte.
Auch im folgenden Jahr 1929 herrschte eine rege Bautätigkeit in Barth, wobei nicht nur neue Häuser sondern auch neue Straßen entstanden sind. Die Klosterkoppel, einst der Platz für das Weidevieh, war schon bebaut. Es entstanden die Schützenstraße, die Burgstraße und der Magistergang. Sämtliche Häuser waren der Zeit entsprechend modern eingerichtet mit Kanalisation, Wasser- und Lichtleitungen. Aus Geldmangel konnten noch nicht alle neuen Straßen gepflastert werden, trotzdem wurde fleißig neues Bauland erschlossen. Im Vorjahr entstand schon der Tückmantel hinter der damaligen Knabenvolksschule, später Diesterweg-Schule, welche zum Teil als Erbbaurecht vergeben wurden. Auch hier entstanden zwei neue Straßenfronten und der Holzreiterwall als Parallelstraße. (Die Arndtstraße entstand erst 1935)
Die Bauten im Reichsheimstättengebiet an der Chaussee nach Tannenheim bekamen ebenfalls Zuwachs, wofür immer noch die Firma Pommersche Heimstätten verantwortlich zeichnete. Auch der Zeichenlehrer und Künstler Franz Höhne hatte hier gebaut. Das vierte Haus war zu dieser Zeit schon fast fertig und mit dem fünften wurde bereits begonnen. Auch die frühere Faeck´sche Koppel stand nun als Bauland zur Verfügung, wo ein Acht-Familien-Wohnhaus für kinderreiche Familien entstehen sollte. Trotz der vielen Bautätigkeiten herrschte immer noch Wohnungsmangel und viele Geschäftsleute haben trotz der schlechten Wirtschaftslage einige Wohnungen der Hauptstraße zu gewerblichen Läden umgebaut. Gerne hätte Kurt Alert noch die Umbenennung der Siedlung zum Damaschkeweg durchgesetzt, was aber nicht erfolgte und so brachte er ein eigenes Schild an seinem Haus an, was viele Barther für ein offizielles Straßenschild hielten.
Zum 64. Geburtstag von Damaschke pflanzte die Ortsgruppe Barth ihm zu Ehren eine Linde und weihte sie unter vielen Besuchern und Mitgliedern als „Damaschke-Linde“ ein. Die Rede hielt der Rektor i.R. und Museumsleiter Gustav Ruffert: „Das Leben bewegt sich in Gegensätzen. Dort vom Marienturm Trauergeläut, Wehmut im Gedanken an die Geschiedenen, hier die Freude, einen Lebenden ehren zu können, Damaschke, den hervorragenden Kämpfer für die Idee der Bodenreform. Der Reform, die den Boden unter ein Recht stellt, das jeden Mißbrauch mit ihm fortan ausschließt und jeder Arbeit freien Zugang zu ihm und seinen Schätzen eröffnet. Um diesen Gedanken hat Damaschke seit den (18)80iger Jahren mit dem Altmeister Wagner u.a. bis heute gekämpft und ihn fanfarengleich immer wieder ins Volk gerufen mit Wort und Schrift, bis er langsam obgesiegt.“ Der Platz für die Damaschke-Linde wurde der Ortsgruppe vom Magistrat für eine jährliche Anerkennungsgebühr von 1 Mark und auf unbestimmte Zeit überlassen. Geliefert und gepflanzt wurde der Baum vom Gartenbaubetrieb Carl Asmus, der sein Geschäft in der Langen Straße 29 hatte. Ein Stein mit der schlichten Aufschrift „Adolf Damaschke. 24.11.1929“ an der Ecke Chaussee/Uhlenflucht zeugt noch heute von diesem Tag.