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Barther Boddenblick
Ausgabe 3/2024
Nichtamtlicher Teil
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Exponat des Monats im Vineta-Museum

Turnverein Fortschritt, gegr. D. 13. Jan. 1906

links: Fahne des MTV Barth / rechts: Lorenz Clasen: „Germania auf der Wacht am Rhein“, 1860

Diese fast 100 Jahre alte Urkunde wurde vom Arbeiter-Turn-Verein Barth ausgestellt und ist ein Zeitzeugnis der Vereinssportgeschichte von Barth, die 1861 ihren Anfang nahm.

„Der Sportsgenosse Paul Görlich errang bei dem Vereins-Wetturnen am 6. Juni in der 3. Riege mit 78 Punkten den 1. Preis. - Barth, den 06. Juni 1926 - Karl Lorenz, Vorsitzender. - Karl Panitz, Kampfrichter. - Wilhelm Schultz, Turnwart“

Gedruckt wurde sie vom 1907 gegründeten Arbeiterturnverlag A.G. Leipzig. Als Verlag des Arbeiter-Turner-Bunds (ATB), der ein Verbandsorgan der Turnvereine war, druckte und verkaufte man dort auch die „Arbeiter-Turn-Zeitung“ für 10 Pfennig pro Ausgabe. Der hier ausgezeichnete Turner Paul Görlich wohnte im Weidenweg und arbeitete als Lagerwart und Schriftsetzer (möglicherweise für das Barther Tageblatt beim Verlag Anthonys Erben).

1861 war die Gründung des ersten Männerturnvereins. Der Vorsitzende war der Hauptmann Spruth nebst dem Vorstand bestehend aus dem Kaufmann Eduard Völcker (Kohlehandlung), Kaufmann Julius Josephy (Produktenhandlung) und dem Kassenwart Friedrich Plötz (Seifen- und Lichtfabrik). Dieser Verein, welcher zugleich politisch ein Träger des deutschen Einheitsgedanken war, bestand nur bis zum Jahre 1867.

Eine Neugründung erfolgte erst wieder am 27. April 1885 durch den Schuhmachermeister Karl Heuer und dem Fotografen Theodor Krüger. Ein Jahr später hatte der Verein sich der Deutschen Turnerschaft (DT) angeschlossen. „Am 12.7.1887 fand die Fahnenweihe des Vereins statt, welche der Kaufmann Eduard Völcker vollzog, der noch Mitglied des früheren Turnvereins gewesen war. Daran schloß sich dann ein Umzug durch die Stadt, welchem ein Festessen und Schauturnen folgte.“ Auf dieser Vereins-Fahne sieht man auf roter Seide das Barther Stadtwappen und rückseitig eine mit Schwert und Schild ausgestattete Germania, die auf einem Gemälde von Lorenz Clasen basiert. Über Germania befindet sich die Umschrift „Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei“ - der Wahlspruch aller Turner, den Friedrich Ludwig Jahn in seinem Buch „Die deutsche Turnkunst“ manifestierte.Dies hat ihm den Spitznamen „Turnvater Jahn“ eingebracht. Die vier F bilden auch das Turnerkreuz als Symbol bzw. Logo. Links und rechts sieht man den sogenannten Turner-Gruß „Gut Heil“, mit dem Sportler und Vereine aus historischen Gründen Berührungsängste haben. Diese gründen in dem Missverständnis, der Turner-Gruß sei dem Nazi-Gruß verwandt. Analogien zum Turnergruß sind u. a. das „Waidmanns Heil“ der Jäger und das „Petri Heil“ der Angler.

Am 13. Januar 1906 gründete sich ein weiterer Turnverein namens „Fortschritt“. Er bestand u. a. aus Turnern, die ehemalige Mitglieder des alten Vereins waren und infolge von Zwistigkeiten austraten. Zu den Gründungsmitgliedern von „Fortschritt“ zählten der Kürschnermeister Theodor Reichert, Bäckermeister Johann Krenzien und Töpfermeister Friedrich Weidemann. Schon nach den ersten acht Wochen hatte der Verein 100 Mitglieder und im April desselben Jahres stellte man aufgrund des hohen Bedarfs eine Anfrage an die Stadt zwecks Bau einer Turnhalle. Bisher dienten anscheinend Räumlichkeiten in einer Kneipe zum Turnen, was für die jüngeren Mitglieder nach Ansicht deren Eltern schwierig war. Und bereits „Anfang des Jahres 1907 begann der Bau. Neben dem Schulgebäude am Bleicherwall, dort, wo früher der Garten der Kleinkinderschule gewesen war.“

Zwei Jahre später wurden die zwei Sportvereine aus Mangel an Mitteln und Mitgliedern auf beiden Seiten zusammengeschlossen. Dies geschah am 17. Juni 1908 unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Rieke Rose und dem Mittelschullehrer Karl Wilhelm Jasmund. Als Dank für seine Bemühungen und sein Interesse wurde Rose zum Ehrenvorsitzenden des „Männerturnverein Fortschritt Barth“ ernannt. Bis 1909 hatte der Verein schon 243 Mitglieder, von denen jedoch nur 62 aktiv an den Turnübungen teilnahmen. Der Verein blieb einige Jahre ohne Konkurrenz, obwohl die Anzahl der Vereine zwischen 1910 bis 1920 stark anstieg. Bis das Pendant zum bürgerlichen Verein aufkeimte - der Arbeiter-Verein.

Anfang des 20. Jahrhunderts hieß es dann: „Arbeiter, heraus aus den bürgerlichen Sportvereinen!“

Das Ende des Ersten Weltkrieges, der Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, die Modernisierungsschübe der Industrialisierung und daraus resultierende Arbeiterbewegungen - dies alles waren die Bausteine zum Aufstieg der Arbeiter-Vereine, die sich klar von den bürgerlichen Vereinen der traditionellen Herrschaftselite abgrenzen wollten. D.h. im politischen Sinne, nicht jedoch was die Traditionen und Ideale der Turnbewegung betraf. Eines der Hauptargumente war: „Wenn man bei einem kleinen Handwerker oder bei einem Unternehmer gelernt hat, da ist man doch schon gezwiebelt worden, dann kann man doch am Abend mit denen nicht noch zusammen turnen“.

Der „Arbeiter-Sport-Verein BARTH“ taucht in den Büchern erst ab 1922 unter den Vereinen der Stadt auf, wurde aber schon um 1912 gegründet. Eine der ersten Vorsitzenden war der Maurer Heinrich Rüger. Der Spielmannzug „Die Pfadfinder“ wurde auch in diesem Jahr durch den ASV gegründet und nach dem Ersten Weltkrieg 1919 erneut ins Leben gerufen. 1928 hatte der ASV dann auch eine Handballabteilung, die in den 30er Jahren in Vorpommern sportlich dominierte. Die Handballspieler des Vereins errungen vier Bezirksmeistertitel und 1932 den 2. Platz in der Pommernmeisterschaft. 1933 wurden Arbeiter-Vereine durch die Nationalsozialisten verboten und aufgelöst. In einer Mustersatzung der DT (Deutsche Turnerschaft) wird dies beschrieben: “Vereinsmitglieder, die bewusst ihre kritische oder gar negative innere Einstellung zur Deutschen Nationalsozialistischen Regierung in der Öffentlichkeit Ausdruck geben, verstoßen auf das Schwerste gegen die Aufgaben und Interessen des Vereins und damit der Deutschen Turnerschaft. Sie sind, falls sie nicht selbst die einzig mögliche Konsequenz ziehen, aus dem Verein auszuschließen”. Es konnte also kein Arbeiterverein gegen die Gleichschaltung bestehen. Auch die oben genannte ATSB und der Arbeiter-Turnverlag wurden durch eine polizeiliche Besetzung im März 1933 eingenommen und „verwertet“. Dieses Jahr war auch das Ende für den Arbeiter-Sport-Verein in Barth und eine Neugründung nach 1945 blieb aus. Ebenso der MTV löste sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf.

Dafür wurden neue Sportvereine gegründet wie z.B. im Jahr 1946 die SG Barth oder ab 1950 der BSG Motor Barth. Auch der Spielmannzug wurde 1955 durch die ehemaligen Spielleute des Arbeitersportvereins wieder ins Leben gerufen.

Christian Schumacher
Vineta-Museum der Stadt Barth