[Elisabeth (mitte) mit Schwester Mariechen (links) und Bruder Fritz (rechts) um 1903]
(Die Künstlerin und ihr Ehemann im Garten / restauriertes Foto)
(Lehrerin Sittig mit ihrer Klasse, 1940 - 44, Schule Turmstraße)
(Das Grab der Künstlerin und Ehrenbürgerin)
"Wie soll es der Künstler machen? Wie will ich es halten? Wohl, kraft meiner Gaben und Kräfte will ich emporstreben zum Lichte, aber ich will auch die Tiefe, das Reich des Bösen, Finsteren kennen. Denn dann wird die eingeborene Sehnsucht nach der frischen freien lichten Höhe erst zur alles bezwingenden Macht, denn dann weiß ich die Sonne erst voll und ganz zu schätzen, wenn ich im Schatten gefroren habe." (Elisabeth Sittig)
Elisabeth Sittig, die am 8. April 1899 in Rödelheim bei Frankfurt a.M. geborene Tochter des Kaufmanns Saalfeld, siedelte 1939 nach Barth über. Hier in der Umgebung fand die Malerin und Grafikerin ihre Motive, die sie nicht verklärend oder erhaben, sondern den Alltag widerspiegelnd auf das Papier brachte. Alltägliches und Unscheinbares findet sich in ihren Aquarellen, Zeichnungen und Grafiken. Sie fand Schönheit und Anmut, wo andere nicht suchten - bei den unauffälligen Dingen des Lebens. In diesem Jahr wäre ihr 125. Geburtstag, ein weiteres Jubiläum in diesem Jahr neben dem 100. Todestag von Louis Douzette.
Nach der Mittelschule und Lyzeum besuchte die Künstlerin von 1917 bis 1929 die Frankfurter Kunstschule und wurde u. a. Meisterschülerin von Hans Brasch, ein Vertreter des Expressionismus. Von Professor Karl Mohr lernte sie die Holzschnitzerei und bei Professor Franz Karl Delavilla die Kunst der Radierung. In dieser Zeit soll ihre Tante Minna ihr gesagt haben: „Die Kunst kann die Rose deines Lebens sein; aber nun mußt du einen Beruf ergreifen und deine Eltern unterstützen.“ Und weil besagte Tante eine städtische Lehrerin war, absolvierte sie auch eine Lehrerausbildung in dieser Zeit. 1922 legte sie die erste Lehrerprüfung ab, 1930 die zweite. Nachdem sie einige Jahre als Lehramtskandidatin gearbeitet hat, verlässt sie 1932 Frankfurt um in Langenbach im Taunus an der Volksschule als Hilfslehrerin zu unterrichten. Nur kurze Zeit später folgt eine Stelle im kleinen Dorf Harsleben bei Halberstadt am Rande des Harzes. Im gleichen Jahr heiratete sie den Lehrer Walter Sittig. Dieser hatte nach den abgelegten Lehramtsprüfungen zum Landwirtschaftslehrer (1921) und Mittelschullehrer (1930) zunächst eine Stelle an der Buckauer Versuchsschule in Magdeburg, eine Schule für Kinder und Jugendliche aus dem Arbeitermilieu. Zuletzt als Doktor der Naturwissenschaften (Dr. rer. nat.) arbeitete er als Biologielehrer.
Auch Elisabeth war neben dem Zeichenunterricht Lehrerin für naturwissenschaftliche Fächer. 1934 wird ihre Tochter Ariane geboren, die als Erwachsene nach Südafrika auswandern wird. Nach Magdeburg kam Heringsdorf auf Usedom. Dort nahm ihr Mann eine Tätigkeit im Flugdienst auf, da er seine Stelle als Lehrer aufgeben musste. Das Leben wird schon von den Kriegszeiten überschattet. Im Jahre 1935 übernahm die Luftwaffe der Wehrmacht den Flugplatz Heringsdorf und ließ ihn in den folgenden Jahren zum Fliegerhorst Garz ausbauen. Nach diesen vielen Wohnortswechseln ganz im Sinne eines „Wandervogels“, so bezeichnete Sittig sich selbst, folgte ihr letzter Umzug: 1939 kam die Familie nach Barth, wo ihr Mann Flugzeugkommandant des Fliegerhorstes wurde. Als sie hier ihre sechsjährige Tochter Ariane einschulen ließ, sagte ihr ein Direktor es gäbe zu viele Schüler und zu wenig Lehrer. Also fing auch hier die Künstlerin wieder zu unterrichten an.
An der kleinen „Turmschule“, später an der Nobert-Schule. Ihr Mann wurde für Einsätze, u.a. in Rumänien und Marokko, eingezogen und fiel letztendlich am 01. April 1945 in Saerbeck. Die Kriegsgräberstätte dort berichtet von den Ereignissen: Am frühen Morgen des 1. April 1945 näherten sich britische und kanadische Panzerspähwagen und Panzer, unterstützt von Infanterie, (…) dem Ortskern von Saerbeck. Weiße Fahnen am Kirchturm und an vielen Häusern (…) signalisierten den Alliierten die Kapitulation des Dorfes. Allerdings befanden sich noch Soldaten und Luftwaffenhelfer in Stellungen beim Hof Richter. (…) Auf Befehl eines Majors, der sich mit seinem versprengten Trupp am Samstagabend in einem Wald hinter den Geschützen in Stellung gelegt hatte, wurden alle noch anwesenden Soldaten und Luftwaffenhelfer zu einem Bodenkampf gegen die anrückenden Alliierten unter Androhung der Exekution gezwungen.
So wurde Elisabeth schon im Alter von 46 zur Witwe. Später resümierte sie darüber: „Ich bin im April geboren und darum verläuft mein Leben wie Aprilwetter: im ständigen Wechsel von Freud und Leid; aber letztendlich hat immer die Freude überwogen.“ Ende1945 war sie eine der ersten Mitglieder der Sektion Bildende Kunst im Kulturbund, aus der später der Verband Bildender Künstler der DDR hervorging. Für ihre aktive Mitwirkung wurde sie später zum 85. Geburtstag mit der Hans-Grundig-Medaille geehrt. 1955 erlitt sie einen weiteren Schicksalsschlag: Ihr „kleiner“ Bruder Fritz (geb. 1901) beging Selbstmord, wohl aus dem Gefühl heraus als Schauspieler künstlerisch nicht mehr weiterzukommen. Nach Ende ihrer Lehrtätigkeit, sie wohnte noch im Grünen Weg in Barth-Süd, bekam sie ab 1956 Invalidenrente und widmete sie sich allein der Kunst. Aus Hingabe aber auch aus finanzieller Notwendigkeit. Erst jetzt erblickten die Werke, die seit den 20er-Jahren entstanden sind, das Licht der Öffentlichkeit. Mitunter 40 Jahre alte Werke. Es folgten Ausstellungen im Kunstkaten Ahrenshoop (1969), in der Kunsthalle Rostock (1975), im Bernsteinmuseum Ribnitz (1989) und in der Inselgalerie in Berlin (1990). Am 8. April 1993 wurde sie Ehrenbürgerin der Stadt und hier in Barth durch eine Personalausstellung im HdW (1993) und die Ausstellung „100 Jahre will ich werden“ im Vineta-Museum (1999) gewürdigt.
2001 starb sie im hohen Alter von 102 Jahren. Ihr Grab befindet sich direkt neben dem unseres Mondscheinmalers Douzette. Nur ein einfacher kleiner Stein. So schlicht und bescheiden wie die Künstlerin selbst gewesen ist.
Der folgende QR-Code führt zur Online-Galerie des Museums mit zahlreichen Werken von Elisabeth Sittig