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Barther Boddenblick
Ausgabe 9/2025
Nichtamtlicher Teil
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Barth trauert um Helga Wienhöfer – die große Dame des Theaters ist mit 97 Jahren gestorben

Barth – 01.09.2025

WH – so nannten dich alle, und so wolltest du genannt werden. Einfach nur WH.

Dinge, die einem in den Kopf kommen, sollte man gleich erledigen und nicht aufschieben.

Wie oft habe ich mir in den letzten Wochen gedacht: Ich sollte WH mal wieder anrufen, fragen, wie es dir geht – denn wir haben schon viel zu lange nicht mehr miteinander gesprochen.

Gestern erreichte mich die Nachricht, dass du verstorben bist.

Du hast die weltliche Bühne verlassen, und diesmal ohne Zugabe.

Ich erinnere mich gern an das Jahr 2018, als ich dich fragte, ob du im kommenden Sommer wieder mitspielen würdest. Du lachtest und sagtest: „Ach Martin, solange du noch Theater machst, mache ich auch weiter.“

Ich war damals der jüngste Intendant, und du warst die älteste aktive Schauspielerin.

Wie viele Produktionen haben wir gemeinsam auf die Bühne gebracht: Es begann mit Acht Frauen, dann Die Feuerzangenbowle, die Hexe in Robin Hood, Tratsch im Treppenhaus, der Kardinal Richelieu bei den Musketieren, die Seherin bei den Wikingern – und natürlich Miss Sophie in Dinner for One.

Apropos: Cheerio, Miss Sophie. Erinnerst du dich an unser gemeinsames Krimidinner auf dem Schiff im Barther Bodden? Du hast es geliebt, dich spontan in Situationen hineinzuschmeißen. Für nichts warst du dir zu schade, immer mit einem Witz auf den Lippen. Wir zogen uns unter Deck zwischen Tiefkühltruhen um, und nach der Premiere ging es auf die Granitz. Für dich gab es ein paar Kurze – und ein Zigarillo.

Ich weiß noch, wie du in der Endprobenwoche zu dem Sommerstück Die Piraten vom Donnerberg zu mir kamst und sagtest: „Martin, ich danke dir. Ich bin über 90 Jahre – und ich schaukele.“

Dieses Bild werde ich nie vergessen: wie du am Ende auf der Bühne sitzt und schaukelst.

Nach einigen Engagements an verschiedenen Theatern kamst du 1974 nach Barth, hast dort das Kulturhaus geleitet, dem du auch nach deiner Verrentung treu geblieben bist und das du sicher durch die Wendezeit geführt hast.

Wenn du nicht auf der Bühne standest, hast du den Keramikzirkel geleitet oder warst irgendwo im Auftrag der Kultur unterwegs.

Still sitzen und leise sprechen – das konntest du nicht. Man hörte dich schon von weitem. Und gespielt hast du immer bis in den letzten Rang.

Ich werde dein Lachen und deine Ironie sehr vermissen, deine kleinen Seitenhiebe, die du stets parat hattest.

An deinem 90. Geburtstag hattest du einen Oberschenkelhalsbruch – viele Menschen sterben in diesem Alter daran. Du standest sechs Wochen später wieder auf der Bühne, um zu proben, und sagtest: „Mein Arzt darf das nicht wissen, aber mir fällt zu Hause die Decke auf den Kopf.“

Nun hat die Welt ein Unikum weniger.

Heute Abend werde ich mir die alten Fotos ansehen. Ich bin dankbar, dass ich dich kennenlernen durfte.

Dein letzter Vorhang ist gefallen.

Du kommst nicht noch einmal heraus, um dich zu verbeugen – aber ich verbeuge mich vor dir.

Applaus. Applaus. Applaus.

Martin Schneider

Am 31. August 2025 ist

Helga Wienhöfer

in Barth im Alter von 97 Jahren verstorben. Mit ihr verliert die Stadt nicht nur eine große Schauspielerin, sondern auch eine lebendige Brücke zwischen Generationen und Epochen.

Geboren 1928, erlebte sie Krieg, Neubeginn und die kulturelle Entwicklung der DDR aus nächster Nähe. Doch ihr Herz gehörte stets dem Theater. Wienhöfer war ein echtes „Theatertier“ – wie sie selbst und Weggefährten sie oft beschrieben. Ihr Wissen, ihre Disziplin und ihre Leidenschaft machten sie zu einer Ausnahmeerscheinung in der norddeutschen Kulturszene.

Noch mit 95 Jahren stand sie auf der Bühne der Barther Boddenbühne. In der Inszenierung „Die Wikinger – Tanz im Schatten“ verkörperte sie die Seherin Cristall und bewies, dass Bühnenkunst keine Frage des Alters, sondern der Haltung ist. Woche für Woche spielte sie ihre Rolle, brachte das Publikum zum Staunen und ermutigte damit auch junge Schauspielerinnen und Schauspieler, ihren Weg konsequent zu gehen.

Für Barth war Helga Wienhöfer mehr als eine Darstellerin. Sie war eine Institution. Mit ihrer Präsenz trug sie dazu bei, dass die Kleinstadt am Bodden eine kulturelle Strahlkraft entwickelte, die weit über Mecklenburg-Vorpommern hinausreichte. Die NDR-Sendung „Ein Jahrhundertleben“ widmete ihr ein Porträt und nannte sie „Norddeutschlands wohl älteste aktive Schauspielerin“.

Helga Wienhöfer verkörperte, was Theater im besten Sinne sein kann: Leidenschaft, Hingabe, Gemeinschaft. Sie verband Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Erneuerung. Ihr Wirken wird in Barth unvergessen bleiben – auf der Bühne, in den Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer und in der Erinnerung der Stadt, die sie zu ihrer Heimat machte.