Anzeige der Landbund-Handelsgesellschaft (Auszug aus dem Bützower Adressbuch, 1920er Jahre)
Anzeige der Firma Holst, Stein & Co. aus der Bützower Zeitung.
Die Speicher, die heute als Wohnraum umgebaut sind.
Während die in Bützow bereits etablierten Getreidegroßhandlungen Löwenthal, Nord & Co. sowie die Handelsgesellschaft H. Josephy schon beachtliche Erfolge vorzuweisen hatten, verfolgte auch die Landbund-Handelsgesellschaft Bützow – später firmierend als Mecklenburgische Landwirtschaftliche Handels-gesellschaft m. b. H. – ehrgeizige Ziele.
Im Jahr 1922 setzte das Unternehmen seine Expansion fort: Neben dem bereits vorhandenen Kontor in der Rühner Straße 3 sowie weiteren kleinen Niederlassungen in Wismar, Neukloster und Neubukow erwarb es ein attraktives Gewerbegrundstück in der Bahnhofstraße südwestlich des Empfangsgebäudes der Eisenbahn. Dafür erhielt es die postalische Adresse Nummer 40 d (heute 46).
Das Grundstück, das ursprünglich seit etwa 1850 als Lagerplatz (Bauhof) der Stadt diente, grenzte im Norden an den Vierburgweg, im Osten an die Schacht’sche Ofenfabrik, im Süden an die Bahngleise und im Westen an die Villa des Sägewerkbesitzers Heinrich Christian Ruser, später Paul Grimme.
Der Impuls für den Bau eines eigenen Speichers erfolgte am 8. März 1922, als der Bützower Mitgesellschafter Carl Gustav Rose die Bauzeichnung und den Antrag auf Baugenehmigung beim Stadtsekretär und Inspektor Otto Moldt im Rathaus einreichte. Rose, der nach dem Tod seines Schwiegervaters Heinrich Nagel dessen Handelshaus in der Rühner Straße 13 übernommen und erfolgreich ausgebaut hatte, setzte damit ein Zeichen unternehmerischer Weitsicht, sowohl für sich selbst als auch für die Mecklenburgische Landwirtschaftliche Handelsgesellschaft m. b. H.
Die Genehmigung ließ nicht lange auf sich warten: Nach Vorlage der Stützlastberechnungen und einer Beschreibung der Bodenbeschaffenheit konnte der Bützower Maurermeister Rudolf Voth mit den Arbeiten beginnen. Bereits nach nur neun Monaten Bauzeit entstand am Bahnhof ein weiteres Wahrzeichen: ein freistehendes, fünfgeschossiges Lagergebäude aus Backstein, das durch Lisenen gegliedert und mit modernster Technik ausgestattet wurde. In seiner Erscheinung erinnerte es an den Josephy-Speicher in der Bahnhofstraße 35, wie dessen etwas kleinerer Bruder. Dank der Elektrifizierung der Stadt trieben Elektromotoren die Aufzüge an, die das Getreide bis unters Dach beförderten. Neben dem Speicher mit einer Lagerkapazität von 1.200 Tonnen wurde auch ein Wirtschaftsgebäude errichtet, das ein Büro, ein Labor, Sanitär- und Umkleideräume sowie eine Waage beherbergte.
Der Handel lief für die Mecklenburgische Landwirtschaftliche Handelsgesellschaft eine Zeit lang sehr gut, doch blieb die Gesellschaft nach 1929 von der globalen Wirtschaftskrise nicht verschont. Um das eigene Unternehmen zu schützen, veranlasste der Mitgesellschafter Carl Rose die Liquidation der Mecklenburgischen Landwirtschaftlichen Handelsgesellschaft.
Anfang der 1930er Jahre übernahm die Firma Holst, Stein & Co. den Speicher an der Bahnhofstraße und eröffnete damit ein neues Kapitel in ihrer Firmengeschichte. Außerdem errichtete sie einen Lagerschuppen neben dem Ahron-Speicher am Bützower Hafen. Bis dahin besaß Holst, Stein & Co. nur einen Getreidelagerschuppen „Am Strande“ in Rostock.
Aufgrund der Nähe zum NS-Regime erhielt das Unternehmen die Genehmigung, einen sogenannten „Reichstypenspeicher“ zu errichten – ein Projekt, das Teil der NS-Agrarpolitik zur Sicherung der Ernährung im Kriegsfall war. Diese Speicher wurden zentral geplant und überwiegend in der Nähe von Bahnhöfen errichtet, um die Lagerung und Verteilung von Getreide effizient zu steuern. Im Jahr 1939 erhielt der Architekt Ernst Sass von dem Unternehmen den Auftrag, auf dem firmeneigenen Gelände einen Reichstypenspeicher zu errichten. Das Gebäude wurde so geplant, dass es parallel zum Vierburgweg verlief.
Das 1941 fertiggestellte Gebäude war architektonisch fortschrittlich: Hinter einer traditionellen Fassade verbarg sich eine moderne Stahlskelettkonstruktion mit fünf Ebenen und einer Kapazität von 2.000 Tonnen. Der Silo wurde überwiegend in Gleitbauweise errichtet – einer damals innovativen und kostensparenden Bautechnik für große Betonflächen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Zuge der Entnazifizierung die Firma Holst, Stein & Co. enteignet. In der Sowjetischen Besatzungszone erfolgte dies durch Befehle der SMAD und später durch Gesetze der DDR. Im Zuge der sozialistischen Agrarreformen wurde auch dieser Speicher im Jahr 1950 verstaatlicht und der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft unterstellt. Damit endete hier endgültig die Ära der privaten Speicherwirtschaft.
Bis 1990 nutzte die BHG die Speicher weiterhin als Lagerflächen. Nach der Wende setzte jedoch ein allmählicher Verfall ein, der bis in die 2020er Jahre andauerte. Heute sind die Speicher an der Bahnhofstraße und am Vierburgweg wieder in Nutzung und konnten so vor dem endgültigen Verfall bewahrt werden.