Titel Logo
Bützower Landkurier
Ausgabe 11/2024
Nachrichten aus der Stadt Bützow und dem Amt Bützow-Land
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Das Realgymnasium

Herzogliche Nachricht zur Einrichtung des Pädagogium aus dem Jahr 1767

Schulgebäude um 1890

Gedenkbronzeplakette von Dr. Winkler

Schulgebäude um 1985

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts erlebte das beschauliche Städtchen Bützow einen bemerkenswerten Wandel. Wo einst die Ruhe herrschte, entstand allmählich ein aufstrebendes Zentrum für Bildung und Wissen. Im Jahr 1760 fasste Friedrich der Fromme, Herzog zu Mecklenburg-Schwerin, einen bedeutsamen Entschluss: Er verlegte den Herzoglichen Teil der Universität Rostock nach Bützow und gründete zeitgleich ein neuartiges pädagogisches Institut. Dieses Institut sollte sich deutlich von den traditionellen Gelehrtenschulen abheben und stattdessen an den Vorbildern der Berliner Realschulen orientieren. Inspiriert von den „Franckeschen Stiftungen“ in Halle (Saale), wurde im selben Jahr das „Herzogliche Pädagogium zu Bützow“ gegründet.

Die innovative Lehranstalt nahm zügig Gestalt an und blühte auf. Sie setzte Impulse für die Bildung und formte das intellektuelle Leben der Stadt bis zu ihrer Schließung im Jahr 1780, was die Bildungslandschaft Bützows nachhaltig erschütterte.

Trotz dieses Rückschlags blieben die Bürger Bützows nicht untätig. Ihr Bestreben, den Söhnen eine solide schulische Vorbereitung zu bieten, führte zur Gründung von elf privaten Nebenschulen zwischen 1789 und 1858, in denen kleine Klassen mit durchschnittlich zehn Jungen unterrichtet wurden. Doch während diese Nebenschulen florierten, war der Zustand der öffentlichen Schulbildung alarmierend: Von 650 schulpflichtigen Kindern hatten lediglich 305 eine Schule besucht, und im Jahr 1845 blieb die Hälfte der Kinder ohne jegliche Schulbildung. Ein Wendepunkt trat 1849 ein, als das Schulwesen in Bützow umfassend reformiert wurde: Eine zweiklassige Volksschule wurde im alten Schulhaus am Kirchenplatz eingerichtet, während im Nordflügel des Rathauses eine Bürgerschule mit vier Knaben- und einer Mädchenklasse gegründet wurde.

Diese Maßnahmen waren zwar ein Schritt in die richtige Richtung, reichten jedoch nicht aus, um den steigenden Bildungsanforderungen gerecht zu werden.

Der engagierte Prediger Johann Friedrich Emil Bergner wandte sich 1853 schließlich mit einem Schreiben an den Magistrat und Bürgermeister Wilhelm Paschen. Er forderte die Gründung einer Realschule, die moderne Sprachen und Realwissenschaften anbieten sollte. Zunächst blieb Bergners Anliegen unbeachtet, da es dem Magistrat an finanziellen Mitteln mangelte. Allerdings gab der Prediger nicht auf. 1857 reichte er eine neue Petition ein, die von 74 Bürgern unterzeichnet wurde. Dies markierte den Beginn eines langen und mühsamen Prozesses, der zahlreiche Beratungen und Verhandlungen erforderte. Im Februar 1860 wurde schließlich eine Einigung erzielt: Die Gründung einer neuen Schule in Form von zwei Klassen, die auf der Bürgerschule basierte, wurde beschlossen. Der erfahrene Pädagoge Dr. phil. Carl August Theodor Wilhelm Winckler zeigte großes Interesse an der neu ausgeschriebenen Position. Nach einer erfolgreichen Probelektion wurde er zum Direktor der neuen „höheren Lehranstalt“ gewählt. Winckler, begeistert von der Möglichkeit, die Bildungslandschaft in Bützow zu bereichern, zog in die Stadt und bereitete den Unterricht sorgsam vor.

Am 4. Oktober 1860 nahm die „Vorbereitungsschule für höhere Lehranstalten“ mit nur 17 Schülern ihren Betrieb auf. Der erste eingeschriebene Schüler war der elfjährige Leopold Ahron, der von seinem Vater Abraham, einem Mitinhaber der größten Getreidehandelsfirma Bützows, der „Gebrüder Ahron“, angemeldet wurde. Doch schon bald erfreute sich die Schule wachsender Beliebtheit: Bis Ende des Jahres hatten sich bereits 33 Schüler eingeschrieben, was die Einrichtung einer dritten Klasse zu Ostern 1861 erforderlich machte. Da die vorhandenen Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten, wurde zusätzlicher Platz in einem Gebäude in der Pfaffenstraße angemietet.

Der Anstieg der Schülerzahlen führte rasch zur Notwendigkeit, weitere Klassen zu bilden; im Mai des darauffolgenden Jahres zählte die Schule bereits 68 Jungen. Bürgermeister Paschen reagierte auf diesen Bedarf und beauftragte den Bau eines neuen Schulhauses in der Großen Ausfallstraße 24 (Am Ausfall 32). Der Grundstein wurde im März 1863 gelegt, und im Oktober wurde das neue, im historistischen Stil errichtete Gebäude eingeweiht – ein wahrer Stolz für den Bürgermeister, Dr. Winckler und die Stadt.

Mit der Abtrennung von der Bürgerschule erhielt die Realschule eine neue rechtliche Stellung.

Die Entscheidung zur Anerkennung ihrer Tragfähigkeit folgte 1869 mit der Bestätigung der „Abiturienten-Prüfungs-Ordnung“ durch den Großherzog, gefolgt von der Anerkennung als „Realschule zweiter Ordnung“ im Jahr 1870. In den darauffolgenden Jahren erlebte die Schule kontinuierliches Wachstum, sodass 1873 ein zweigeschossiger Anbau errichtet wurde, der neue Klassenräume sowie eine Aula beinhaltete. Im Jahr 1877 wurde der Einrichtung der Status einer „Realschule erster Ordnung“ verliehen und 1884 als „Realgymnasium“ anerkannt. Trotz finanzieller Herausforderungen und unvorhergesehener Schwierigkeiten bewies die Bildungseinrichtung, dass sie einen klaren Fokus auf die zeitgemäße Ausbildung ihrer Schüler hatte.

Bützow war auf dem besten Weg, ein Zentrum des Wissens und der Bildung zu werden, das weit über seine Grenzen hinauswirken würde. Im Jahr 1900 traten zunehmend Schwierigkeiten an der Bildungseinrichtung zutage. Trotz der erfolgreichen Umsetzung einiger Schulreformen blieben die infrastrukturellen Bedingungen unzureichend. Darüber hinaus herrschte in den kleineren Städten Mecklenburgs ein akuter Mangel an qualifizierten Lehrkräften, bedingt durch die niedrigen Gehälter. In einem unerwarteten Schritt versuchte der Magistrat, eines dieser Probleme durch den Bau einer Turnhalle zu lösen. Der Sportunterricht, der bisher ausschließlich im Sommerhalbjahr stattgefunden hatte, konnte nun ganzjährig stattfinden.

Am 16. Dezember 1904 ereignete sich ein weiteres bedauerliches Ereignis: Der unermüdliche Direktor der Höheren Schule, der über 44 Jahre lang die Leitung innehatte, verstarb. In ehrender Erinnerung an ihn wurde am 18. Juni 1908 in der Aula der Schule eine Gedenktafel enthüllt, die von dankbaren Schülern gestiftet worden war. Nach intensiver Suche trat ein neuer Direktor an die Stelle von Winckler: Dr. Friedrich Galle, ein erfahrener Pädagoge, der mit Engagement und Tatkraft die bestehenden Herausforderungen der Institution anging. Trotz der positiven Entwicklungen unter seiner Leitung blieb die Lage der Schule angespannt. Die Gehälter der Lehrkräfte waren weiterhin bescheiden, was zu einer hohen Fluktuation unter den Lehrern führte. Erst im Jahr 1912 brachte eine Verordnung des Ministeriums eine spürbare Verbesserung der Vergütung, die sich nun zunehmend an den Besoldungen der Staatsbeamten orientierte.

Der Schatten des Ersten Weltkriegs legte sich bald über die Bildungseinrichtung. Zahlreiche Lehrer und Schüler wurden rekrutiert, was eine Unterbrechung des Unterrichts zur Folge hatte. Im Jahr 1920 wurde in der Aula eine Gedenktafel zur Erinnerung an die gefallenen Lehrer und Schüler enthüllt, die die grausame Realität des Krieges widerspiegelte. Die wirtschaftliche Lage blieb angespannt, sodass sich die Schule durch Kürzungen kommunaler Zuschüsse bedroht sah. Diese prekäre Situation brachte das Realgymnasium an den Rand der Schließung. Mit der Regierungsentscheidung, dass Mädchen der Besuch von Knabenschulen gestattet wurde, sofern vor Ort keine höhere Mädchenschule verfügbar war, blieb die Schließung jedoch aus. Fortan übernahm das Realgymnasium eine zentrale Rolle als gemeinsame Bildungseinrichtung für Mädchen und Jungen.

Am 5. April 1923 erlebte die Schule ihre Verstaatlichung, was Bützow spürbare Entlastung brachte und dem Gymnasium unter staatlicher Obhut neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnete. Mit der Ernennung von Dr. Friedrich Zimmermann zum neuen Direktor im Jahr 1924 erhielt die Schule eine reformierte Lehrplangestaltung; jedoch entsprach das alte Gebäude nicht mehr den neuen Anforderungen. Der Beschluss zum Bau eines neuen Schulhauses (Am Ausfall 45) im Jahr 1926 war daher mehr als notwendig. Das Jahr 1932 brachte eine grundlegende Reform, als das Realgymnasium in ein Reformrealgymnasium umgewandelt wurde. Die nationalsozialistische Ideologie wirkte sich zunehmend negativ auf die Schulinstitution aus. Die Gleichschaltung der Erziehungskräfte sowie die Nürnberger Gesetze zwangen die Schulleitung zu einem oft als schmerzhaft empfundenen Anpassungsprozess. Der Ausschluss des jüdischen Schülers Hans Peter Josephy, Sohn des Bützower Kaufmanns Gustav Josephy, verstärkte das Gefühl von Ungerechtigkeit und Spaltung innerhalb der Schulgemeinschaft. Direktor Zimmermann gab 1938 aus gesundheitlichen Gründen seine Position auf, und der parteitreue Dr. Wilhelm Friedrich Fischer übernahm die Schule, die nun im Schatten des Zweiten Weltkriegs weiter bestand.

Nach dem Ende des Krieges prüfte die Stadtverwaltung die nächsten Schritte für die Bildungsinstitution in Bützow. Unter der Interimsleitung von Dr. Hans Barnewitz wurde der Unterricht am 1. Oktober 1945 wieder aufgenommen. Das Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schulen von 1946 schuf in der Sowjetischen Besatzungszone die Grundlage für ein einheitliches Schulsystem. Dr. Walter Nitsche wurde als Schulleiter eingesetzt, und die vorherige höhere Lehranstalt wurde in „Oberschule Bützow“ umbenannt, später 1949 in „Geschwister-Scholl-Oberschule“. 1959 erfolgte die Umwandlung in die Erweiterte Oberschule „Geschwister Scholl“, die zunächst die Klassen 9 bis 12 und später nur noch die Klassen 11 und 12 umfasste. Ein zentraler Aspekt des DDR-Bildungssystems war die „Einheit von Bildung und Erziehung“, mit dem Ziel, Schüler zu verantwortungsbewussten Mitgliedern der sozialistischen Gesellschaft zu formen. Nach der friedlichen Revolution erlebte das Bildungssystem einen grundlegenden Wandel. Nach 132 Jahren wurde das alte Schulgebäude, das einst der gymnasialen Bildung diente, aufgegeben.

Nach seiner Umnutzung als Bürger- und Vereinshaus und einem jahrelangen Leerstand erhielt das Gebäude schließlich im Jahr 2024 eine neue Bestimmung: Es wurde zu einer Außenstelle der Kreismusikschule des Landkreises Rostock umgebaut.

Vom Vergessen zum Gedenken:

Heute sind die Gedenktafeln für Dr. Winkler und die gefallenen Schüler und Lehrer leider verloren gegangen, und ihre Geschichten sind in Vergessenheit geraten. Nur noch wenige Menschen erinnern sich an bedeutende Persönlichkeiten wie Richard Wossidlo, Sir Julius Jeppe, Robert Allmers, Bruno Langer, Hans Beltz oder Karl Griewank, die hier einst ihre gymnasiale Bildung genossen haben. Durch die Benennung der Straße am neuen Gymnasium nach Dr. Winkler im Jahr 2007 – einem Zeichen des Respekts und der Erinnerung – wird der historische Wert dieser Institution wiederbelebt. Es bleibt der Wunsch, dass das alte Schulgebäude ehrenvoll in Erinnerung bleibt und vielleicht einen Namen erhält, der die Verdienste des damaligen Bürgermeisters oder eines geschätzten Schülers würdigt.

Text: Markus Göllnitz