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Bützower Landkurier
Ausgabe 7/2025
Nachrichten aus der Stadt Bützow und dem Amt Bützow-Land
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Die Kornspeicher von Bützow, Teil 1

Das heute nicht mehr erhaltene Ahronsche Kornhaus in der 1. Wallstraße um 1960

Der Ahron-Speicher am Hafen 1935

Revolutionäre Gleichstellung und Unternehmergeist – die Geschichte der Familie Ahron und ihrer Speicher

Am 22. Februar 1813 setzte Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin einen wegweisenden Akzent in der deutschen Geschichte: Mit der „Landesherrlichen Constitution zur Bestimmung einer angemessenen Verfassung der jüdischen Glaubensgenossen in den Herzoglichen Landen“ gewährte er als erster deutscher Fürst den Juden seines Landes nahezu die gleichen bürgerlichen Rechte und Freiheiten wie allen anderen Staatsbürgern. Die Verordnung umfasste 19 Paragrafen, die unter anderem die Annahme eines erblich festen Familiennamens, die Gewerbefreiheit, das Recht auf Eigentum und Grundstückserwerb sowie den Zugang zu öffentlichen Ehrenämtern regelten. Für die bereits 1738 gegründete jüdische Gemeinde in Bützow bedeutete dies einen entscheidenden Schritt aus der gesellschaftlichen Randstellung und hin zu mehr Teilhabe am öffentlichen Leben.

Mit diesen neuen Rechten waren jedoch auch Pflichten verbunden: Die jüdischen Bürger waren verpflichtet, feste, erblich weitergegebene Familiennamen anzunehmen und ihre Handelsbücher künftig in deutscher Sprache zu führen. Innerhalb von vier Wochen mussten die Betroffenen der örtlichen Obrigkeit ihres Wohnortes den gewählten Namen anzeigen. Wer diese Vorgaben missachtete, riskierte den Verlust der neu gewonnenen Rechte und Privilegien.

Wie der Bützower Heimatforscher Fritz Hoßmann berichtete, war Joel Ahron (1766–1833) einer der ersten, der von den neuen rechtlichen Möglichkeiten für Juden in Mecklenburg-Schwerin profitierte. Ursprünglich als Aaron Joel in der Nähe von Frankfurt am Main geboren, lebte er seit 1795 als Schutzjude in Bützow.

Am 17. September 1813 erhielt Joel Ahron das Bürgerrecht – ein bedeutender Schritt sowohl für ihn persönlich als auch für die Stadt. Dieses Privileg war jedoch an Bedingungen geknüpft: Als stationärer Getreidehändler wurde er von der herzoglichen Regierung verpflichtet, ein Kornhaus zu errichten, um die Versorgung der Bevölkerung in Notzeiten zu sichern. Angesichts häufiger Hungersnöte und Teuerungen infolge von Dürre und Missernten war dies eine wichtige Maßnahme für die Region. Bereits 1814 entstand das dreigeschossige „Ahronsche Kornhaus“ in der Wallstraße 1. Im Erdgeschoss befanden sich Kontor und Lager, die oberen Stockwerke dienten der Trocknung und Lagerung des Getreides. Zahlreiche Luken sorgten für Belüftung; das Korn wurde regelmäßig gewendet, in kleinen Mengen an Viehhalter verkauft oder für den Fernhandel in Säcke abgefüllt.

Nach Joels Tod führten seine Söhne Joel jun. und Abraham das Geschäft unter dem Namen „Gebrüder Ahron“ weiter. Das Unternehmen expandierte rasch, sodass das alte Kornhaus bald zu klein wurde. Um 1850 entstand am Marktplatz ein neuer, imposanter Speicher: ein fünfgeschossiges Backsteingebäude mit markanten Davidsternen an den Eckpfeilern und einer Kapazität von 1.700 Tonnen. Dieser Speicher wurde zu einem Wahrzeichen der Stadt, ermöglichte Spekulationsgeschäfte und half, Notzeiten zu überbrücken.

1874 übernahm die dritte Generation, Leopold und Martin Ahron, das Geschäft. Nach ihrer Ausbildung in Goldberg erhielten sie 1885 bzw. 1887 das Bürgerrecht in Bützow. Mit dem Bau der Großherzoglichen Mühle 1894 und einer Partnerschaft mit dem innovativen Mühlenpächter August Propp nutzten sie die Chancen des neuen Hafens und des wachsenden Schiffsverkehrs. Getreide und Mehl aus Bützow gelangten so bis nach Holland und Helsinki.

Ein Brand zerstörte 1903 das alte Kornhaus in der Wallstraße. Die Brüder Ahron reagierten entschlossen und errichteten am Hafen einen modernen Speicher aus rot-weißem Kalksandstein. Das viergeschossige Gebäude mit einer Grundfläche von 200 Quadratmetern und dem Schriftzug „GEB. AHRON“ war technisch fortschrittlich: Tragfähige Böden, große Fenster und Ladeluken sowie Sackkarren für den Transport bis an die Kaikante ermöglichten einen effizienten Umschlag. Lastschiffe mit bis zu 600 Tonnen Tragfähigkeit brachten dem Hafen neuen Schwung und machten Bützow zu einem wichtigen Knotenpunkt im internationalen Getreidehandel.

1912 beschlossen Leopold und Martin Ahron das Unternehmen aus Altersgründen aufzulösen. Da ihre Kinder das Geschäft nicht weiterführen wollten – viele von ihnen wanderten aus – endete damit die Ära der Familie Ahron als angesehene Getreidehändler in Bützow. Das Unternehmen wurde an die Landhandelsfirma „Löwenthal, Nord & Co.“ verkauft. Zu den Vermögenswerten zählten der Hafenspeicher, der ausgebrannte Speicher in der Wallstraße sowie der Stadtspeicher, der 1922 abgerissen wurde.

Leopold verstarb 1913 während eines Kuraufenthalts in Bad Nauheim. Über das weitere Schicksal von Martin ist wenig bekannt. 1933 übernahm die Kommanditgesellschaft „Ohlerich und Sohn“ den Speicher und nutzte ihn bis 1952, bevor der Hafenspeicher verstaatlicht wurde. Bis 1990 diente er dem volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetrieb.

Nach der politischen Wende ging der Speicher in das Eigentum der Treuhandanstalt über und wurde 1995 privatisiert. Das Gebäude stand lange leer, bis er 2022 von einem neuen Eigentümer übernommen wurde, der nun plant, den historischen Speicher in moderne Wohn- und Geschäftsflächen umzuwandeln.

Die Geschichte der Familie Ahron steht für Mut zur Reform, unternehmerischen Weitblick und die Fähigkeit, Chancen zu nutzen – aber auch für die Vergänglichkeit gesellschaftlicher Errungenschaften. Der Ahron-Speicher am Hafen von Bützow bleibt als steinernes Zeugnis dieser bewegten Vergangenheit erhalten.

Im Gedenken an den Heimatforscher und Autor Fritz Hoßmann (1943–2025)

Fritz Hoßmanns Begeisterung für Bützow war ansteckend und inspirierend. Mit großem Engagement und unermüdlicher Leidenschaft widmete er sich der Erforschung und Dokumentation eines Teils unserer Stadtgeschichte. Seine zahlreichen Veröffentlichungen haben das historische Bewusstsein in Bützow nachhaltig geprägt und gefördert.

Die von ihm geschaffenen Werke sind eine unschätzbare Ressource für alle, die sich mit der Geschichte unserer Stadt beschäftigen, und werden auch in Zukunft eine bedeutende Grundlage für das Verständnis und die Wertschätzung unseres kulturellen Erbes bilden. Durch sein Wirken hat Fritz Hoßmann das Leben vieler Menschen bereichert. Er hat das Erbe unserer Stadt bewahrt, gestärkt und für kommende Generationen lebendig gehalten. Sein Vermächtnis wird unvergessen bleiben.

Text und Bilder: ^Markus Göllnitz