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Bützower Landkurier
Ausgabe 9/2025
Nachrichten aus der Stadt Bützow und dem Amt Bützow-Land
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Die Kornspeicher von Bützow, Teil 3

Anzeige der Eisengießerei von Julius Jeppe

Anzeige der Handelsgesellschaft H. Josephy (Auszug aus dem Bützower Adressbuch, 1920er Jahre)

Der Josephy-Speicher von der Gleis- und Hofseite

Vom ersten Industriekomplex zur Papierfabrik und Getreidehandlung – der Josephy-Speicher in der Bahnhofstraße 35

Den Auftakt gab Julius Jeppe (1821 - 1893), Sohn des Rostocker Ökonomierats und Beraters des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin, der 1858 mit seiner Familie nach Bützow zog. In der Eisenbahnstraße (heute Bahnhofstraße 35) gründete er die „Landwirtschaftliche Maschinenbauanstalt und Eisengießerei“ – die erste Industrieanlage der Stadt und zugleich der Startschuss für die industrielle Entwicklung der gesamten Region. Mit dem Verkauf der Fabrik und der Auswanderung der Familie Jeppe Anfang der 1870er Jahre endete das erste Kapitel der Industrialisierung in Bützow, doch das Gelände blieb weiterhin ein zentraler Ort der Stadtgeschichte.

Einen weiteren Abschnitt schrieb der Maschinenbaupionier Rudolph Dolberg (1834 - 1893), der bereits 1855 nach Bützow gekommen war. Nach Tätigkeiten als kaufmännischer Angestellter in Schwaan und Bützow erwarb er 1861 das Bürgerrecht und gründete ein Geschäft für Getreidehandel und Geräteverleih. 1867 folgte die Gründung der Torfmaschinen- und Ziegelpressenfabrik R. Dolberg, die sich rasch entwickelte. Ab 1870 spezialisierte er sich auf landwirtschaftliche Maschinen und übernahm das Areal in der Bahnhofstraße 35. Dank seiner Innovationen erlangte er überregionale Bekanntheit. 1874 verlagerte er das expandierende Unternehmen nach Rostock und leitete damit einen erneuten Wandel des Industrieareals in Bützow ein.

Neben der Bleeck’schen Papiermühle vor dem Rühner Tor entstand 1875 in der Eisenbahnstraße eine weitere Produktionsstätte: die heute fast vergessene Papierfabrik „Burmeister & Fromm“ aus Rostock. Dort wurde ausschließlich Papier aus Weizen- und Roggenstroh hergestellt. Das Stroh wurde zunächst gehäckselt, anschließend mit Wasser und Kalk unter Dampfdruck gekocht und in Mühlen zu Faserstoff vermahlen. Schließlich erfolgte die Verarbeitung in der Papiermaschine zu gelblichem Strohpapier ohne Leimzusatz. Nach dem Trocknen, Aufrollen und Zuschneiden war das Endprodukt fertiggestellt.

Die Inbetriebnahme der Fabrik stieß jedoch auf erheblichen Widerstand aus der Nachbarschaft, die Feuergefahr, gesundheitliche Beeinträchtigungen und Lärmbelästigung befürchtete. Eine öffentliche Anhörung sowie eine Begutachtung durch Sachverständige bestätigten jedoch, dass keine Gefährdung zu erwarten sei.

Bereits 1886 verkauften Burmeister & Fromm die Fabrik an den Kaufmann Eduard Gebert, der mit der Tochter des Bützower Lotterie-Collecteurs Bernhard Dorn verheiratet war. Nach 17 Jahren musste Gebert Konkurs anmelden. Im Adressbuch von 1908 wurde die Papierfabrik schließlich als Eigentum der Rostocker Bank A.G. verzeichnet.

Parallel entwickelte sich die in Schwaan ansässige Familie Josephy zu einem bedeutenden Akteur der regionalen Wirtschaft. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründeten sie ein Produktengeschäft mit angeschlossenem Pferdehandel, aus dem später die H. Josephy Getreide-, Woll-, Produkt- und Pferdehandlung hervorging. Das Unternehmen expandierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Rostock und erweiterte sein Sortiment um Saatgut, Düngemittel und Futtermittel.

Ab 1904 führten Albert, Siegmund, Otto und Heinrich Josephy die weithin bekannte Firma, die Eigentümer von Speichern in Schwaan und Rostock war. Nach dem Ersten Weltkrieg führten moderne Düngemittel, neue Bodenbearbeitungsgeräte und Erntemaschinen zu deutlichen Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft, während Lastkraftwagen zunehmend die Pferdefuhrwerke verdrängten. Die Handelsgesellschaft H. Josephy konzentrierte sich immer stärker auf den Handel mit Getreide, Kartoffeln, Futtermitteln, Düngemitteln und Sämereien sowie auf den Verkauf und die Reparatur von Landmaschinen.

1922 erwarb die Firma das großzügige Grundstück Bahnhofstraße 35 von der Rostocker Bank A.G., das über einen direkten Gleisanschluss verfügte. Als Geschäftsführer der Bützower Filiale wurde Gustav Josephy, Sohn des Mitinhabers Siegmund Josephy, eingesetzt. Die ehemaligen Gebäude der Papierfabrik wurden in eine Reparaturwerkstatt für Landmaschinen umgebaut und erhielten zusätzliche Anbauten.

Da das gut ausgebaute Eisenbahnnetz höhere Kapazitäten, höhere Zuverlässigkeit und eine deutlich effizientere Abwicklung des Massengüterverkehrs bot als der damals noch wenig entwickelte Straßenverkehr, wurde auf dem Gelände zudem ein neuer Getreidespeicher direkt am Bahngleis errichtet. In diesem Zeitraum wurde außerdem der Speicher am Markt abgetragen, wobei das Baumaterial des abgebrochenen Speichers für den Neubau wiederverwendet wurde. Die Lagerflächen im Inneren bestanden aus offenen Speicherböden, getragen von robusten Holzbalken oder Eisenkonstruktionen.

Die Fassaden wurden durch markant hervortretende, gemauerte Lisenen gegliedert, während die dazwischenliegenden Flächen verputzt waren. An der Vorderseite prangte ein großformatiger gemalter Schriftzug mit der Aufschrift „H. Josephy, Bützow“.

Mit der Gründung der Zweigniederlassung erwarb die Firma außerdem die Prahst’sche Villa in der Bahnhofstraße 34, die als Kontor und Wohnhaus genutzt wurde. Nach der Weltwirtschaftskrise musste H. Josephy 1929 Konkurs anmelden. Die Raiffeisen-Genossenschaft übernahm den Handel, den Kornspeicher und einige Lagerräume, während die Firma Stahlfast die Reparatur landwirtschaftlicher Maschinen fortführte.

Nach 1950 wurden die Raiffeisen-Genossenschaften in der DDR zu Bäuerlichen Handelsgenossenschaften (BHG) umgewandelt. Damit verloren sie ihre Eigenständigkeit und wurden zu Instrumenten staatlicher Wirtschaftspolitik. Im ehemaligen Gebäudeteil der Reparaturwerkstatt siedelte sich der VEB Dienstleistung Bützow mit dem Betriebsteil Wäscherei an.

Die Geschichte der ersten Industrieanlage und des Josephy-Speichers steht exemplarisch für den stetigen Wandel eines Ortes, der über Generationen hinweg Motor wirtschaftlicher Entwicklung war und bis heute als eines der letzten Zeugnisse der Industriegeschichte Bützows erhalten geblieben ist. Leider sind derzeit weder eine neue Nutzung noch Sanierungsarbeiten auf dem Grundstück oder am Speicher geplant, sodass den historischen Bauten womöglich das Schicksal vieler bereits abgebrochener Gebäude der Stadt droht.

Fortsetzung folgt.

Markus Göllnitz