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Kiek Rin
Ausgabe 10/2024
Liebe Leser,
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Wider das Vergessen - für die menschliche Würde

Als die Gemeinde Feldberger Seenlandschaft nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 daran festhielt, zentrale Veranstaltungen zum 8. Mai am sowjetischen Ehrenmal im Kurpark zu organisieren, mussten wir uns als Organisatoren-Team harsche Kritik anhören.

Wir haben uns mit den Kritikern inhaltlich auseinandergesetzt und haben trotz allem weiterhin würdevolle Feierstunden am Mahnmal mit vielen Gästen und den Schülerinnen und Schülern der Hans-Fallada-Schule begehen können. Fast 80 Jahre nach dem Kriegsende und der totalen Kapitulation Deutschlands kann es nicht darum gehen, zu richten.

Es geht darum, historische Sachverhalte in die damalige Zeit einzuordnen und nicht aus gesicherter Perspektive - fast 80 Jahre später - alles besser zu wissen. Es geht nicht darum, einer sowjetischen Diktatur zu huldigen, die sich wie alle Parteien im Zweiten Weltkrieg schwerster Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat. Aber: Wir wurden durch die Alliierten und damit auch von der damaligen Sowjetunion als alliierter Partner von Frankreich, der USA und Großbritanniens vom Nationalsozialismus befreit. Das deutsche Volk hat sich dieser Geißel nicht alleine entledigen können und die für uns zu würdigende Leistung der damaligen Sowjetunion ist die Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus.

Den höchsten Blutzoll haben die Völker der Sowjetunion gezahlt, allen voran Weißrussen, Ukrainer und Russen. Daran wollen wir erinnern: Dass jeder einzelne Zivilist, jeder Soldat, jedes Kriegsopfer einen Körper und eine Seele hatte.

Jetzt, in Vorbereitung der Gedenkstunde zur Reichsprogromnacht am 9. November 2024 auf dem jüdischen Friedhof in Feldberg, ereilt uns dieselbe Situation.

Der 7. Oktober 2023 war ein Tag, an dem jeder noch irgendwie weiß, wo er war, als er erfahren hat, dass die Hamas ein Musikfestival und damit den Staat Israel im Nahen Osten angegriffen hat.

Die Toten und die immer noch in Haft befindlichen Geiseln haben nur noch wenig Präsenz in der Diskussion. Israel-Hasser und Antisemiten finden durch diesen schrecklichen Konflikt wieder an die Oberfläche, weil auch Israel in seinem Abwehrkampf erhebliche Menschenrechtsverletzungen in Gaza und im Libanon begeht. Hier wird in einem Krieg - wie immer und überall - schreckliches menschliches Leid verursacht; die Leiden der Zivilbevölkerung, besonders die der Kinder, sind auf beiden Seiten grauenvoll.

Trotz allem halten wir am Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger am 9. November fest.

Feldberg verfügte erst ab ca. 1850 über jüdische Mitbewohner. Der zeitlich früheste Nachweis stammt aus dem Jahr 1862, wonach in diesem Jahr nur ein Jude in Feldberg ansässig war, sehr wahrscheinlich ein Mitglied der späteren Kaufmannsfamilie Philippson, die bis zum Ende der jüdischen Geschichte Feldbergs einen Großteil der hiesigen Judenschaft stellte und mit dem Ort eng verbunden war. Die jüdische Gemeinschaft von Feldberg war allerdings mit stets wohl unter zehn Mitgliedern außerordentlich klein und dies muss auch der Grund dafür gewesen sein, dass die Feldberger Juden nie eine eigene körperschaftliche Gemeinde bildeten, sondern als solche immer der Israelitischen Gemeinde von Mirow angehörten.

Es waren Mitbürgerinnen und Mitbürger, die das gesellschaftliche Miteinanders prägten. Bis die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen.

Unter diesem Druck der Nationalsozialisten, in diesem Fall konkret ausgeübt durch den damals amtierenden Bürgermeister, mussten sowohl der Komponist Robert Kahn als auch der Feldberger Kaufmann Philippson ihre Häuser zwangsweise veräußern, sie wurden gewissermaßen enteignet.

Mindestens fünf ehemalige Bürgerinnen und Bürger der Familien Philippson und Hallinger wurden Opfer des Holocaust. Während Robert Kahn nach Großbritannien emigrierte, wurden Rosy und Ferdinand Philippson nach in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort verhungerte Rosy Philippson 1944, Ferdinand Philippson überlebt das Grauen und kehrt an seinen Wohnort Feldberg zurück.

Die Beerdigung von Ferdinand Philippson im Jahr 1959 war die letzte auf dem jüdischen Friedhof, dort erinnert ein Grabstein an ihn.

Wir gedenken anhand dieser Schicksale unserer Mitbürger, die unseren Eltern und Großeltern noch persönlich bekannt waren.

Somit möchte ich Sie zu Sonnabend, den 9. November 2024 um 17:00, Uhr auf den jüdischen Friedhof nach Feldberg einladen, um gemeinsam mit der Kirchengemeinde Wanzka, dem Kulturverein und Schülerinnen und Schülern der Hans-Fallada-Schule eine Feierstunde zu begehen. Wir möchten das Andenken dieser Menschen in Ehren halten und sind voller Demut.

Ihre Constance von Buchwaldt

Bürgermeisterin