Titel Logo
Kiek Rin
Ausgabe 5/2025
Zur Sache
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Liebe Leserinnen und Leser,

die Gemeinde Feldberger Seenlandschaft veranstaltete anlässlich des Kriegsendes 1945 eine Gedenkveranstaltung zum 8. Mai am sowjetischen Ehrenmal im Feldberger Kurpark.

Wortbeiträge hielten die Bürgermeisterin Constance von Buchwaldt, der Gemeindevertretervorsteher Robert Gardlowski und Sylvia Brettschneider vom Kulturverein Feldberger Land e.V.

Musikalisch umrahmt wurde das Programm vom Trompeter Herrn Witt.

Auszugsweise drucken wir die Ansprache der Bürgermeisterin zum Gedenken ab:

„Sehr geehrte Damen und Herren aus Kommunalpolitik und Verwaltung, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste,

vielen Dank, dass Sie heute in den Kurpark gekommen sind.

Was für junge Menschen eine head-line oder eine Schlagzeile in den Medien ist, bewerten wir als epochales Ereignis. 80 Jahre Kriegsende. In diesem Zusammenhang stehen auch 35 Jahre Wiedervereinigung Deutschlands.

Ein Angriffskrieg, 1939 von Deutschland ausgehend, endete am 8. Mai 1945 um 23:01 Uhr mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. Auf den europäischen Kriegsschauplätzen schwiegen die Waffen. Die Geschichtsschreibung schätzt, dass der 2. Weltkrieg rund 55 Millionen Opfer forderte, die meisten waren Zivilistinnen und Zivilisten. Alleine in der damaligen Sowjetunion verloren 27 Millionen Menschen ihr Leben, vor allem Ukrainer und Weißrussen. Hinzu kommen sechs Millionen Jüdinnen und Juden sowie hunderttausende Sinti und Roma, die aus antisemitischen und rassistischen Gründen industriell vernichtet wurden. Weite Teile Mitteleuropas waren verwüstet, lagen in Trümmern, Millionen Menschen aus den östlichen Gebieten des untergegangenen „Dritten Reiches“ flüchteten vor der Front, verloren ihre Heimat, wurden nun selbst vertrieben, versuchten ihr Leben zu retten, indem sie sich Trecks anschlossen. Sie suchten in den zerbombten Städten ein neues Zuhause.

Mehr als eine halbe Million Deutsche überlebten die alliierten Luftangriffe nicht.

Das Kriegsende, und damit den 8. Mai 1945, empfanden weite Teile der Deutschen als „Stunde Null“. Die Angst vor der Zukunft kennzeichnete die Nachkriegsjahre genauso, wie die Abkehr von der gewaltvollen Vergangenheit, die vielfach verdrängt und ausgeblendet wurde.

Der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, beschrieb die Situation so: Im Grunde genommen bleibt der 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie für jeden von uns Deutschen. Warum? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.

Die Erinnerungskultur in den geteilten deutschen Staaten veränderte sich. In der DDR wurde der 8. Mai als „Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus“ zelebriert. In der Bundesrepublik war das anders. Bis dahin hatten weite Teile der Gesellschaft diesen Tag vielmehr als Niederlage, Katastrophe, Kapitulation, Zusammenbruch verstanden.

Als Wendepunkt wird heute die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker gesehen, der 1985, also vor 40 Jahren, während seiner Gedenkrede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes den Tag der Kapitulation zu einem Tag der Befreiung umdeutete. Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Der 8. Mai 1945 ist ein Tag der Erinnerung.

Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Inneren wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit.

Wir gedenken heute in Trauer aller Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft.

Wir gedenken der sechs Millionen Juden, die in deutschen KZ ermordet wurden.

Wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem der unsäglich vielen Bürger der Sowjetunion, unter ihnen besonders viele Ukrainer und Weißrussen, sowie Polen, die ihr Leben verloren haben.

Als Deutsche gedenken wir in Trauer unserer eigenen Landsleute, die als Soldaten, bei den Fliegerangriffen in der Heimat, zu Land, zu Wasser in Gefangenschaft und bei der Vertreibung ums Leben gekommen sind.

Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugung willen sterben mussten. Wir gedenken der erschossenen Geiseln.

Wir denken an die Opfer des Widerstandes in allen von Deutschland besetzten Staaten.

Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen über den Bund deutscher Offiziere, des glaubensbegründeten Widerstands, des Widerstandes der Arbeiterschaft, der Gewerkschaft und des Widerstands der Kommunisten.

Wir gedenken deren, die nicht aktiv Widerstand leisteten, aber eher den Tod hinnahmen, als ihr Gewissen zu beugen.

Neben dem unübersehbar großen Heer der Toten erhebt sich ein Gebirge menschlichen Leids,

Leid um die Toten,

Leid durch Verwundung und Verkrüppelung,

leid durch unmenschliche Zwangssterilisierung,

Leid in Bombennächten,

Leid durch Flucht, Vertreibung, durch Vergewaltigung und Plünderung, durch Zwangsarbeit, durch Unrecht und Folter, durch Hunger und Not,

Leid durch Angst vor Verhaftung und Tod,

Leid durch Verlust all dessen, woran man irrend geglaubt und wofür man gearbeitet hatte.

Den vielleicht größten Teil dessen, was den Menschen aufgeladen war, haben die Frauen der Völker getragen.

Ihr Leiden, ihre Entsagung und ihre stille Kraft vergisst die Weltgeschichte nur allzu leicht. Sie haben gebangt und gearbeitet, menschliches Leid getragen und beschützt. Sie haben getrauert um die gefallenen Väter, Söhne, Männer, Brüder und Freunde.

Das Grauen des 2. Weltkrieges spielte sich auch in unserer Nähe ab.

Das KZ Ravensbrück wurde 1939 als das größte deutsche Frauen-Konzentrationslager eingerichtet. Es waren zum großen Teil polnische Frauen, die dort interniert, gequält, ausgebeutet und zwangssterilisiert wurden. 130.000 Frauen durchliefen das Lager, sie arbeiteten innerhalb und außerhalb des Lagers.

U.a. hatte das Unternehmen Siemens(1) einen Standort errichtet. In Ravensbrück war der Berliner Elektrokonzern Siemens & Halske das erste Privatunternehmen, wo weibliche KZ-Häftlinge zur Zwangsarbeit genötigt wurden. Dafür hatte der Konzern im Sommer 1942 in unmittelbarerer Nähe des KZ Ravensbrück eine Fertigungsstätte mit später insgesamt 20 Werkshallen aufgebaut.

Die Rote Armee erreichte das Lager am 30. April 1945. Der Schrecken ist kaum darstellbar.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte die Auflösung des KZ Ravensbrück und des gesamten Netzwerkes der dazugehörigen Nebenlager mit sich. Dies bedeutete für die weiblichen Häftlinge, die diese Hölle auf Erden, die unter Adolf Hitler geschaffen wurde, überlebt haben, nun nach Hause zurückkehren zu können.

Erschöpfende Arbeit, Hunger brutale Behandlung, Demütigung sowie Mord und kriminelle medizinische Experimente führten zum Tode von über 90.000 Frauen. Diejenigen, die überlebten, waren für den Rest ihres Lebens vom Trauma des Lagers gezeichnet.

Die heutigen Generationen der Einwohner unserer Länder sind es den Opfern dieser unmenschlichen Praktiken schuldig, sich an sie zu erinnern und die Wahrheit über ihr Schicksal zu erzählen. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieses und andere KZ das Ergebnis krimineller, aber gleichzeitig zuvor durchdachter und vorbereiteter systemischer Entscheidungen des damaligen deutschen Staates waren. Umgesetzt mithilfe eines organisierten Apparats aus Beamten und Polzisten. Dies ist eine wichtige Warnung für die Zukunft.

Ergänzende Information

(1) Konzerne: Verantwortung für NS-Unrecht. Erklärung deutscher Unternehmen zum 8. Mai

Die Vorstandsvorsitzenden von 49 deutschen Unternehmen haben zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren erklärt, dass die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 ohne das Versagender damaliger Entscheidungsträger in Politik, Militär, Justiz und Wirtschaft nicht denkbar gewesen wäre.

„Deutsche Unternehmen trugen dazu bei, die Herrschaft der Nationalsozialisten zu festigen. Auf ihren eigenen Vorteil bedacht, waren viele Unternehmen und ihre damaligen Akteure verstrickt.“

Die Vorstandsvorsitzenden, deren Initiative auf Bayer, BASF, Evonik und Siemens zurückgeht, vertreten darüber hinaus, unter anderem die Allianz, Adidas, BMW, die Commerzbank, die Deutsche Bank, Telekom, Lufthansa, Rheinmetall, Thyssenkrupp und Volkswagen. Sie schreiben: „Heute übernehmen wir als deutsche Unternehmen Verantwortung, die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit sichtbar zu machen. Denn diese Verbrechen mahnen uns, die Zerbrechlichkeit der Demokratie immer wieder zu erkennen“. Einen Schlussstrich werde es „mit uns nicht geben.

Demokratie lebe vom Mittmachen - und vom Widerspruch. Sie braucht Haltung und Mut. 1933 und danach waren zu viele still, haben weggesehen und geschwiegen. Daraus erwächst unsere Verantwortung - für die Vergangenheit, für die Gegenwart und für die Zukunft.“

Die vollständige Erklärung ist unter faz.net/erklaerung-8Mai zu lesen.

Quelle FAZ 8. Mai 2025

Constance von Buchwaldt

Bürgermeisterin