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KAISERBÄDER-BOTE
Ausgabe 1/2024
Wissenswertes
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Von der Legende zur Wahrheit

Amtlicher Anzeiger und Kurliste des Seebades Ahlbeck, 1910

Um die Erlaubnis, außerhalb von Badeanstalten im Meer baden zu dürfen - das Freibaden – kursieren in den Kaiserbädern ebenfalls unterschiedliche Darstellungen. Hierbei geht es hauptsächlich um den Anspruch Banins, 1923 als erster Ort an der Ostseeküste fortschrittliche Ideen gehabt zu haben, um den Badegästen eine bahnbrechende Neuigkeit bieten zu können. Denn bisher durfte man nur von den Badeanstalten aus ins Wasser gehen.

Körperpflege, Duschen, Baden - für uns heute eine Selbstverständlichkeit. Das war nicht immer so. Nach einer regelgerechten „Badekultur“, man denke an die Thermen der Römer, die Badepaläste der arabischen Welt und die bis zum 30-jährigen Krieg gängigen Badestuben, gewann die Lehrmeinung, das gemeinsame Baden fördere Krankheiten und das Wasser dringe in die Haut ein, an Bedeutung. Es wurde als schädlich angesehen. Stattdessen puderte und parfümierte man sich.

Diese Sichtweise hielt sich bis ins 18. Jahrhundert. Der englische Arzt John Floyers veröffentlichte 1702 die Schrift „Versuch zu beweisen, daß Kaltes Baden gesund und nützlich sey“. Er empfahl darin das Baden in Flüssen, in Seen und auch zu Hause. Bald wurde das Baden zur medizinische Anwendung, die sog. Hydrotherapie (Wasserheilkunde) zunächst für reiche Patienten in England. Ärzte bemerkten, dass die Menschen an den Küsten im Durchschnitt gesünder und robuster waren und die Thalassotherapie (heilende Kraft aus und an dem Meer) gewann an Bedeutung. Diese war auch die Grundlage für die Gründung des ersten deutschen Ostseebades Heiligendamm 1793,

welches zunächst v.a. der deutsche Adel besuchte. Doch bald wurde das Baden zum Trend auch für begüterte Bürgerschichten. Lauterbach/Rügen, Swinemünde und Heringsdorf folgten als Seebäder. Im Laufe der folgenden Jahre wandelte sich dann das Baden von einer medizinischen Behandlung zum Vergnügen.

Doch die Moralvorstellungen der damaligen Zeit erforderten die strikte Geschlechtertrennung. Das erreichte man zunächst durch den Einsatz von Badekästen, die von einem verankerten Boot aus ins Wasser gelassen wurden (im Volksmund Aalkasten genannt). Dann kamen Badekarren auf, die mit Pferden ins Wasser gezogen wurden und schließlich errichtete man Badeanstalten: Damenbad, Herrenbad, Familienbad. Nur von ihnen aus war das Baden möglich.

Allerdings war es nicht ausschließlich eine Frage der Sittlichkeit, sondern auch der Sicherheit. Das Meer war und ist nicht gefahrlos. Auch wer des Schwimmens mächtig war, konnte ertrinken. So wurden Bademeister angestellt und Rettungseinrichtungen angeschafft.

Außerhalb der Badeanstalten konnte man Sonnen- oder Luftbaden - man durfte nur nicht ins Wasser gehen. Wer es trotzdem tat, musste eine Strafe zahlen.

Doch nach dem 1. Weltkrieg und dem Untergang des Kaiserreiches setzte auch ein anderes Denken ein. Zwänge fielen, das allgemeine und gleiche Wahlrecht wurde eingeführt, auch Frauen durften wählen und die Gewerkschaften wurden von Unternehmern als gleichberechtigte Vertragspartner anerkannt. Der Alltag änderte sich für alle Schichten, ebenso wie das öffentliche Erscheinungsbild. Bisher galt luftige Bekleidung als anstößig, man zeigte sich geschnürt und züchtig. Eine neue Kleidermode führte zu mehr Bewegungsfreiheit, was auch das Sonnenbaden am Strand erleichterte.

Wie passten dazu die Vorschriften, Badeanstalten nutzen zu müssen?

Der Unmut der Gäste regte sich: warum konnte man nicht außerhalb der Badeanstalten ins Wasser gehen? Das sogenannte Freibaden wurde immer öfter gefordert und mancherorts wurde der Ruf gehört.

1895 hatte sich nach dem Vorbild anderer Verbände der „Verband der Pommer´schen Ostseebäder“ gegründet, um die Zusammenarbeit der Badeverwaltungen und Badeärzte zu fördern und als Bädergemeinschaft effektiver für die Badeorte zu werben. Fünf Jahre später ging dieser in den „Verband Deutscher Ostsee-Bäder“ über, dessen erster Geschäftsführer Dr. Delbrück aus Heringsdorf war. Der Verband hatte schon zu Beginn 69 Mitglieder, von Kolberg bis Travemünde. Im jährlich herausgegebenen „Führer durch die Badeorte des Verbandes Deutscher Ostsee-Bäder“, später „Die Deutschen Ostseebäder“ konnten die Badedirektionen der einzelnen Seebäder ihren Ort von 1900 bis 1933 bewerben. Zusätzlich gaben sie ausführlichere Broschüren heraus. Für alle Texte waren sie selber verantwortlich.

Im o.a. Führer des Verbandes kündigte Bansin 1921 an: „Unterhalb des Langen Berges ist auf vielseitigen Wunsch der Badegäste ein offenes Bad eingerichtet. Hier können Luft-, Licht- und Seebäder außerhalb der Badeanstalten, die jedoch nach wie vor bestehen bleiben, genommen werden. Bansin ist mit dieser Einrichtung der offenen Bäder mit das erste Ostseebad, welches diese Neuerung einführen wird.“ Und 1922 hieß es für Bansin schon „… die Neuerung eingeführt hat.“ Im selben Jahr wirbt Baabe auf Rügen im o.a. Führer mit der Überschrift „Freibad – Anstaltsbaden - freies Baden, allergrößte Bewegungs- und Willensfreiheit“, ohne Festlegung eines bestimmten Strandabschnittes.

War man sich von Seiten der Badedirektion in Bansin nicht sicher, ob dieses „Freibaden“ nicht doch Anstoß erregen könnte? Warum hat man dafür einen Platz gewählt, der recht weit entfernt von den Badeanstalten und Unterkünften lag? Diesen Abschnitt musste man schon bewusst ansteuern.

Es sieht so aus, als ob die Entscheidung für das Freibaden von örtlichen Badeverwaltungen getroffen wurde. Denn schon wenige Kilometer ostwärts von Bansin, in Ahlbeck, gab es 1922 noch keine solchen Freiheiten, im Gegenteil.

So liegt uns der Beschwerdebrief eines „langjährigen Besuchers des Ostseebades Ahlbeck“ vor – an den Oberpräsidenten Julius Lippmann in Stettin gerichtet. Am 6. Juni 1923 weist der Berliner Gast Leo Lindenfeld auf „die unzeitgemässen und unwürdigen Badeanstalten“ hin. Er beklagt sich auch über die Zustände in diesen („keinerlei Strand“, „überhaupt kein Platz“ und dass „die Menschen an schönen Tagen wie in einer Sardinenbüchse beieinander liegen“) und sei somit – „wie viele Badegäste“ mit seiner Familie „notgedrungen dazu übergegangen, außerhalb der Badeanstalten zu baden. Das hat uns mehrfach Polizeistrafen eingetragen.“

Er wisse, dass Freibaden „in vielen Badeorten der Ostsee und an der Nordsee ganz allgemein erlaubt sei“ und bittet, die “Ahlbecker Badeverwaltung anzuweisen, auch in Ahlbeck das Baden außerhalb der Badeanstalten zu gestatten.“

Und damit kommt die Oberste Verwaltungsbehörde ins Spiel. Ganz ohne die Meinung seiner zuständigen Untergebenen zu kennen, will der Oberpräsident nicht handeln und bittet die Regierungspräsidenten in Stettin und Stralsund um ihre Stellungnahme. Außer dass Fragen der Moral und des Anstandes nicht außer acht gelassen werden dürften, müsse auch geklärt werden, ob die Sicherheit der Badegäste zu gewährleisten sei.

Am 26. Juni 1923 hatte der Landrat Gustav Hunger aus Swinemünde dem Regierungspräsidenten bereits mitgeteilt: „Das Baden außerhalb der Badeanstalten zu gestatten, ist in allgemeinem sicherheitspolizeilichen Interesse nicht angängig.“

Der Regierungspräsident von Stettin, Dr. Leopold Höhnen scheint eine gänzlich andere Meinung zu haben.und leitet am 27. Juli 1923 die Stellungnahme des Ortsvorstehers von Ahlbeck an den Oberpräsidenten weiter.

Dieser schrieb, dass es nach seinem Dienstantritt am 1. Oktober 1922 sein erstes größeres Werk gewesen sei, „ Ahlbeck in Bezug auf das Badewesen einer gründlichen Revision zu unterziehen und insbesondere die veralteten Anordnungen früherer Jahrzehnte einer neuen freiheitlicheren Auffassung zu Liebe über Bord zu werfen.“ Und weiter: „ Alles das was Beschwerdeführer glaubt, gegen die Vergangenheit vorbringen zu können, wird er bei seiner hoffentlich recht baldigen Ankunft in Ahlbeck nicht mehr vorfinden.“ Und er berichtet von dem neuen ca. 200 m langen Freibad an der Grenze zu Heringsdorf, das „die höchsten Erwartungen des Beschwerdeführers erfüllen dürfte.“

Auch für die Sicherheit der Badegäste sei gesorgt: Fachpersonal, Rettungsboote und Rettungseinrichtungen werden an diesem Strandabschnitt zur Verfügung stehen.

Demnach war in Ahlbeck bereits 1923 das Freibaden möglich. Dies wird durch die Anzeige im o.a. Führer des Verbandes bestätigt: „Ein modernes Freibad, je ein Herren-, Damen-, und Sonnenbad“ Und man geht sogar noch weiter, es heißt „sämtliche Seebäder können kostenlos benutzt werden“.

Aber Dr. Höhnen hat trotzdem die Sorge, „ daß trotz Vergrößerung der Badeanstalten bei starkem Andrang auch noch häufig ein lästiges Warten stattfinden wird und meine deshalb, es solle die Erlaubnis zum Baden auch außerhalb der Badeanstalten, z.B. vom Strandkorb aus, an dazu bestimmten für diesen Zweck reservierten eine geeignete Bewachung ermöglichenden Teilen des Strandes erteilt werden.“

Folgerichtig plant er: „Ich beabsichtige, die Bäder meines Bezirkes für die nächstjährige Badesaison mit entsprechender Weisung zu versehen, wie dies, soweit mir bekannt, bereits im Regierungsbezirk Stralsund für die darin gelegenen Bäder geschehen ist und dort bereits jetzt gehandhabt wird.“

Doch der dortige Regierungspräsident Dr. Hermann Haußmann hat mit der Freibadeerlaubnis wohl nicht nur positive Erfahrungen gemacht. In seinem Bericht an den Oberpräsidenten vom 18. September 1923 ist zu lesen: „Die in den Badeorten meines Bezirks bestehenden Mängel und Unzuträglichkeiten haben mich veranlaßt, ein Muster für Einzelpolizeiverordnungen … zu entwerfen. Inwieweit sich die Anordnung bewährt hat, läßt sich zur Zeit noch nicht sagen, da die Verordnungen erst gegen Ende dieser Badesaison erlassen sind. … Ich werde in Erwägung ziehen, ob es sich nicht ermöglichen lässt, eine einzige Polizeiverordnung für alle Bäder des Bezirks zu erlassen.“ Eine Polizeiverordnung für Göhren ist beigefügt, die schon am 13. Juni 1923 von ihm genehmigt worden war.

Diese wird Grundlage für die „Polizeiverordnung betreffend das Freibaden in den Seebädern des Regierungsbezirks Stettin“, vom 5. Juni 1924, veröffentlicht im Amtsblatt 24 der Preußischen Regierung zu Stettin vom 14. Juni 1924.

Somit ist das Freibaden auch im gesamten Regierungsbezirk Stettin zugelassen und kann nun von den Badedirektionen rechtssicher umgesetzt werden.

Für den Regierungsbezirk Stralsund liegt eine entsprechende Polizeiverordnung vom 28. Juni 1924 vor.

Während der Werbetext im o.a. Führer von Bansin 1925 immer noch das Freibaden am Langenberg beinhaltete, änderte Ahlbeck den Text in : „Es ist nicht unbedingt nötig, daß der Badende die Badeanstalt aufsucht. Es steht ihm frei, sich in seinem Strandkorb auszuziehen und von da aus zu baden. Eine Betreuung der Badenden bei diesem Freibaden findet allerdings nur in dem Freibade und den beiden Familienbädern statt.“

Die Badeanstalten blieben also zunächst bestehen. Hans Werner Richter schreibt in seinem Buch „Geschichten aus Bansin“ von seinem Vater, „… nach der Inflation war mein Vater bereits Bademeister, ein Bademeister unter anderen Bademeistern.“