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KAISERBÄDER-BOTE
Ausgabe 9/2023
Vereine und Verbände
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„Legende und Wahrheit I“

Märchen, Sagen und Legenden gibt es auf der ganzen Welt - Usedom ist da keine Ausnahme. Dann gibt es Geschichten, von deren Wahrheitsgehalt der Erzähler überzeugt ist. Dazu gehört zum Beispiel die der Namensgebung Heringsdorfs.

Es soll der Kronprinz, der spätere König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, gewesen sein, der am Strand bei der Heringspackstation des Herrn von Bülow nach Aufforderung diesen Namen genannt haben soll.

Diese Version beruht wahrscheinlich auf der Novelle „Meerschaumflocken“ von Willibald Alexis, der darin 1836 von einem Prinzen schrieb, der für den Namen „Heringsdorf“ verantwortlich war.

1850 war bei Wilhelm Ferdinand Gadebusch in seiner „Statistik der Insel Usedom“ bereits vom Kronprinzen die Rede. Der Königliche Rentmeister sammelte über viele Jahre hinweg Belege aus Geschichtsbüchern und Archiven über seine Heimat Usedom. So wird es noch heute mündlich und schriftlich verbreitet.

Wir - Karin Buchholz (zweite Vorsitzende) und Brigitte Fürhoff vom Geschichtsverein der Kaiserbäder Ahlbeck-Heringsdorf-Bansin - haben begonnen, nach Quellen zum Vorgang der Namensgebung zu forschen.

Anlass waren die geplanten und coronabedingt ausgefallenen Feiern zum 14. Juli 1820 - der Tag, an dem der Name Heringsdorf erstmals amtlich genannt worden war. Über das Ergebnis hatten wir bereits im Kaiserbäder-Boten von Mai 2021 ausführlich berichtet. Danach waren die Prinzen Wilhelm - der spätere deutsche Kaiser Wilhelm I. - und Carl anwesend, als am 5. Juni 1820 am Heringspackhaus eine Tafel mit dem Namen „Heringsdorff“ aufgestellt wurde.

Österreichische Archive durchforstet

Während uns bei diesen Recherchen das Internet noch nicht helfen konnte und wir auf Kopien der Originalakten zurückgreifen mussten, gestaltete sich die Sache mit der Legende um den angeblichen Aufenthalt des Kaisers Franz Joseph I. von Österreich ganz anders: Erster Anlass, Licht in diesen Besuch zu bringen, war die Absicht, im Rahmen des Projektes „Erlebnispfad“ Franz Joseph als Protagonisten für die Stele vor dem Hotel „Ahlbecker Hof“ auszuwählen.

Da Wert auf die historische Korrektheit gelegt wurde, stellte sich sofort die Frage nach dem Datum. Hierzu gab es von keiner Seite eine Antwort - nur Hinweise wie „Das steht auf einem Schild am Ahlbecker Hof“, „das steht in einer Gästeliste von 1905 vom Hotel“, „da gibt es einen Bericht von einem Pastor aus Swinemünde, wo der Kaiser die Messe besucht hat“, „im Internet wird darüber berichtet“. Und schließlich ein Artikel in der „Ostsee Zeitung“ aus dem Jahr 1996, anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Kirche „Stella Maris“ in Swinemünde. In diesem konnte man die Geschichte nachlesen.

Aber all diese schriftlichen Zeugnisse sind keine Quellen und somit für die historische Forschung nicht relevant - das sind beispielsweise Dokumente aus Staatsarchiven. Das Österreichische Staatsarchiv und die Österreichische Nationalbibliothek sind bereits digitalisiert. Im Archiv sind sämtliche „Hofreisen“ des Kaisers Franz Joseph I. erfasst. Für die Zeit von 1895 bis 1910 hat Frau Buchholz die

Unterlagen durchgearbeitet.

Ernüchterndes Resultat nach Quellenforschung

Kaiser Franz Joseph I. kam in dieser Zeit nicht weiter als bis Stettin an Usedom heran. In der Bibliothek konnten Zeitungen aus dieser Epoche eingesehen werden. Eine regelrechte „Hofberichterstattung“ brachte das Blatt „Das Vaterland“, in der jeden Tag berichtet wurde, was am Hof geschah. Um nun ganz sicher zu gehen, haben wir uns die Mühe gemacht, den Aufenthalt des Kaisers für jeden einzelnen Tag des Jahres 1905 zu ermitteln.

Sein Terminkalender war dicht gedrängt, sogar während seines Aufenthaltes in Bad Ischl vom 4. Juli bis zum 3. September 1905 arbeitete er, empfing Besucher oder ging zur Jagd. Am 18. August wurde der Kaiser 75 Jahre alt und feierte im Kreis seiner Familie. Auch im restlichen Jahr gibt es keine Lücke, die es ihm erlaubt hätte, eine Reise nach Ahlbeck zu unternehmen. (Hierzu gibt es eine PDF-Datei, die auf Wunsch zur Verfügung gestellt werden kann.)

Das traurige Resultat dieser Forschungen: Kaiser Franz Joseph I. war nie auf Usedom.

Bekräftigt wird dieses Ergebnis durch den Inhalt zweier Bücher. Beide gehen zurück auf Eugen Ketterl, den Leibkammerdiener des Kaisers. Dieser beschrieb in seinem 1929 erschienen Buch „Der alte Kaiser wie nur Einer ihn sah“ detailliert den Alltag des Kaisers, natürlich auch dessen Reisen. Von Usedom, Ahlbeck oder Swinemünde ist nicht die Rede. Genauso wenig wie in dem Buch „Mit Kaiser Franz Joseph auf Reisen“ von Richard H. Kastner, das 2002 erschienen war und auf dem Nachlass von Eugen Ketterl fußt.

Vielleicht hätte man schon 1996 stutzig werden können, denn bei dem ordensgeschmückten Herrn in dem Artikel der OZ, unter dessen Bild „Kaiser Franz Joseph I.“ steht, handelt es sich nicht um den Kaiser. Woher das Bild stammt und wen es darstellt, konnte nicht geklärt werden.

Die Fortsetzung zu einer weiteren Legende folgt.

Karin Buchholz und Brigitte Fürhoff,
Geschichtsverein der Kaiserbäder Ahlbeck-Heringsdorf-Bansin