Eine Umfrage der Gleichstellungsbeauftragten Kröpelin.
Die Gleichstellung findet ihren Ursprung in der Emanzipation, aber wie wird heute eine Gleichstellung verstanden und welche Bereiche werden dabei hinterfragt? Der Weg zur Gleichstellung und Selbstbestimmung ist eine der bedeutendsten gesellschaftlichen Entwicklungen der Neuzeit. Hierbei wird ein langer Prozess beschrieben, in dem Menschen, besonders Frauen, sich aus rechtlicher, sozialer und wirtschaftlicher Abhänigkeit befreiten. Erstmalig im 17./18. Jahrhundert gab es eine Bewegung in Europa, vor allem in Frankreich und Großbritannien, die nach Aufklärung und Forderungen nach Frauenrechte strebte- die Emanzipation. Etwas später um 1850 begann diese Bewegung Gestalt anzunehmen. Frauen organisierten sich in Vereinen, hielten Versammlungen ab und kämpften öffentlich für ihre Rechte. In Deutschland traten Frauen wie Helene Lange, Clara Zetkin und Louise Otto-Peters hervor. Sie kämpften für Arbeit, politische Mitbestimmung und Bildung. Nach dem ersten Weltkrieg erreichten Frauen einen entscheidenen Durchbruch: das Frauenwahlrecht wurde eingeführt. Somit durften Frauen seit 1918 wählen und gewählt werden. Aus rechtlicher Sicht war die Gleichstellung nun ein großer Erfolg, aber gesellschaftlich blieben die traditionellen Rollenbilder noch lange bestehen. Erst in der zweiten großen Welle der Frauenbewegung Ende der 60er Jahre, wurde die Situation zunehmend agressiver. Aktivistinnen wie Alice Schwarzer oder Helke Sander forderten in den Medien und auf der Straße echte Gleichberechtigung- nicht nur auf dem Papier. Die Gleichstellung begann mit mutigen Denkerinnen der Aufklärung und entwickelte sich über die Jahrhunderte zu einer weltweiten Bewegung. Diese Bewegung ist bis heute nicht abgeschlossen und betrifft heute auch nicht mehr die Frau alleine, denn das gesamte Verständnis von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit aller Menschen ist hier eingeschlossen.
Wie Kröpelin heute über die Gleichstellung denkt, habe ich in unterschiedlichen Altersschichten in unserer Stadt erfragt und bin auf spannende Antworten gekommen.
Eine ehemalige Lehrerin, als Stimme der älteren Generation, betonte im Gespräch, dass Gleichstellung aus ihrer Sicht vor allem eine Frage der Erziehung sei und somit schon im Kinderzimmer beginnt. Entscheidend sei, wie Jungen zu Männern heranwachsen und welches Bild von Frauen ihnen dabei vermittelt wird und ins Erwachsenleben mitnehmen. Eine berufstätige, alleinerziehende Mutter, Anfang vierzig erzählte, wie ambivalent Gleichstellung sich für sie anfühlt. Als Hausbesitzerin trägt sie die finanzielle Verantwortung und alles was dazu gehört allein. „Gleichstellung heißt für mich doch nur, dass ich alles alleine machen darf“, sagt sie mit einem bitteren Lachen. Am Ende des Tages bleibt vor allem Erschöpfung zurück- auch weil der gesellschaftliche Druck, stark und selbstbestimmt zu sein, kaum Raum für Schwäche zulässt. „Alle reden von Selbstbestimmung und das ist auch wichtig, aber niemand sagt, wo sie aufhört. 2025 bin ich als Frau mittlerweile Sklave meiner Selbst: Ich darf überall hinfahren, alles tragen, alles stemmen - aber es bleibt eben an
mir hängen.“ Gerade körperlich fordernde Aufgaben zeigten ihr, wie belastend die viel gepriesene Freiheit sein könne. Für eine junge Mutter Ende zwanzig, die gerade ihr erstes Kind bekommen hat und dafür ihre Facharztausbildung pausiert, fühlt sich Gelichtstellung im Alltag oft widersprüchlich an. Ihr Partner ist im Beruf, während sie sich vor allem um Haushalt und Baby kümmert. „Frauen haben so viel für ihre Rechte gekämpft - aber bei den Männern ist dieser Wandel noch nicht wirklich angekommen,“ sagt sie. Obwohl sie anerkennt, dass immer mehr Väter Verantwortung übernehmen, empfindet sie die Realität weiterhin als unausgeglichen. Berufliche Ansprüche plus Familienarbeit - für viele Frauen sei das zu einer Doppelbelastung geworden. Und sie fragt sich, wann aus rechtlicher Gleichstellung endlich eine echte partnerschaftliche Aufteilung werde. Eine besonders eindrückliche Perspektive lieferte ein neunjähriges Mädchen der Grundschule Kröpelin. Für sie zeigt sich Gleichstellung schon im Klassenzimmer- und nicht zum Vorteil der Jungen. Sie erzählt, dass ihrer Meinung nach „Jungs viel mehr Ärger bekommen“ und häufiger als „wild und böse“ dargestellt werden. Mädchen dagegen gälten automatisch als „lieb, brav und ordentlich“. „Aber das stimmt nicht!“, sagt sie. Viele Jungen helfen oft beim Streitschlichten und seien genauso gut in der Schule wie Mädchen. Trotzdem bekommen sie häufiger und übereilte negative Einträge. „Das ist unfair, denn Mädchen sind nicht besser!“ Die Viertklässlerin wünscht sich vor allem eines: mehr Ehrlichkeit und
Gerechtigkeit in der Art, wie Jungen und Mädchen beurteilt und behandelt werden. Die Gespräche zeigen: Gleichstellung im Jahr 2025 ist kein abgeschlossenes Kapitel, sodern ein komplexer, oft widersprüchlicher
Alltag. Die Seniorin erinnert daran, dass Gleichstellung in der Erziehung beginnt- bei den Rollenbildern, die wir Jungen und Mädchen mitgeben. Die alleinerziehende Mutter verdeutlicht, dass Selbstbestimmung zwar Freiheit
bringt aber auch eine enorme Last sein kann, wenn Verantwortung alleine getragen werden muss. Die junge Mutter im Berufseinstieg zeigt, dass rechtliche Gleichstellung nicht automatisch zu fairen Aufgabenverteilung führt und viele Frauen heute zwischen Beruf und Familie doppelt belastet sind. Und die Viertklässlerin macht deutlich, wie früh Ungleichbehandlungen sichtbar werden- und wie aufmerksam Kinder diese wahrnehmen.
Alle Stimmen erzählen von einem gemeinsamen Kern. Gleichstellung ist nicht nur ein gesetzlicher Rahmen, sondern gelebte Praxis- und sie gelingt nur, wenn alle Geschlechter mitziehen. Solange Erwartungen, Rollenbilder und Verantwortungen ungleich verteilt bleiben, bleibt Gleichstellung ein Anspruch, der weiter ausgehandelt werden muss. Die Vielfalt der Stimmen und deren Meinungen zeigt, dass Menschen aller Generationen darüber nachdenken, darüber sprechen, Fragen stellen und sich Veränderungen wünschen. Gleichstellung entsteht nicht in großen Schritten, sondern in vielen kleinen, auch individuellen - in Familien, Schulen, Betrieben und im täglichen Miteinander.
2025 ist der Weg der Gleichstellung längst nicht zu Ende. Aber er ist bedeutend sichtbarer geworden und er wird gemeinsam gegangen.