„[…] Hier hört alles Denken und alle Vernunft auf. Ich habe meine Rechnung mit dem Himmel abgeschlossen und bin so jederzeit auf den Tod bereit. Wenn die Granate, die ein paar Meter von unserem Loch in die Erde gefahren ist, nicht ein Blindgänger gewesen wäre, so wäre es jetzt schon aus. Die ganze Erde erzitterte und erbebte, so dass mir bald Hören und Sehen verging. Bei dem Gedanken an Euch lief mir das Wasser nur so aus den Augen. Was wirst Du jetzt tun in dieser fürchterlichen Stunde? Was werden Mutter und die Schwestern machen in diesen Augenblicken, da ich bis aufs Blut gepeinigt werde? O diese Höllenqualen sind unaussprechlich! Ich muß einmal eine furchtbare Sünde begangen haben in meinem Leben, daß ich jetzt so getroffen werde. O wie ist diese Heimsuchung schwer!
Mein lieber Vater, bete für mich, ja bete für mich zu dem Allmächtigen Gott, denn nur der kann mich aus diesem Massengrab erretten. Ich weiß nicht, ob ich hoffen darf, in die Heimat zurückzukehren. Ich hoffe überhaupt nichts mehr, man wird ganz stumpf und dumm in diesem Getrommel.
Ich schreibe nur Dir die Wahrheit, da ich glaube, nur Du kannst sie hören; Mutter kann ich unmöglich schreiben, ich bringe es einfach nicht übers Herz. […] Vater, ich bin kein Schwächling, aber wem solch ein Feuer nicht auf die Nerven fällt, der hat kein Herz in der Brust.“
Diese Zeilen schrieb der damals 21-jährige Fritz Blum am 06.09.1917 vom Schlachtfeld vor der belgischen Stadt Langemarck an seinen Vater in die deutsche Heimat. Und so wie er berichteten zwischen 1914 und 1918 die vielen Millionen Soldaten von den Schrecken des Ersten Weltkrieges, die sie alle gemeinsam erlebten und welche die Überlebenden über das Kriegsende hinaus, bis an ihr Lebensende weiter begleiteten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Malchowerinnen und Malchower,
für Ihr Erscheinen zum heutigen Volkstrauertag bedanke ich mich bei Ihnen zunächst von Herzen!
Der Volkstrauertag wurde eben vor dem Hintergrund dieser von Fritz Blum und so vielen anderen berichteten Schrecken ins Leben gerufen. 1919 rief der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zu einem Gedenktag auf, als Ausdruck der Solidarität mit den Hinterbliebenen der ca. 2 Millionen deutschen Gefallenen. Mit diesem Gedenktag war aber auch die Mahnung verbunden, dass solch ein Weltenbrand nie wieder geschehen dürfe.
Doch er geschah und mit dem Zweiten Weltkrieg ab 1939 sogar ein noch viel zerstörerischer, mit so viel mehr Gewalt und Leid verbundener Konflikt.
Und auch in unserer Gegenwart brennt die Welt.
Wer die Nachrichten verfolgt, wird täglich mit Mitteilungen über Krieg, Gewalt und Tod konfrontiert, sei es durch Berichte aus dem Krieg in der Ukraine, im Nahen Osten oder dem Südsudan, unter denen vor allem Millionen Zivilisten auf allen Seiten leiden müssen.
Da sind aber auch die vielen anderen, häufig unerwähnten Konflikte auf nahezu allen Kontinenten dieser Erde.
Da sind aber auch bei uns in Deutschland und hier in Malchow gesellschaftliche Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheiten und eine wachsende Polarisierung. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, andere suchen einfache Antworten auf komplexe Fragen, was zu einer zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft führt. Doch gerade am Volkstrauertag sollten wir uns bewusst machen: Spaltung und Hass führen niemals zu Lösungen – sie führen zu neuen Konflikten.
Die Forderung nach Mäßigung und Frieden, welche dem Volkstrauertag innewohnt, bleibt aktuell und ist vielleicht notwendiger denn je. Und dafür stehen wir heute hier an diesem Ort, an dem ebenfalls unmenschliche Gräueltaten begangen wurden.
Am heutigen Tag und an diesem historischen Ort erinnern und gedenken wir all jenen Menschen, die durch Kriege, durch Terror oder durch Verfolgung aufgrund ihrer Überzeugung, ihres Glaubens, ihrer Hautfarbe oder aus einem anderen willkürlich gewählten Grund ihr Leben verloren haben. Und wir stehen heute hier aus Überzeugung für ein mahnendes Gedenken vor den Auswirkungen von Krieg und Gewalt.
Und indem wir uns heute, hier an diesem Ort versammelt haben, setzen wir ein aktives Zeichen gegen jede Form von Hass, der all zu oft in Gewalt überschlägt und damit letztlich zu Leid von Menschen führt.
Die Blumengestecke und Blumenkränze, die wir heute hier niederlegen, sind für dieses Mahnen und Erinnern Symbole, die den heutigen Tag überdauern werden.
Doch soll es nur beim Mahnen und Erinnern bleiben? Können wir nicht selber einen Beitrag zu einer konfliktärmeren Welt leisten? Ich sprach von der Forderung nach Mäßigung. Häufig gehen Gewalttaten Worte der Gewalt voraus. Zu häufig erleben wir heutzutage ungehemmte und aggressive Debatten, in denen immer weniger sachlich und immer häufiger hoch emotional und polarisierend gesprochen wird. Gerade auch in den sozialen Medien werden Menschen mit anderen Meinungen mit Worten konfrontiert, die man im zwischenmenschlichen Gespräch wahrscheinlich niemals nutzen würde. Dadurch wird das Trennende verstärkt, was letztlich die Zwischenmenschlichkeit zerstört und den Weg frei macht für Gewalttaten. Lassen Sie uns daher heute und auch in Zukunft dafür eintreten, dass wir unser Zusammenleben nicht auf das Trennende und Negative ausrichten. Lassen Sie uns das heutige Gedenken dafür nutzen, um für ein respektvolles Miteinander als Grundlage für unseren gesellschaftlichen Frieden einzutreten.
Möge der Volkstrauertag uns daran immer wieder erinnern: Frieden beginnt bei uns selbst – in unseren Worten und in unseren Taten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!