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Malchower Tageblatt
Ausgabe 6/2024
Rathausnotizen
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Gedenkveranstaltung – Tag der Befreiung des KZ-Außenlagers Malchow

Am Samstag, dem 04. Mai 2024, durfte ich auf der Gedenkveranstaltung des KZ-Außenlagers Malchow die Schüler der Fleesenseeschule Malchow vertreten. Zu dieser Gedenkstätte haben wir Schüler einen besonderen Bezug, da wir durch regelmäßige Arbeitseinsätze maßgeblich an ihrem Aufbau beteiligt sind. Umso erfreuter war ich über diese in meinen Augen rundum gelungene Veranstaltung. Durch große Beteiligung hat sie gezeigt, wie sehr die Malchower darum bemüht sind, das dunkelste Kapitel unserer Stadtgeschichte aufzuarbeiten und die Erinnerung an die Verbrechen aufrechtzuerhalten. Durch die Beiträge der Vizepräsidentin des Landtages Elke-Annette Schmidt und unseres Bürgermeisters René Putzar hat auch die Politik klargestellt, dass ihr das Thema nach wie vor am Herzen liegt. Dieser Einsatz im Kleinen ist die Voraussetzung dafür, dass unser demokratisches, rechtsstaatliches System im Großen erhalten bleibt. Wir dürfen nicht müde werden, immer und immer wieder die Grausamkeit der Verbrechen der Nationalsozialisten zu verurteilen und in unserem Bewusstsein präsent zu halten. Deshalb war es für mich eine besondere Berufung, dies auch aus der Sicht unserer Malchower Schüler klarzustellen. Denn wir Schüler gestalten die Zukunft und müssen uns daher der Vergangenheit bewusst sein. Nur so können wir unsere Demokratie vor erstarkendem Extremismus bewahren, damit sich vergangene Verbrechen niemals wiederholen. Nicht in Malchow und nicht in Deutschland. Dafür war die Gedenkveranstaltung ein starkes Zeichen.

Benjamin Reit
Schüler

Rede des Schülers Benjamin Reit

„Sehr geehrte Damen und Herren,

weltweit werden regelmäßig Menschenrechte verletzt. Sei es im Iran, in Russland, in China, in Afghanistan, in Nordkorea oder in vielen, vielen weiteren Ländern dieser Welt. Menschen dürfen keine regimekritische Meinung äußern. Tun sie es doch, werden sie verhaftet und in menschenunwürdige Straflager deportiert oder sogar getötet. Gleiches gilt für die Ausübung einer unliebsamen Religion. Auch in diesem Fall droht oft das Straflager oder sogar der Tod.

Das alles klingt schrecklich und sehr weit weg. Was haben also wir in einem demokratischen Rechtsstaat damit zu tun? - Viel, sehr viel. Denn genau solche Verbrechen haben vor nicht langer Zeit auch hier in Deutschland stattgefunden. Sie waren nah - ganz nah. Direkt vor unserer Haustür, hier in Malchow, genau hier, wo wir jetzt, in diesem Moment gerade stehen. Genau hier war ein Ort des Verbrechens, mindestens ebenso so schlimm, wie die, die ich eingangs aufzählte. Und genau hier wurden vor 79 Jahren zahlreiche verloren scheinende Menschenleben doch noch aus dem Elend des KZ-Außenlagers Malchow befreit.

Mein Name ist Benjamin Reit, ich bin Schüler der 11. Klasse der Fleesenseeschule hier in Malchow und ich möchte heute im Namen meiner Mitschüler und zusammen mit Ihnen der Opfer und der Befreiung des KZ-Außenlagers in Malchow gedenken.

Auch, wenn man es vielleicht nicht glauben möchte, unser heute so friedvoll daherkommendes, beschauliches Malchow ist kein Ort der Unschuldigkeit - im Gegenteil. Unser Malchow war ein Zahnrad im Getriebe der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg und bei der Folterung und Demütigung von unliebsamen Juden, Regimegegnern und Kriegsgefangenen. Kurz: unser Malchow war ein Teil des Verbrechens.

Im Jahr 1938 wurde hier eine Munitionsfabrik für Kriegszwecke errichtet. Sie sollte einer der größten Arbeitgeber in der Region werden. Doch es waren nicht nur Spezialisten gefragt, sondern auch einfache Arbeiter – Arbeiter, die täglich unter harten Bedingungen lebensgefährliche Arbeiten verrichten mussten. Arbeiten, die niemand freiwillig erledigen wollte. Diesem Problem konnten die Nationalsozialisten Abhilfe verschaffen. Leider. Ab 1943 entstand hier ein Außenlager des Frauen-KZ Ravensbrück, in welches neben zahlreichen Frauen auch viele Kriegsgefangene deportiert wurden. Es waren Juden, Regimegegner oder Menschen, die ihre Heimat vor der Invasion durch Hitlers Armee verteidigten – und dafür teuer bezahlen mussten. Hier wurden sie nicht nur unter menschenunwürdigen Umständen gefangen gehalten – unter Folter und ohne Hygiene, ausreichend Lebensmittel oder Privatsphäre. Sie wurden auch zu schwerer, kräftezehrender und vor allem hochgefährlicher Zwangsarbeit in der Munitionsfabrik verpflichtet. Hier existierte für Zwangsarbeiter beim Ausführen lebensgefährlicher Arbeiten keinerlei Arbeitsschutz. So kam es zu vielen tragischen Unfällen und der Tod stand, sowohl in der Fabrik, als auch im Lager, auf der Tagesordnung.

Als die Rote Armee im Jahr 1945 näher rückte, wurde das KZ-Außenlager Malchow zum Teil der sogenannten Evakuierungsroute Richtung Westen der Konzentrationslager im Osten – den Todesmärschen. Es war ein unschönes Finale, in dem sich die Häftlinge mit den Überlebenden des Todesmarsches aus anderen Lagern noch viel dichter drängen mussten, als zuvor. Doch wer auch das Überlebte, der wurde gerettet. Am 02.05.1945, vor 79 Jahren, wurde das Lager und damit auch die Häftlinge von der Roten Armee befreit. Es waren wenig, viel zu wenig Menschen, die das erleben durften. Die Meisten starben schon vorher wegen Hunger, Krankheiten, Erschöpfung, Arbeitsunfällen oder willkürlicher Hinrichtung durch die Aufseher. Aber dennoch war es eine nicht zu vernachlässigende Zahl verlorengeglaubter Menschen, die doch noch unverhofft das Licht der Freiheit wiedererblicken durften.

Danach geriet das Lager und mit ihm seine grausame Geschichte Stück für Stück in Vergessenheit: die Munitionsfabrik wurde abgerissen und das Lager verfiel zunehmend. Erst in den 1990er Jahren begann man langsam mit der Wiederaufarbeitung des dunkelsten Kapitels Malchows. Mit bedeutendem Anteil der Schüler der Fleesenseeschule in Zusammenarbeit mit dem internationalen Jugendcamp wird hier seitdem eine Gedenkstätte errichtet. Eine Gedenkstätte, die uns erinnert und zugleich mahnt. Mahnt, vor Wiederholung und mahnt, vor dem Vergessen.

Sie mahnt, indem sie Bewusstsein schafft – Bewusstsein für Leid und Verbrechen, die einst hier in Malchow stattgefunden haben. Dieses Bewusstsein wird für uns Schüler umso intensiver geschaffen, durch das Mitgestalten dieses geschichtsträchtigen Ortes. Wir Schüler gestalten die Zukunft. Und sollten uns daher unserer Vergangenheit bewusst sein. Durch dieses Projekt übernehmen wir Verantwortung. Wir entdecken den Wert der Demokratie und des Rechtsstaats. Und wir leisten, zusätzlich zum Mahnen und zum Erinnern, zwei wesentliche Dienste für unsere Malchower Gesellschaft. Zum ersten zeigen wir auf. Wir zeigen auf, was hier, vor unserer Haustür geschehen ist. Zeigen auf, die Schuld, die ein jeder Malchower auf sich genommen hat, der dieses Verbrechen duldete, - vielleicht dulden musste. Dass man aber von den Geschehnissen hinter den Mauern nichts wusste – schwer vorstellbar. Wahrscheinlich wollte man es oft nicht wissen. Und machte sich damit schuldig. Und zum zweiten rufen wir auf – rufen auf, Behauptungen zu reflektieren, die menschenverachtendes Gedankengut vermitteln. Und rufen auf, aufmerksam und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, Extremisten zu durchschauen und ihnen keine Möglichkeit zur Macht zu geben. Damit wir uns nicht auch in die Liste der Länder einreihen, die Menschenrechte mit Füßen treten. Und damit wir nicht wieder am Anfang des Verbrechens stehen – im Jahr 1933. Denn damit hat es einst begonnen – mit Unreflektiertheit, mit Leichtgläubigkeit, mit Wegschauen. Mit der Verkennung der Gefahr durch Extremisten. Meine Damen und Herren, wir sind verantwortlich dafür, dass sich das Vergangene nie, niemals wiederholt. Wir sind verantwortlich für die Zukunft. Und deshalb gedenken wir.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“