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Malchiner Generalanzeiger
Ausgabe 7/2024
Stadt- und Gemeindeleben
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„Gedenkort Synagoge und katholische Kapelle Malchin“ in der Strelitzer Straße eingeweiht

v.l.: Henning, Niklas, Frau Ruthenberg, Lena, Jakob, Max und Laura

Am 30. April 1945 ereignete sich in Malchin ein verheerender Stadtbrand, der durch Brandstiftung am Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöst wurde. Die Altstadt wurde größtenteils zerstört, darunter auch das Mühltorviertel, in dem 70 % der Häuser in Flammen aufgingen. Zahlreiche Bürger und Flüchtlinge, die in den Kellern Schutz suchten, kamen dabei ums Leben. Wichtige kulturelle Treffpunkte wie die Heilig-Geistkirche und eine ehemalige Synagoge, die später als katholische Kapelle genutzt wurde, wurden ebenfalls vernichtet. Diese Synagoge war das Zentrum des jüdischen Lebens in Malchin von 1764 bis 1925 und spielte eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Stadt. Nach langjähriger Vorbereitung entstand nun an diesem historischen Areal ein Gedenkort, der der Öffentlichkeit am 30. April 2024 präsentiert wurde.

Hohe Vertreter der Religionsgemeinschaften und politische Verantwortliche der Stadt unterstützten die Realisierung des Gedenkortes. So waren Landesrabbiner Yuriy Kadnykov vom Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, Weihbischof Eberlein und Bischof Jeremias vor Ort und sprachen zu den zahlreich erschienen Gästen.

Drei Stühle für Malchin – Ein paar Worte des Bildhauers Michael Spengler

Das Material und die Form

Die Stühle sind schwer und dick. Jeder wiegt gut 500kg. Sie sind aus Jurakalkstein gearbeitet. Der ist vor 150 Millionen Jahren entstanden, als das Gebiet des heutigen Deutschlands auf der Höhe Nordafrikas lag und ein größtenteils vom Meer überflutetes Inselatoll bildete. Die Stühle tragen noch Spuren des einstigen Lebens. Ammoniten, Muscheln, Donnerkeile und Schwämme (wenn man viel Glück hat auch ein ganzer Archeopterix) finden sich in-und auf ihnen.

Die Stühle sind kalt. Die Sitzflächen sind etwas höher, als man es gewohnt ist. Sitzt man auf ihnen, baumeln die Beine in der Luft.

Die Stühle

Drei Stühle stehen wie in einem offenen Gesprächskreis beieinander. Nach vorne, zum Betrachtenden hin, ist der Gesprächskreis geöffnet.

Der rechte Stuhl hat einen sechseckigen, vergoldeten Durchbruch. Um den Durchbruch herum sind zwei, ebenfalls vergoldete Dreiecke in den Stein eingearbeitet, die zusammen den „Magen Davids“ den Davidstern formen. Der linke Stuhl hat einen kreuzförmigen, ebenfalls vergoldeten Durchbruch.

Beide Stühle erinnern an die zweifache Nutzung des Gebäudes, was hier bis zum 30. April 1945 gestanden hatte. Sie erinnern an die Synagoge, die bis 1924 der jüdischen Gemeinde Malchin als Versammlungsort diente, und sie erinnern an die katholische Kirche, als die jenes Gebäude im Anschluss an den Verkauf bis hin zu seiner Zerstörung genutzt wurde.

Der mittlere, hintere Stuhl, hat keine Symbolik. Er ist neutral. Er öffnet das Gesamtensemble in die Gegenwart und in die Zukunft.

Dieser Stuhl ist kein Mahnmahl für etwas Vergangenes. Er steht für „Kommunikation“ und vielleicht steht für alle diejenigen, die in Malchin kein Versammlungshaus hatten, um ihrem Glauben (oder Nichtglauben) Ausdruck zu verleihen, also für Atheisten, Heiden, Buddhisten, Muslime, Agnostiker, Hindus, usw..

Kommunikation.

Das gemeinsame Gespräch, das "sich in die Augen schauen" ist wichtig für Menschen mit unterschiedlichen Glaubens- und Gottesvorstellungen oder mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen. Zur Spielregel eines Gespräches gehört das Zuhören, Verstehen, sogar Verständnis haben für die Position des anderen, ohne zwangsläufig mit dessen Vorstellungen einverstanden zu sein, den Überzeugungen und Ideen des Gegenüber mit Respekt und Toleranz zu begegnen und dessen ganz eigenen, persönlichen Glauben nicht abzuwerten oder ihm gar das Menschsein abzusprechen.

Im Grunde ist der Mensch eigentlich gut ("Im Grunde gut"- Titel eines aktuellen Bestsellers von Rutger Bregmann). Er ist ein soziales Wesen, das gerne anderen hilft, nicht zuletzt auch deshalb, weil er weiß, dass auch er vielleicht irgendwann einmal die Hilfe anderer benötigen wird. Das Problem laut Hannah Arendt: "Der Mensch wird vom Bösen verführt, das im Gewande des Guten daherkommt".

Um das zu entlarven ist menschliche Nähe wichtig. Distanz entmenschlicht. Es ist viel leichter, eine Kampfdrohne aus weiter Ferne heraus zu steuern, einen roten Knopf zu drücken oder im Internet zu lästern, als einem Menschen aus nächster Nähe heraus, dem ich in die Augen schaue, Leid zuzufügen.

Wünschen würde ich mir für die Stadt Malchin eine rituelle Einbindung des Denkmals bei Streitigkeiten. Streitende nehmen Platz auf den etwas kalten, unbequemen Stühlen, die eigentlich viel zu groß sind und die eine historische Mahnung in sich tragen. Sie reden so lange miteinander, bis sie Verständnis für den Gegenüber haben (sie müssen nicht einverstanden mit dessen Position sein) aber sich am Ende als Zeichen gegenseitigen Respektes die Hand reichen.

Öffentliches Dankeschön

Liebe Malchiner Nachbarn, liebe Unterstützer und Helfer,

am 30. April 2024 konnten wir nach fast zweijähriger Vorbereitungszeit eine Erinnerungsstätte an die ehemalige Synagoge und späteren Gebetshaus der katholischen Gemeinde der Öffentlichkeit übergeben.

Wir möchten uns bei den unmittelbaren Anwohnern bedanken. Viele kamen während der Bauphase mit offenen Fragen und viel Interesse auf uns zu.

Bedanken möchten wir uns auch bei all den Gästen aus nah und fern, die der Einladung zur Einweihung gefolgt waren.

Öffentlich möchten wir uns bedanken!

Für die Unterstützung dieser Veranstaltung bei:

Herrn Yuriy Kadnykov, Landesrabbiner des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in M-V

Herrn Horst Eberlein, Weihbischof des Bistums Hamburg

Herrn Tilman Jeremias, Bischof der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland

Herrn Axel Müller, Bürgermeister der Stadt Malchin

Herrn Michael Spengler, Bildhauer Itzehoe / Berlin

Herrn Warnfried Altmann, für die musikalische Umrahmung

Für die finanzielle Unterstützung bedanken wir uns herzlich bei:

Der Landeszentrale für politische Bildung MV, Herrn Jochen Schmidt

Der Sparkassenstiftung für den ehemaligen Landkreis Demmin, Frau Kirsten Cummerow

Dem Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten Mecklenburg-Vorpommern, Herrn Nikolaus Voss, Beauftragter für jüdisches Leben in M-V

Dem Parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern und das östliche Mecklenburg, Herrn Heiko Miraß

Für die organisatorische Begleitung des Vorbereitungsprozesses bedanken wir uns herzlich bei:

Frau Dr. Kerstin Mahnke, Malchiner Wohnungsgenossenschaft eG,

Herrn Theodor Feldmann, Stadt Malchin,

MdL M-V Herrn Thomas Krüger und der Mitarbeiterin Susann Heinrich

Herrn Michael Opperskalski, kath. Gemeinde Malchin

Herrn Nikolaus Voss, Beauftragter für jüdisches Leben in M-V

Frau Dr. Steffi Brüning, Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock

Frau A. Rhode, Vertreterin der Mieter der Mühlenstr. 6-10

Für die Erstellung der Texte und Lektorat bedanken wir uns herzlich bei:

Dem Leistungskurs Geschichte, Fritz-Greve-Gymnasiums (Texte) unter der Leitung von Herrn Thommy Jarck

Herrn Torsten Gertz, Heimatverein Malchin e.V. (Lektor)

Frau Claudia Ziggel, Mittelhof Gessin e.V. (Lektor)

Für die Gestaltung der Informationstafeln und Flyer bedanken wir uns herzlich bei:

Frau Ulrike Ziggel, Grafik und Design Gessin

Für die Unterstützung bei der Errichtung des Erinnerungsortes bedanken wir uns herzlich bei:

Herrn Maik Heptner, Liepen

Herrn Frank Jahnel, Malchiner Wohnungsgenossenschaft eG

Herrn Christian Wolther, Teterow

Herrn John Dünninghaus, Teterower Gartenmarkt

Herrn Thomas Buhr uns seinen Mitarbeitern, Bauschlosserei Buhr, Malchin

Den Schüler der Klasse 10 b der Regionale Schule „ Siegfried Marcus “ unter der Leitung von Frau A. Ruthenberg an Henning, Niklas, Lena, Max, Jakob und Laura

Herrn Andreas Mohrholz und seinen Kollegen, Stadtbauhof Malchin,

Mit freundlichen Grüßen
Bernd Kleist
Regionales Bündnis Mecklenburgische Schweiz e.V.
Kurz vorher gabs den letzten Schliff vor Ort

Sigfried Marcus ist der wohl bekannteste jüdischer Mitbürger der Stadt Malchin. Schüler der nach ihm benannten Schule kamen am Montag früh zur gemeinsamen Pflanzaktion um der Erinnerungsstätte den letzten Schliff zu verpassen.

Unter Anleitung ihrer Lehrerin Frau Ruthenberg waren es 6 Schüler der Klasse 10 b, die hier drin einen sehr praktischen Teil ihres Religionsunterricht sahen und 19 Rotbuchen pflanzten. Diese sollen sich zu einer prächtige Hecke entwickeln und dem Erinnerungsort einen würdigen Rahmen geben. Einen Wunsch gaben sie mit auf dem Weg. Vielleicht können Bewohner der Strelitzer Straße bei großer Trockenheit etwas Wasser spenden.