Zu Lebzeiten von Johann Heinrich Voß bot Penzlin das Bild einer mecklenburgischen Klein- oder Landstadt. Blickt man auf die vier in Südostmecklenburg liegenden Stationen seiner ersten Jahre, dann stehen den beiden ländlichen Siedlungen Sommersdorf und Ankershagen mit Penzlin und Neubrandenburg zwei Städte gegenüber, wobei die städtische Entwicklung Penzlins durch eine stark präsente Stadtherrschaft der Maltzans noch bis ins 20. Jahrhundert hinein überformt wurde.
So bot sich das Johann-Heinrich-Voß-Literaturhaus als Gastgeber und Kooperationspartner für eine Tagung an, die vom 7.-8.10. 2021 von boomenden oder sterbenden Dörfern und Provinzen handelte. Im Mittelpunkt stand die Beobachtung, dass Dorfliteratur und Provinzbeschreibungen gegenwärtig Konjunktur haben. Dies zeigen nicht nur die Debüts junger Autoren, in Mode gekommene Regionalkrimis, die beinahe in jedem "Provinznest" spielen. Dies zeigen auch die Glanzbilder und Inhalte der erfolgreichen "Landlust"-Hefte. Dem Aufleben des Landes in Literatur, Film und Populärkultur stehen Verwerfungen gegenüber. Die West-Ost-Transformation im Zuge der "Wende", globale und regionale Strukturveränderungen bewirken mancherorts ein Sterben überlieferter Dorfstrukturen. Die Ausdehnung von Stadtkultur ins Umland führt zu identitätslosen Vorstadtbildungen und Zwischenstädten. Der Zuzug von Neubürgern aus Großstädten (nicht selten mit Westbiografien), aber auch Wegzug, Überalterung und Migration verändern das Umfeld der Dörfer und Provinzen. Dies diskutierten Gäste aus Regensburg, Berlin, Potsdam, Kiel, Neubrandenburg zusammen mit der Frage, was die Provinz für eine sich zunehmend wieder politisierende Literatur so interessant macht. Im kulturellen Rahmenprogramm hatten die Gäste Gelegenheit, das Burgmuseum und die Voßausstellung zu besuchen. Kooperationspartner der Tagung waren das Literaturzentrum Neubrandenburg und die Brigitte-Reimann-Gesellschaft. Am Ende einer gelungenen Tagung bedankten sie sich für die Gastgeberschaft mit der Übergabe einer historischen Prachtausgabe der Versidylle "Luise" von Johann Heinrich Voß.
Dr. Andrea Rudolph