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Süderholzer Blatt
Ausgabe 361/2021
Kultur
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Briefe

Als Weihnachtspost geht bei mir in jedem Jahr ein langer Jahres-Rundbrief an liebe Verwandte und Freunde auf die Reise. Viele warten drauf und freuen sich. Aber schon im letzten Jahr kam eine Rückmeldung dazu als Telefonanruf: „ Du, ich schreibe jetzt keine Weihnachtskarten mehr, das ist nicht mehr zeitgemäß.“ Oh, ja wirklich?! Da muss man doch tatsächlich mal drüber nachdenken.

Na gut, über Weihnachtskarten, die außer dem Kartentext „Frohe Weihnachten“ nur noch weitere 5 Worte („wünschen Euch Anna und Otto“) enthielten, konnte ich mich eigentlich noch nie so richtig doll freuen. Das ist dann ungefähr so, wie in diesem Zitat:

„Ein so kurzer Brief kommt mir vor, als ob zwei Freunde,

die sich lange nicht gesehen haben, an einem Ort zusammenkämen,

sich da einen guten Morgen wünschten und wieder von dannen gingen.“

Adalbert Stifter 1805-1868

Deshalb habe auch ich irgendwann damit begonnen, Jahresbriefe zu schreiben. Das ist immer eine gute Gelegenheit, auch für sich selbst das ganze Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. So entsteht jedes Jahr eine Zusammenfassung der wichtigsten familiären oder auch nichtfamiliären Ereignisse. Das macht mir Freude. Und all die Lieben, die man mitunter lange nicht gesehen hat und die weit weg sind, können teilhaben daran, was im vergangenen Jahr bei uns so passiert ist. Außerdem ist so ganz nebenbei aus all den Briefen mit der Zeit schon eine richtige Familienchronik entstanden. Nicht selten höre ich dann später: „Ich gehöre auch zu denen, die auf Deinen Weihnachtsbrief warten. Vielen Dank.“ Ja, Freude machen.

In der heutigen Zeit ist es doch schön, auch mal Briefe zu erhalten, die nicht nur lästige Rechnungen enthalten. Natürlich dauert es so seine Zeit, einen „echten“ Brief ordentlich per Hand zu verfassen, in Schönschrift und auf schönem Papier. Aber so merkt der Adressat, dass man sich extra dafür diese Zeit genommen hat. Ältere Menschen wissen das ganz besonders zu schätzen. Zum einen, weil viele doch nicht so regelmäßig telefonische Kontakte pflegen, ganz abgesehen von Email oder WhatsApp. Andererseits war ja früher meist gar keine andere Kommunikation möglich, als sich Briefe zu schreiben. Für ganz dringende Fälle gab es das Telegramm: „Ankunft Greifswald Montag 20 Uhr Tante Lotte.“ Na, das waren noch Zeiten. Natürlich benutze ich für meine ca. 70 Jahresbriefe auch den Computer und die entsprechende Drucktechnik.

Und dann: Briefe kann man aufheben. Man denke nur an berühmte Briefwechsel, die in die Geschichtsbücher eingingen, wie Goethe und Schiller oder die Gebrüder Grimm. Das hat nicht erst nach Jahrhunderten Wert. Ich denke da an einzelne Briefe, die ich aufgehoben habe. Mit meiner Cousine schrieb ich mich in unserer Schulzeit, als wir an unterschiedlichen Orten lernten. 1972: „Wie ich neulich schon ahnte, mussten wir heute Kartoffeln sammeln. Erst hieß es, es geht nach Körben. Immer 2 Mann in eine Kiepe. Dafür sollte es dann 50 Pf geben….“. Sowas gibt es heute nicht mehr. Oder mein Patenonkel aus dem Westen, der im September 1989 über die „450,- DM Eintrittsgeld für eine Woche“ (25 DM/Tag Zwangsumtausch) schrieb, und darüber, dass ein gebrauchter Teppich nicht in die DDR eingeführt werden darf. Na, die Zeiten ändern sich. Den Teppich haben wir immer noch. Ein Brief von mir von 1988 an Freunde in Berlin erhielt eine lange Einkaufsliste für eine bevorstehende Feier: „Erdnussflips und Salzstangen, Berliner Bier, eine Kiste Süßkirschen im Glas, Paprikasalat und 6 Dosen Pfirsiche“. Im Berliner „Delikat“ gab es fast alles. Und schließlich die Schilderung ehemaliger Kollegen von der „Alex-Demo“ am 4.11.1989 und vom ersten Spaziergang auf dem Ku´damm fünf Tage später. Selbst internationale Briefe finden sich noch aus den Siebzigern: aus der Sowjetunion von Rita aus Saratow, Russisch war kein Problem. Aus Ungarn von Bela aus Budapest, der schrieb auch etwas Deutsch zum Glück. Aus Marokko von Mohamed aus Rabat, da ging alles auf Englisch. Leider habe ich nie einen von den Brieffreunden persönlich kennen gelernt. Alles Geschichte.

Ich selbst erhalte auch ab und an Jahresbriefe. Und immer gibt es da Passagen, die mir besonders nahe gehen, oder die ich gleich in Erinnerung behalte: „Das nunmehr dem Ende entgegengehende Jahr hatte für uns den Höhepunkt der Geburt unseres sechsten Enkelkindes.“ Oder zu Weihnachten 2020:„Ihr Lieben, seid guter Dinge, wir haben schöne Erinnerungen und wir haben Aussichten, dass es besser wird. Wir haben Geschenke, gutes Essen, Telefone und mehr Zeit als sonst. Frohe Weihnachten!“ Oder „Das Schreiben stellt keine Bilanz dar, sondern es soll dazu dienen, Verflossenes in Erinnerung zu bringen und den Weg für neue schöne gemeinsame Erlebnisse zu ebnen.“ Na, da hört man doch förmlich den Schreiber reden. Und wieder mal hatte der alte Goethe Recht: „Schreibe nur, wie du reden würdest, und so wirst du einen guten Brief schreiben.“

Aber das Briefeschreiben liegt nun mal nicht jedem. Ereignisse zu beschreiben, Geschichten zu erzählen, seine Gedanken aufs Papier zu bringen oder jemandem Gefühle mitzuteilen, das ist nicht so einfach. Aber man kann es lernen. Nicht zuletzt kann einem da auch das Internet helfen. Beim Stöbern zu diesem Thema kam ich auch wieder auf die Briefaktion „Hoffnungsbriefe“, die in der Corona-Zeit von Kirche und Diakonie ins Leben gerufen wurde. Briefe als Zeichen der Solidarität und Nächstenliebe für allein gebliebene ältere Menschen in Heimen und Pflegeeinrichtungen. Gerade in der Vorweihnachtszeit gab es dazu eine riesengroße Resonanz. Nun wäre ja Ostern dafür der nächste Anlass.

Aber egal, wie jeder dazu steht, eins ist klar: Wer schreibt, der bleibt!

K. Notzke