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Süderholzer Blatt
Ausgabe 363/2021
Das Thema
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Erinnerungen an meine Mutter (1901 - 1976)

(aufgeschrieben in einem Lebensbericht von Liesbeth Schibalski, Schwerin)

Ostpreußen in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Vorfahren meiner Mutter stammten aus Salzburg. Wegen ihres evangelischen Glaubens wurden sie in der ersten Hälfte des 18. Jh. von dort vertrieben und in Ostpreußen vom preußischen König wieder angesiedelt. Für meine Eltern war Ostpreußen ihre Heimat.

Meine Mutter war eine gute Mutter, ihr oblag die Erziehung der Kinder. Sie zog fünf Kinder auf, drei Kinder starben gleich nach der Geburt.

Meine Mutter war eine fromme Frau. Morgens und abends gab es eine kurze Andacht, die sie am Küchentisch las. Sie sang viel und gerne, meist bei der Arbeit. Sie hatte ein gutes Gedächtnis und konnte viele Lieder, darunter etliche Volkslieder, und Balladen auswendig. Am Abend saßen wir oft in der Familie beisammen und sangen, Mutter begleitete uns auf der Gitarre. Noch ein Bild drängt sich in meinen Erinnerungen auf: Mutter am Küchenherd, ich auf dem Vorbau des Küchenschrankes sitzend, die Füße auf einer Holzkiste und wir sangen, sangen … Diese Stunden liebte ich!

Meine Mutter soll eine gute Schülerin gewesen sein, so berichtete ihr alter Lehrer, der auch noch mich im Kriege unterrichtete. Die Liebe zu Büchern legte mir Mutter in die Wiege, wie zuvor ihr Vater in die ihrige. In der an sich schon kleinen Hinterstube nahm ein großes Bücherbord viel Platz ein. Es befanden sich dort nicht nur Bücher mit christlichen Inhalten, es waren auch geschichtliche Romane, Abenteuergeschichten und Biografien darunter. Trotz der vielen Arbeit im Haus, im Garten und mit den Kindern nahm Mutter sich immer Zeit zum Lesen. Manchmal vergaß sie darüber sogar die Zeit.

Zu Mutters Erziehungsstil ist das zu sagen: Sie strafte nicht körperlich, ein „Mutzkopf“, genügte. Harte Strafen, wie damals durchaus üblich, waren ihr zuwider. Schimpfwörter wurden weder von Vater noch von Mutter gebraucht und waren auch uns verboten, ordinäre Wörter und Redensarten ebenfalls.

In meinem Elternhaus wurde hochdeutsch gesprochen, obwohl auch das Plattdeutsche im masurischen Raum gebräuchlich war. Schulbildung war Mutter sehr wichtig. Als ich für eine Ausbildung auf der Lehrerbildungsanstalt in Westpreußen vorgeschlagen wurde, war Vater zunächst nicht einverstanden, aber Mutter setzte sich durch. So kam ich schon mit 14 Jahren aus dem Elternhaus und durfte weiterlernen. Nach dem Ende des Krieges und der Flucht aus Ostpreußen stand Mutter mit zwei Kindern alleine da, Vater kam erst 1949 aus der Kriegsgefangenschaft. Im mecklenburgischen Dorf Schönlage schlug man ihr vor, die große Tochter, also mich, als Hilfe zu sich zu nehmen. Das wollte Mutter absolut nicht. Ich sollte meinen eingeschlagenen Ausbildungsweg weiter fortsetzen. Sie versuchte, alleine fertig zu werden. Diese Haltung ehrt meine Mutter sehr.

Als ich Kind war, ging man mit Umarmungen und Liebkosungen sehr sparsam um. Jedoch spürte ich immer die Liebe meiner Mutter in kleinen Gesten und Zuwendungen und natürlich nicht zuletzt durch oben beschriebenes.