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Süderholzer Blatt
Ausgabe 375/2022
Das Thema
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Mit einem Hilfstransport an die polnisch-ukrainische Grenze

Wir sind solidarisch mit der freien Ukraine

Rückblick. Die internationalen diplomatischen Bemühungen laufen auf Hochtouren - Staatsoberhäupter aus der ganzen Welt geben sich seit Beginn des neuen Jahres im Kreml die Klinke in die Hand. Es gilt eine Eskalation des Russland-Ukraine-Konflikts zu verhindern.

24. Februar 2022. Alle Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft sind vergeblich, Wladimir Putin befielt den Überfall auf die Ukraine und begründet dies mit fadenscheinigen, absurden und menschenverachtenden Argumenten.

Entsetzt, ohnmächtig und hilflos verfolge ich die Nachrichten, der Begriff Zeitenwende macht die Runde, die Bilder im Fernsehen sind schockierend. Ein Krieg in Europa im Jahr 2022, direkt vor unserer Haustür - unvorstellbar.

Freunde erzählen mir von der Initiative „greifswaldsolidarisch“, die sich unmittelbar nach Ausbruch des Krieges in der Hansestadt formiert. Ich sehe eine gute Möglichkeit, schnell und sinnvoll zu helfen und der eigenen Hilflosigkeit zu begegnen. Die Initiative organisiert einen Hilfskonvoi, bestehend aus 5 Kleintransportern- und Bussen. Zusammen mit Julia, einer langjährigen Freundin, bin ich mit dem Bus der Kirchengemeinde Groß Bisdorf dabei. Unser Ziel ist der kleine Ort Medyka an der polnisch - ukrainischen Grenze, der Routenplaner sagt 1100 km und knapp 11 h Fahrzeit. Wir starten am 10. März kurz nach 5 Uhr bei Nebel in Greifswald. An Bord haben wir Spenden - Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs. Unser Bus ist vor allem mit Medikamenten beladen, die von den Greifswalder „Apotheker ohne Grenzen“ gespendet wurden.

Kurz vor 23 Uhr kommen wir in Medyka an. Umleitungen, z. T. starker Verkehr und diverse Baustellen haben unsere Fahrzeit erheblich verlängert.

Wir erleben einen Ort im Ausnahmezustand. In der Schule, die offenbar auch ein Sportzentrum ist, finden wir das Erstaufnahmezentrum, Anlaufpunkt für täglich hunderte Menschen auf der Flucht vor dem Krieg. Hier können sie die ersten 24 h bleiben, von hier aus wird die Weiterreise organisiert.

Wir werden sehr freundlich aufgenommen, haben einen persönlichen Ansprechpartner und eine polnisch sprechende Mitfahrerin, das ist vorteilhaft für die direkte Kommunikation. Gemeinsam mit örtlichen Helfern laden wir unsere Spenden an einer Sporthalle aus, die dort sortiert werden. Feuerwehrleute, Lehrer und Schüler arbeiten hier ehrenamtlich und mit großem Einsatz rund um die Uhr für die Versorgung der Geflüchteten. Polizei und die polnische Armee sichern den Ort ab.

Und dann begegnen wir den Menschen, die ihr zu Hause und all das, was ihnen lieb und teuer war, verlassen mussten. Es sind vor allem Mütter mit ihren Kindern und alte Menschen, die Männer - Familienväter - fehlen!

Wir sehen zumeist äußerlich unversehrte aber erschöpfte Menschen, blicken in traurige Augen. 300 Feldbetten auf einer Fläche von der Größe eines Handballfeldes. Kinderweinen.

Geschäftiges Treiben. Telefonierende und Nachrichten schreibende Menschen. Bedrückende Bilder.

Nach ein paar Stunden Schlaf im Schlafsack und einem heißen Kaffee von den freundlichen Helfern in der Schule machen wir uns am frühen Morgen auf den Rückweg. In unserem Auto fahren Tatjana und ihre beiden Kinder, Oleg (10) und Malina (4) mit, sie haben eine Adresse von Verwandten in Deutschland.

Was bleibt? Wir begegneten hautnah den Menschen, die vom Krieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden, konnten einen kleinen Beitrag zur Hilfe leisten und etwas gegen die eigene Hilflosigkeit tun. Wir erlebten die riesige Solidarität der Menschen in Polen und sahen, dass Hilfstransporte aus ganz Europa auf dem Weg in die Krisenregion waren.

Und - das Erlebte ist Motivation, auch weiter etwas für die Geflüchteten in der Ukraine zu tun.

Michael Markwardt

Fotos: Michael Markwardt, Julia Eberspach