Vor kurzem waren wir mit dem Fahrrad auf dem Elberadweg unterwegs.
Hatten wir in der Vergangenheit bereits die Wegstrecke zwischen Havelberg und Wittenberge er-radelt, so führte uns der Weg diesmal weiter nördlich an die Landesgrenzen von Brandenburg und MV. In diesem Bereich begegnen sich auch noch Sachsen-Anhalt und jenseits der Elbe das Land Niedersachsen; somit wird diese Gegend auch als „Vierländereck“ bezeichnet.
An der Elbe findet man Quartier in Ferienhäusern oder in kleinen Hotels, wie wir in der „Alten Fischerkate“ von Mödlich nahe der Kleinstadt Lenzen.
Der Landestourismus wirbt mit seinem „Radlerparadies Prignitz“. Von den 1300 Kilometern des Elberadweges führen 89 km allein durch diese Landschaft.
Wir benötigten drei Tage, um die verschiedenen Richtungen „auszuloten“: Von Mödlich bis ins mecklenburgische Dömitz sind es auf dem Deich entlang 18 km, südwärts schafften wir es bis Cumlosen, 16 km entfernt von Wittenberge. Insgesamt sind wir über 140 Kilometer umweltschonend unterwegs gewesen. Mit einem E- Bike ist das gut zu leisten, auch wenn man weniger gut trainiert ist.
Wir waren vor allem in der Lenzer Wische „auf Achse“ und erlebten die Prignitzer Landschaft in diesen Tagen als ein Frühlingsgemälde mit immer wechselnden Motiven: Frisches, zartes Grün in diversen Nuancen zeigte sich in den Auenwiesen - und Wäldern. In den weitläufigen Weiden und in den Gärten der Häuser am Deich blühten Kirschbäume und Schlehen. Auf den Wiesen am Fluss weideten vereinzelte kleine Rinder - Herden, mit Kälbchen dabei. Manchmal zeigten sich Kraniche, Reiher oder ein Milan. Diese Idylle verdankt sich auch dem Naturschutz-Großprojekt, der „Lenzener Elbtalaue“. Selten schob sich mal ein Kahn über den Fluss (...was in Zeiten von Umweltzerstörung und Klimawandel dem nachdenkenden Zeitgenossen befremdlich ist: Früher wurden zahlreiche Lastentransporte ja über die Flussschifffahrt abgewickelt. Dafür sind heute Autobahnen und Straßen voll von LKW- Karawanen und Großfahrzeugen..)
Reizvoll ist die Landschaft der Prignitz! Die Weite, die Stille, der Vogelgesang, die sich hinter dem Deich duckenden Häuser lang gedehnter Dörfer, der sich schlängelnde Fluss ... Hier gibt es noch intakte Fluss-Auen mit seltenen Tier-und Pflanzenarten. Eine davon durchquerten wir, vorbei an einem verlassenen Wachturm der ehemaligen Grenztruppen der NVA.
Wenig erinnert noch an die ehemalige Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten, die hier von 1949 bis 1990 existierte. Einige der Grenzbeobachtungstürme sind umfunktioniert zu Aussichtstürmen für Besucher. Von hier hat man einen eindrucksvollen Blick in die Flusslandschaft. Verschwunden sind Zäune und Grenzsicherungsanlagen, aber in einigen Dörfern, wie Lütkenwisch wird auf einer Tafel daran erinnert, wie sich das Leben der Dorfbewohner unter dem Grenzregime veränderte. Es fällt auf, dass einige der großen Hoflagen nicht mehr vollständig sind. Mal fehlt das Wohnhaus, mal die Scheune. Höfe sind zu DDR-Zeiten geschleift worden, mussten den Grenzanlagen weichen, wie auch deren Bewohner. Einwohnerzahlen sind in diesen Jahrzehnten dramatisch eingebrochen, bevor sie nach dem Fall der Mauer sich wieder etwas „erholten“. Nun wird der demografische Wandel auch hier sichtbar, in den kleinen Elbestädten eher als in den Dörfern am Deich, wo alte Fachwerkhäuser wieder erstehen.
Beim Blick über die Elbe erinnert nichts mehr an die Teilung des Landes. „Drüben“ liegt Schnackenburg, ein Ort in Niedersachsen, der mit seinem mächtigen Kirchturm herüber grüßt und den zu besuchen kein Zaun, keine Grenze mehr hindert, außer der Fluss, den an diesem Ort und an diesem Tag bzw. in den nächsten Wochen keine Fähre überqueren wird - „aus betriebstechnischen Gründen“....
So fahren wir bis nach Cumlosen weiter, in Erwartung einer Gemeinde, die zu DDR-Zeiten Grenzübergangsstelle für den Schiffsverkehr zwischen beiden deutschen Staaten war. Daran erinnert noch ein großes turmartiges Gebäude direkt am Flusshafen, auf dessen Dach die Reste eines Scheinwerfers zu erkennen sind. Mit seinem mächtigen Lichtstrahl konnten damals alle Bewegungen auf dem Gewässer verfolgt werden. Wir erleben allerdings nur einen verschlafenen Ort in dieser nach-österlichen Woche. Nicht einmal die versprochene Einkehr in der Kirche, die ab Ostern für Radfahrer geöffnet sein sollte, ist möglich.
Vor verschlossenen Türen stehen wir leider dann auch in Lenzen. Im Gotteshaus dieses Ortes, so warb eine Ansichtskarte an der Hotelrezeption, gibt es eine historische Orgel aus dem 18.Jahrhundert, an deren Bau so berühmte Orgelbaumeister wie einst Scherer, Schnitger und Scholtze mitgewirkt hatten. Ein Blick darauf hätte mir genügt...aber an diesem Freitagnachmittag ist nichts zu wollen: Weder die freundliche Dame auf der Alten Burg bei der Besucherinformation noch der Ladeninhaber eines Lederwarengeschäfts, seines Zeichens Kirchenältester mit Schlüsselgewalt, können mir helfen. -
Lenzen an der Elbe: das ist ein Ort mit viel Historie! An der Alten Burg wird sie deutlich. Der Besucher wird von sieben Bronzeskulpturen begrüßt, die sogenannte Lenzener Narrenfreiheit, welche auf den Amtmann Gijsels van Lier zurückgeht. Jener klagte einst seinem Dienstherren, dem preußischen Kurfürsten die turbulenten Verhältnisse, die nach dem 30-jährigen Krieg im Städtchen geherrscht hatten. Bernd Streiter, ein bildender Künstler in Lenzen, gestaltete die Figurengruppe, indem er den heutigen Betrachtern den (Eulen-)Spiegel vorhält.
Das Städtchen hat viele alte Fachwerkhäuser. Manche davon sind schön restauriert. Andere warten schon lange auf Erneuerung durch neue Besitzer.- Einen stummen Stadtführer in Papierform fanden wir an der (leider ebenfalls) geschlossenen Stadtinformation. Wir sind die angegebenen zwanzig Stationen nicht abgefahren bzw. abgelaufen, und auch in der roten Backstein- und Festungsstadt Dömitz hätten wir wenigstens einen halben Tag für die Besichtigung empfohlener Sehenswürdigkeiten gebraucht. Vorbei an den z.T. großen Hallenhäusern von Wootz, Kietz, Baarz, Gaarz, Unbesandten und Besandten (Nirgends fand ich eine Erklärung für diese sonderbaren Namen) gelangten wir am dritten Tag bei diesmal herrlichem Sonnenschein nach Dömitz und entschlossen uns, die historische Radtour bis in die „Dorfrepublik Rüterberg“ fortzusetzen.
Die Geschichte dieses Ortes ist skurril und hängt mit seiner besonderen Lage zusammen. Seit 1967 gab es nur einen einzigen Zugang zum Dorf, an dem von den Bewohnern die „Dokumente zur Einreise“ verlangt wurden. Dieses „Eiserne Tor“, heute noch in Elbnähe zu besichtigen, ist Rüterbergs Mahnmal. Auf dem alten Grenzturm hisste Hans Rasenberger die Rüterberger Flagge nach dem Vorbild einer Schweizer Dorfrepublik, die am 8.November 1989 ausgerufen wurde. Niemand damals wusste, dass ein Tag später die Mauer fallen und damit das Tor endlich offen stehen würde ...
Heute wirkt der Ort wie viele in so reizvoller Lage: neben gepflegten alten Grundstücken sind etliche schmucke Eigenheime entstanden, und an einem weht die schwarz-rot-goldene Fahne sowie die Mecklenburger Landesflagge. Ansonsten mahnen einige Schilder in Flussnähe: „Privat! Betreten verboten“.- Privatisiert ist auch der ehemalige Grenzturm ...
In der Dorfrepublik sind die alten Verhältnisse der „neuen Zeit“ wie anderen Ortes angekommen.-
Und auch andere Zeichen dieser Tage sind nicht zu übersehen: das Blaugelb der ukrainischen Flagge fand sich an manchem Haus, was uns zum einen daran erinnert, wie fragil das friedliche Bild dieser Tage ist, zum anderen, dass Solidaritätsbekundungen mit diesem Land bis ins entfernteste Elbe - Dorf reichen.
Definitiv aber sind drei Tage zu wenig, um einen Landstrich zur Genüge zu erkunden!
Angesichts der Attraktionen, die links liegen bzw. uns verschlossen blieben, hoffen wir, die Tour noch einmal zu machen. Dann zu den leuchtenden Farben des Herbstes.
Bärbel H.