Eva Strittmatter
Werte
Die guten Dinge des Lebens
Sind alle kostenlos:
Die Luft, das Wasser, die Liebe.
Wie machen wir das bloß,
Das Leben für zu teuer zu halten,
Wenn die Hauptsachen kostenlos sind?
Das kommt vom zu frühen Erkalten.
Wir genossen nur damals als Kind
Die Luft nach ihrem Werte
Und Wasser als Lebensgewinn,
Und die Liebe, die unbegehrte,
Nahmen wir herzleicht hin.
Nur selten noch atmen wir richtig
Und atmen Zeit mit ein,
Wir leben eilig und wichtig
Und trinken statt Wasser Wein.
Und aus der Liebe machen
Wir eine Pflicht und Last.
Und das Leben kommt dem zu teuer,
Der es zu billig auffaßt.
Wer kennt noch den Namen Strittmatter?
Zu meiner Schulzeit waren die Bücher des Autors Erwin S. Pflichtlektüre.
„Tinko“ und „Pony Pedro“ erzählten nicht allein von ländlicher Idylle. Sie beschrieben u.a. in anekdotischer Weise den gesellschaftlichen Umbruch nach dem Krieg hierzulande. Strittmatters farbige Bildsprache beeindruckte Scharen von Lesern in der DDR.
Der nach der Wende oft als „Heimatschriftsteller“ Titulierte hatte hierzulande eine steile Karriere gemacht und sich von seinem Nationalpreis ein Grundstück fernab des Berliner Kulturbetriebes gekauft. Zwischen Neuruppin, Rheinsberg und Dollgow liegt Schulzenhof, der von Strittmatter erwählte Ort, in dem er schreibend arbeitete und Pferde züchtete.
Mit seiner jungen Frau Eva, die studierte Germanistin und ebenfalls literarisch tätig war und die in den Siebzigern bekannt wurde als Lyrikerin, lebte er seit 1957 auf dem Schulzenhof. Dieser sah viele Besucher: Kulturfunktionäre, Autorenkollegen, Intellektuelle, Theaterleute und andere Künstler... Nicht alle suchten das anregende Gespräch bei Tisch mit den Gastgebern. Manche speisten dort auch, um im Namen „der Firma“, der Staatssicherheit, an Informationen zu gelangen.-
Als 1994 Erwin Strittmatter starb und ihm 2011 Eva folgte, blieb Schulzenhof ein heimlicher Pilgerort, allerdings anders, als mancher Fan sich gewünscht hätte.-
Auf dem Grundstück der Strittmatters wohnt nun einer der Söhne. Der Ort ist als solcher unauffällig
und erschließt sich nur dem, der sich vorher kundig machte. Hinweise auf seine berühmten Vor- Bewohner bleiben eher unaufdringlich bis verborgen. An die Strittmatters wird im Nachbarort, dem Hauptdorf Dollgow mit drei transparenten Stelen erinnert, die über Leben und Werk informieren. Nahebei steht eine hölzerne Skulptur, Volkskunst, geschnitzt - darstellend wohl nicht den Autor, sondern eine seiner Romanfiguren (Vermutlich Ole Bienkopp).
In den Jahren nach der Jahrtausendwende kam Strittmatters Mitgliedschaft in den Kriegsjahren in einer Polizeitruppe, die der SS unterstellt war, ans Licht und trübte allen früheren Glanz des sozialistischen Großschriftstellers. Strittmatter war auf einmal umstritten!
Wer sich die „Erinnerungen an Schulzenhof“ zu Gemüte führt, die 2017 erschienen und von dem ältesten der Strittmatter-Söhne geschrieben worden sind, wird völlig desillusioniert, was sein mögliches Bild von dem kreativen und hoch gerühmten Künstler-Ehepaar angeht. Erwin junior hat den Namen seiner Urgroßmutter angenommen, ist als Schauspieler, Theatermann und auch schriftstellerisch als Erwin Berner in Erscheinung getreten. Was wie eine Abrechnung wirkt, ist eher eine Arbeit zum eigenen Selbstverständnis. Das in Briefform geschriebene Buch enthält Erinnerungen,,mal hart, mal heiter, um die Eltern in einem anderen Licht zu sehen“, verheißt der Klappentext.
Was aber der Leser erfährt, ist nicht die Idylle, die sich beim flüchtigen Besuch an einem sonnigen Maientag zeigt. Berner empfand „das System Schulzenhof“ als „einen Alptraum in schöner Landschaft“. Zumindest letzteres, die „schöne Landschaft“ findet sich bestätigt. Die Fahrt von Dollgow über schütteren Straßenbelag ins Schulzenhof genannte Vorwerk führt an grünenden Wiesen, Bäumen, einem (nicht sichtbaren) Bach vorüber, und rasch ist man bei den weiß getünchten Häusern mit den roten Fensterläden des Strittmatterschen Gehöfts. Die Sicht auf den Hof versperrt ein mannshohes Tor, an dessen Außenseite einige Hinweise kleben. Ich weiß, was man darauf wird lesen können: Besucher werden nur am Wochenende empfangen und über das Gelände geführt.
Wir aber sind mitten in der Woche da...
Auf der einzigen Kreuzung im Ort mit vier oder fünf weiteren Hoflagen drehen wir um und halten am Waldrand, wo ein kleines blaues Schild auf den Friedhof hinweist.
Hügelan finden wir die Gräber, auf denen es gelb blüht. Auf zwei Findlingen sind die Namensschriftzüge von Erwin und Eva Strittmatter eingearbeitet. Nur zehn Schritte entfernt ist das Grab von Sohn Matthes, dem Matthi mancher Strittmatter-Episode, der wie sein Vater 1994 starb.
Erwin Strittmatter junior., d.h. Erwin Berner, hat seinem Buch eine ironische Widmung voran gestellt: „All denen, die auch eine leicht verquere Kindheit hatten“. oder wie die „Süddeutsche Zeitung“ bemerkt: „ Einblicke in...die nie endende Tragikomödie von Eltern und Kindern“.
Lassen wir zum Schluss Erwin Berner selbst zu Wort kommen. In seinen „Erinnerungen“ schreibt er über seine Gedanken am Grab seiner Eltern:
Löscht meine Worte aus und seht: der Nebel geht über die Wiesen...lautet der Grabspruch, Zeilen aus Mutters Gedicht „Oktobernacht“. Ich liebe diese Zeilen. Auf Vaters Grabstein als Letzte Worte wirken sie jedoch fragwürdig. Da wollte einer ein Leben lang nichts anderes als schreiben. Er schrieb, schuf sein Werk, und die Familie zahlte dafür einen hohen Preis. Jetzt am Lebensende verkündet der Schreiber: Entschuldigt, es war nicht ernst gemeint. Und weil´s nicht ernst gemeint war, übergebt alles... dem Vergessen...Nein, auf dem Grabstein, in Erinnerung an das System Schulzenhof misshagen mir diese Zeilen... komme ich gegen mein Unbehagen nicht an.“
Mag jeder das Seine daraus lesen.
Bärbel H.