Ein Mann, der an der Küste einen Hof - früher Kutscherstation und Ausspanne für Reisende - erworben hatte, will das alte Ensemble im Sinne seiner ursprünglichen Bestimmung wieder herstellen. Hotel- und Restaurantbetrieb, zwischendurch „eingeschlafen“, will er wiederbeleben.
Gastronom ist er nicht, aber kochen kann er! Seine ganze Kreativität und Kunstfertigkeit setzt er darauf, seinen Traum mit Enthusiasmus umzusetzen. Schon bald wirbt er für seine Herberge öffentlich, obwohl im Hause noch manches Handwerkliche zu erledigen ist ...
Sein Unternehmen hat er bereits auf einer der gängigen Internet-Plattformen angemeldet, und erste Gäste - und Bewertungen - erhalten. „Außergewöhnlich“ befand den Aufenthalt in diesem Hause ein Claudius und vergab 10 Punkte für das Nachtquartier.
Weit weniger freundlich allerdings bewertete eine Juliane die Übernachtungsmöglichkeit: mit nur einem einzigen Punkt und vernichtenden Worten befand sie, dass, was der Mann da anbiete, „extrem schlecht!“ sei.
Und dieser, zu Recht empört, weil die Dame überhaupt nie bei ihm zu Gast gewesen, ihren Freund oder wen auch immer vorgeschickt habe, (der nicht mal als Schlafgast geurteilt hatte!), ruft nun aus, da könne man ja sonst was behaupten ...! Und wer sich noch so sehr mühe, schmackhaftes Essen bereite, saubere Betten vorhalte, ... und das alles zu mehr als kulanten Preisen, der bekomme kein Bein mehr in die Tür mit einer solchen Verurteilung! Es bedürfe nur einer einzigen Bewertung solcher Art, und alles würde mit einem Schlage zunichte! Wer hatte Interesse daran? Ein Konkurrent? Ein Neider? Davon gab es viele vor Ort, die selbst ihre Besenkammer an Fremde vermieteten!
Solch einer Verleumdung aber wird er, wenn die nicht umgehend aus dem Netz entfernt würde, gerichtlich beikommen!
Einen Zungenschlag später hören wir ihn von seinem Nachbarn reden, dem Konditor gegenüber: Dessen Torten sollen ja köstlich sein, aber ... er habe noch keinen Baiser, keinen Sturmsack aus dessen Backstube genossen! Die wären wohl eine Bereicherung für´s zu eröffnende Restaurant gewesen, aber ... Mit leicht süffisantem Unterton setzt er hinzu:
Es sei ihm hinterbracht worden, dass die Backstube des Konditors ein Fall für die Hygiene sei, kein Ort besonderer Reinlichkeit, und was für ein Chaos dort herrsche!- Für´s eigene Geschäft wäre das „extrem schlecht“.
Schnell ist ein Urteil über andere gefällt! Wir verurteilen, was uns fremd und nicht geheuer ist, beurteilen, verurteilen, wie es uns von Nutzen scheint. Wir sind selten objektiv.
Ein Indianer-Sprichwort besagt, dass man erst eine Zeitlang in den Mokassins des Anderen laufen solle, ehe man über ihn den Stab bricht.
Vorsicht im Urteilen! - So forderte einst auch Georg Christoph Lichtenberg, der Physiker und Aphoristiker. Diese Vorsicht sei „allen und jedem empfohlen.“
Und was in Zeiten der Aufklärung galt, hat sicher seine Berechtigung auch noch heute.
Anne Marten