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Süderholzer Blatt
Ausgabe 380/2022
Reisen
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Zwischen Gartz und Hohensaaten - Unterwegs auf dem Oder/Neiße-Radweg …

Kirche im Lenne-Park von Criewen

Blick über die Oder auf die polnische Seite, Höhe „Tal der Liebe“

Tabakanbau im Museum Vierraden

Mitte August, bei reichlich Sonnenschein - da ist Hochsaison auf dem Oder-Neiße-Radweg!

Im „Hotel am Turm“ in Schwedt sind uns viele Radfahrer begegnet, z.B. eine Frauentruppe, die auf eine Bahnfahrt mit dem 9 Euro-Ticket quer durch Deutschland verzichtet hatte und stattdessen lieber mit ihren „ehrlichen“ Rädern nach Prenzlau aufbrach. Da wüssten sie, dass Gepäck und fahrbarer Untersatz sicher ankämen! - Wir hatten ja nur unsere „Schummelbikes“ dabei... (Sie wissen schon: die mit Motor- bzw. Akku - Unterstützung) und bewunderten diese sportlichen Damen.-

Am ersten Tag, einem Sonntag, nahmen wir den Deich nordwärts bis nach Gartz. Wir erreichten den Ort erst gegen Abend, da war keine Eisdiele mehr offen... Aber das Tabakmuseum in Vierraden hatte geöffnet! Ein Besuch dort lohnt sich, erfährt man doch Wesentliches aus der Kultur- und Wirtschaftsgeschichte dieses Landstriches. Früher war mir auf Großvaters Zigarrenkisten der Aufdruck „Aus Vierraden“ aufgefallen. Und sie zeigten eine Ortschaft mit hohem Turm... soviel erinnere ich noch. Dieser Turm taucht auf, sobald man sich dem Ort an der Welse nähert. Es ist der sogenannte Hungerturm, Rest einer Burganlage. Der merkwürdige Ortsname Vierraden geht auf eine vierrädrige Mühle im Mittelalter zurück. In den Ortschaften ringsum fallen imposante Gebäude auf: Eindrucksvolle Wohnhäuser, z.B. mit Säulen oder hohen Treppen am Eingang, die den Wohlstand ihrer Bewohner in vergangener Zeit demonstrierten. Inzwischen zeigen sich allenthalben die schlichteren, zweckmäßigen Bauwerke der Neuzeit. Große Bretterscheunen am Feldrand bezeugen aber immer noch den Grund für einstigen Reichtum, das war nämlich der Tabakanbau: hier wurde die wertvolle Ernte getrocknet. Die Hugenotten hatten vor mehr als 300 Jahren den Tabak in die östliche Uckermark gebracht. Auch das Tabakmuseum befindet sich in so einer ehemaligen Tabaktrockenscheune. Das einzigartige Gebäude von 1934 zeigt, wie solche Scheunen genutzt wurden: als Stroh- und Heulager im Erdgeschoss, in der Quertenne wurde der Tabak auf Schnüre gezogen und in den oberen Geschossen zum Trocknen aufgehängt. Die Ausstellung folgt dieser Aufteilung. Sie gilt der Pflanze Nicotina, zeigt ihren Weg aus der neuen in die alte Welt, stellt das Arbeitsjahr der Tabakbauern vor und belegt die Verarbeitung des Tabaks. Hier kann man ihn nicht nur sehen, sondern auch anfassen, riechen oder gar Saatgut erwerben. Allerdings ist die Pflanze eine „Prinzessin“; sie benötigt hingebungsvolle Pflege! Und dass sie nicht nur Genuss bringt, sondern als Suchtmittel die Gesundheit gefährdet, darauf wird ebenfalls hingewiesen. Die Exposition ist anschaulich, informativ und mit zwei Euro für den Eintritt erschwinglich; aber es braucht auch Glück für den zufälligen Besuch, denn von Montag bis Mittwoch bleibt das Tabakmuseum geschlossen.- Am Abend dieses Tages standen 65 Kilometer auf dem Tacho.

Am nächsten Tag befuhren wir den Radweg südwärts, von Schwedt bis Hohensaaten. Das wurde mit 75 Kilometern die längste Etappe. Bekannt ist letzterer Ort durch seine großen Schleusen. Hier begegnen sich Oder und Oder-Havel-Kanal. Wir aber machten Halt in Criewen, das wie Vierraden ein Teil der Gemeinde Schwedt ist. In Criewen gibt es einen Park mit einer Kirche, die dort etwas verloren wirkt. Alte Grabsteine erinnern an die Familien von Arnim und von Plessen. Aber Wohngebäude sind nicht in der Nähe. Den Park errichtete 1822 der bekannte Landschaftsarchitekt Peter Joseph Lenne`. Dafür musste allerdings das alte Dorf weichen.- Entstanden ist eine grüne Oase mit einem Teich und alten besonderen Bäumen, wie z.B. der Sumpfzypresse. Im Schloss unweit davon befindet sich heute das Besucherinformationszentrum und die Nationalparkverwaltung. Und gegenüber ist „Anitas Eis-Cafe“, regelmäßig von Radreisenden okkupiert, sobald es geöffnet hat. Weil montags die Museen geschlossen sind, gelangten wir weder ins Criewener Besucherzentrum noch in den Stolper „Grützpott“, einem mittelalterlichen Bergfried mit wunderbarem Ausblick auf das Oder-Flusstal und die Polderwiesen. Nicht so rosig sind die Aussichten auf die eigene leibliche Stärkung. Lediglich im Ort Lunow fanden sich Hinweise auf eine Landfleischerei mit Imbiss und einen Landgasthof, der geöffnet und dem entsprechend gut besucht war.

Am dritten Tag sollte es in Richtung Osten bis über die Grenze nach Polen gehen. Ein Einheimischer hatte uns den Tipp für diesen Ausflug gegeben. Da drüben existiere ein „Tal der Liebe“, ein besonderer Landschaftspunkt, der in unserer Radkarte immerhin eckig vermerkt war. Problematisch war nicht der Blick hinüber, sondern einen Weg dorthin zu finden! Das Gebiet ist dicht bewaldet, sehr hügelig und zum Oderfluss hin stark abfallend. Vor elf Jahren soll der Park mit EU-Mitteln saniert worden sein, da wurden auch einige der alten Skulpturen wieder aufgestellt, die auf Anna Sophie von Humbert zurück gehen. Sie war die Initiatorin, die um 1850 diesen romantischen Platz anlegen ließ „im Tal, das die Liebe schuf“. Leider fanden wir keine Götter in Gips, nicht einmal einen Hinweis, abgesehen von einem Brett im Straßenstaub, das mit einem herzförmigen Blatt erahnen ließ, worauf es hinweisen wollte. Wir folgten dem Weg, der sich irgendwo im hohen welken Gras verlor. Mit den Rädern weiter zu fahren erwies sich als illusorisch. Wir hätten uns vorher informieren sollen! In den Dreißigern des vorigen Jahrhunderts sei dies ein beliebtes Ausflugsziel gewesen mit einem Aussichtspunkt und Steinen zur Erinnerung an bekannte Persönlichkeiten, wie Beethoven, Bismarck und Kant. Allerdings auch mit Erinnerungen an Kriegsstrategen wie Kaiser Wilhelm II und General Schlieffen. Ein illustrer Ort also, über den eine Info-Tafel zweisprachig und „historisch sachlich informiert“. Leider haben wir auch diese Tafel nicht gefunden. Dafür lohnte die Rücktour durch die Auenwiesen mit manchen Tier- und Naturbeobachtungen! Mit 35 Kilometern war diese Tour die kürzeste, denn diesen Tag stand noch die Heimreise an.

Es war nicht unser erster Besuch im Unteren Odertal, und wir ahnten nicht, welche Meldungen uns an den folgenden Tagen einholen würden. Zunächst war von einem ominösen Fischsterben bei Frankfurt die Rede, dann von der zu erwartenden Katastrophe, wenn die "Todeswelle" das Haff und die Ostsee erreichten... An die unbekümmert im Fluss badenden Kinder dachte ich und an die Freizeitkapitäne auf ihren schnittigen Booten. Und an die Angler am Fluss. An die Silberreiher, die Kraniche und anderes Getier, das wir in den Oder - Wiesen hatten beobachten können. An die Radtouristen auf dem Deich und all jene Gäste, die in den Parks spazieren gingen, und an die Hotels und Pensionen, in denen sie Quartier gefunden hatten. Was, wenn diese Gäste künftig ausblieben, weil Verwesungsgestank und totes Getier die Wahrnehmung beherrschten...? Ja, auch wir hatten eine steil in den Himmel ragende Rauchsäule über dem Wald am jenseitigen Flussufer gesehen. Aber die war viel zu weit weg und zum Glück bald verschwunden. Und darum war sie rasch vergessen.

Aber was nun hatte tonnenweise Fische getötet? Die Katastrophe war nicht zu übersehen. Fast täglich kamen die Bilder von "Teppichen" aus Fischkadavern in die Zeitungen und auf den Bildschirm.

Sicher werden Umweltlabore und Behörden Gründe und Ursachen irgendwann herausgefunden haben und medial verkünden. Sicher dann nicht mehr auf vorderster Seite. Kann sein, dass der heiße Sommer da längst vorüber ist und andere schlimmere Schlagzeilen die Medien beherrschen. Der Mensch gewöhnt sich, er hat gelernt, dass Idylle trügerisch sein kann... Und die komplexen Zusammenhänge von Sauerstoff- und Salzgehalt, Algenschwemme, Umweltschäden überfordern manchen... Doch zu befürchten ist, dass es mit der Saison auf dem Oder-Neiße-Radweg einstweilen vorbei sein wird.

Bärbel H.