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Süderholzer Blatt
Ausgabe 387/2023
Das Thema
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Viele Worte

Auf über eintausendfünfhundert Seiten erzählt Leo N. Tolstoi in seinem 1863-69 entstandenen Werk „Krieg und Frieden“ die Geschichte dreier Familien zur Zeit der russisch-napoleonischen Kriege. Es ist Weltliteratur und es sind viele Worte, aber ein Beitrag zum Frieden ist es nicht.

Seit über einem Jahr werden wir pausenlos „informiert“ und mit ganz vielen Worten in täglichen Frontberichten, Meinungsäußerungen und Analysen über den Krieg in der Ukraine auf dem Laufenden gehalten.

Seltsamerweise ist es möglich, mit ganz vielen Worten garnichts zu sagen. Die wahren Hintergründe erfahren wir nämlich trotzdem nicht, hier nicht und die Menschen dort in Russland auch nicht. Und wenn doch einmal ganz kurz ein kleiner Teil davon den Weg in die Öffentlichkeit findet, dann geht dieser Teil ganz schnell wieder im großen Sumpf der Narrative unter.

Narrative, das sind die Erzählweisen, die Darstellungen, mit denen wir gefüttert werden. Es gibt so viele unterschiedliche Narrative, wie es Akteure gibt. Natürlich bekommt nie jemand alle Varianten zu hören, sondern immer nur die, die er hören soll. Hier wie dort. Man könnte das Ganze auch Propaganda nennen.

Schon früh nach Beginn des Ukraine Krieges wurden wir konfrontiert mit Bildern von ernst dreinblickenden Politikern auf Panzern und der medienwirksamen Inszenierung der Bundeswehr bis hin zu so interessanten Zeitungsartikeln wie der vom 25.08.2022 in ZEIT ONLINE mit dem fabelhaften Einleitungstext „Wie wichtig die Panzerfaust Javelin im Kampf gegen Russland ist und wie wirkungsvoll die einfach zu bedienende Waffe ist, beschreiben meine Kollegen Johannes Böhme und Philipp Daum.“

Wir werden mit Worten zugeschüttet, auf den Krieg und dessen unumgängliche Notwendigkeit eingestimmt, zum Verzicht gemahnt und sollen das glauben, was uns als Wahrheit präsentiert wird. Unsere Gegenwart ist geprägt von vielen Worten zum Thema Krieg und von Worten gegen diejenigen, die sich für den Frieden einsetzen. Diese haben nämlich alle böse Absichten (z.B. „Pekings trickreicher Plan“ vom RND vom 25.02.23 und „Schwarzer und Wagenknecht betreiben Kreml-Propaganda“ bei t-online 03.03.23), obwohl man das noch gar nicht wirklich prüfen konnte, aber das kann man ja nicht zugeben. Es geht um Gespräche und nichts Anderes. Ohne Gespräche kein Frieden. Wieso will man uns unbedingt weismachen, dass derjenige, der Gespräche sucht, einer totalitären Diktatur Tür und Tor öffnet und ganz Europa verrät?

Propaganda, egal von wem, macht mir einerseits Angst, macht mich aber vor allen Dingen immer sehr, sehr misstrauisch, macht mich manchmal sprachlos wegen ihrer Dreistigkeit und das ständige Säbelrasseln, hier wie dort, macht mich zornig.

Trotz der ganzen Propaganda gibt es Menschen, die gegen den Krieg und für den Frieden demonstrieren. Hier wie dort. Dort werden sie verhaftet und hier wird groß über die Verhaftungen berichtet. Menschen, die bei uns für den Frieden demonstrieren werden „nur“ diffamiert, nicht verhaftet. Hier sind es Leute aus dem Querdenker-Milieu, die man auch von anderen Demonstrationen her kennt, sind es Linke, Rechte, Reichsbürger, Ost-Linke, Alt-Linke aus dem westdeutschen Protestmilieu der achtziger Jahre, kurz die gesamte Querfront, auch Delegitimierer genannt. Die große Mehrheit derer, die sich einfach nur erkennbare Bemühungen zu Gesprächen wünschen, die wird einfach nicht erwähnt und falls es Prominente sind wie Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht, dann sind es eben „Putin-Versteher“ oder von Russland bezahlte Rhetoriker.

Dabei hat die Friedensbewegung in Deutschland eine lange Geschichte. Der große deutsche Philosoph Immanuel Kant schrieb 1795 das Werk „Zum ewigen Frieden“. Bertha von Suttner, Autorin von „Die Waffen nieder“ und Gründerin der Deutschen Friedensgesellschaft erhielt 1905 den Friedensnobelpreis und 1927 erhielt Ludwig Quidde, Mitarbeiter bei der „Deutschen Friedensgesellschaft“ und Vorsitzender der pazifistischen Dachorganisation „Deutsches Friedenskartell“ ebenfalls den Friedensnobelpreis, nachdem er noch relativ kurz zuvor im Jahre 1924 wegen Landesverrats verhaftet worden war. Albert Einstein und Dietrich Bonhoeffer wären an dieser Stelle zu nennen und noch viele, viele andere.

Von all’ den zahlreichen anderen Kämpfern für den Frieden auf der ganzen Welt von der Antike bis heute ganz zu schweigen. Und Jesus Christus? Ich erinnere nur an die Bergpredigt oder die Geschichte von der rechten und der linken Wange. Was hätte Jesus wohl zu der Bemerkung „Gespräche machen keinen Sinn“ gesagt? Vermutlich irgendetwas wie „oh ihr Kleingläubigen“ oder so. Und er hätte dabei ganz bewusst einfach mal außen vor gelassen, wer welche Interessen bei der diesem Krieg verfolgt.

Lieber will ich von tausend vergeblichen Versuchen, Friedensgespräche zu führen hören, als den Satz „Gespräche machen keinen Sinn“. Was ist denn die logische Schlussfolgerung aus „Gespräche machen keinen Sinn“? Die logische Schlussfolgerung aus diesem Satz ist „Töten macht Sinn“, eine Aussage, die nie jemand offen aussprechen würde, weil sonst die ganze Sinnlosigkeit sofort erkennbar wäre.

Krieg oder Frieden? Es bleibt die Frage toll oder stoj? Krieg ist niemals toll und das stoj, das stop! gilt sämtlichen Kriegstreibern und Kriegführenden nicht nur hier sondern auf der ganzen Welt.

Martin Buber hat es 1953 mit ganz wenigen Worten auf den Punkt gebracht: „Es liegt im Wesen des Kriegs, dass er jeweils da beginnt, wo die Sprache aufhört.“. Der Umkehrschluss daraus ist genauso einfach: Einen Krieg kann man nur beenden, wenn man die Sprache wieder findet und anfängt, miteinander zu reden! Wer suchet, der findet. Wer allerdings gar nicht sucht, der findet auch nicht!

Zeichnung und Text Andreas Diecke