Darüber lässt sich trefflich streiten. Um die Jahrtausendwende konnte man mit Verwunderung hören, dass das Land am Meer schon seit ältester Zeit polnisch gewesen sei. Polnische Könige hätten das Land in grauer Vorzeit erobert und christianisiert. Der Missionar der Pommern aber kam aus deutschen Landen, sein Name: Otto von Bamberg. -
Nach den Umbruch-Ereignissen in den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts wurde Geschichte auch in Polen neu geschrieben. Und so schien nur selbstverständlich, was über die polnischen Ursprünge Pommerns zu hören war, wenngleich diese Sicht etwas befremdlich auf uns wirkte. Denn es wurde das mit nicht weniger Vehemenz behauptet, als dass Stettin eine ausschließlich „deutsche Stadt“ sei.
In alter Zeit war Stettin der Residenzort der Greifen - Herzöge, die über das Land am Meer (po Morje = Pommern) herrschten. Davon kündet noch heute das herzogliche Schloss, das nach den Verwüstungen des letzten Krieges von polnischen Handwerkern wieder weitgehend originalgetreu aufgebaut wurde.
Davon berichtete unser Stadtführer Rafal Piasecki in großer Sachlichkeit und mit einiger Kenntnis von Geschichte, nicht nur der seiner Stadt.
Er begrüßte uns, eine Gruppe von 20 Teilnehmern des Groß Bisdorfer Kirchenfördervereins an der Hakenterrasse, dem wohl bekanntesten Treffpunkt Stettins. Vor der schönen Kulisse erklärte er, dass die drittgrößte Stadt Polens aber auch diverse Probleme habe: sie verliert Einwohner. (nach der Einwohnerzahl liegt Stettin nur an 7. Stelle). Viele Stettiner verließen ihren Wohn- und Arbeitsort, gingen gen Westen oder zum Studium ins Ausland. Die Werft, einst Arbeitsstelle für 15Tausend, ist stillgelegt. Dort, wo früher Ozeanriesen gebaut wurden, gibt es nur noch kleinere Betriebe, Reparaturwerften mit gerade noch 200 Beschäftigten.
Jüngster Geschichte begegnet man am Mahnmal zu den Ereignissen um 1970 am „Engel der Freiheit“, der an die Menschen erinnert, welche in Stettin gegen die verkrusteten Strukturen des alten Regimes auf die Straße gegangen waren und auf die geschossen worden war. Um so tragischer: der Tod einer unbeteiligten Schülerin, von der uns Rafal erzählte. Ihren Namen und die der anderen Opfer findet man an diesem Denkmal. Ganz in der Nähe steht die älteste Kirche Stettins, St. Peter und Paul. An diesem Platz befindet sich auch, quasi „im Untergrund“ ein Museum, das die Umbrüche in der Geschichte Stettins darstellt. Aber auch die neue Philharmonie, gestaltet von zwei Architekten aus Barcelona, zieht die Aufmerksamkeit des Besuchers auf sich, denn es ist ein imposantes weißes Gebäude, das wie ein Fremdkörper zwischen kaiserlicher und sozialistischer Architektur heraus sticht. Im Innern beeindruckt es durch Gediegenheit und Extravaganz. Wir besuchten das neue Konzerthaus der Stettiner sozusagen als krönenden Abschluss am 2. Tag unseres Aufenthalts. Dort verabschiedeten wir uns auch von Rafal, unserem zuverlässigen Begleiter mit der gelben Sonnenblume und einem perfekten Deutsch.
Er hatte uns nicht nur an geschichtsträchtige Orte seiner Stadt geführt, sondern über Stettin berichtet, was die eingangs gestellte Frage berührt:
Lange Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war unklar, was aus der Stadt an der Oder werden sollte: Blieb sie deutsch, oder würde sie unter polnische Verwaltung gestellt?
Die durch alliierte Bomben zerstörte Stadt wurde zum Grenzort, was bedeutete, dass die deutsche Bevölkerung das Gebiet jenseits der Oder in Richtung Westen verließ.
Es fehlte nun an Menschen, welche beim Wiederaufbau halfen. Die kamen aus dem Osten Polens, von wo sie vertrieben waren. Dennoch blieben Probleme ...
Was für eine Stadt sollte Stettin zukünftig sein? Es war keine deutsche Stadt mehr, aber polnisch war sie zunächst nur „verwaltungstechnisch“.
Was, wenn die Deutschen zurück kämen?, war lange Zeit eine bange Frage.
Die Grenze war nahe, aber Warschau weit!
Als ich in den 60ern zum 1.Mal nach Polen reiste, blieb Stettin „links liegen“. Die Stadt hieß nun Szezcin und war „kriegsversehrt“, was an mancher Lücke im Straßenbild noch sichtbar war.-
Jahre später sah ich das wiederhergestellte Schloss der Pommern-Herzöge, und nun begann auch der Wiederaufbau des zerstörten Viertels am Heumarkt.
Unser Respekt galt schon damals den Leistungen polnischer Restauratoren!
Stettin ist eine grüne Stadt geblieben, eine der bedeutendsten in Europa, mit Parks, Grünanlagen, einem großen Waldfriedhof und den Zeichen vergangener Geschichte darin: Heldengedenken, Soldatengräber, deutsche Grabsteine, verwittert, und polnische Kreuze, weiß und geschmückt mit dem ewigen Licht.
An breiten Straßen reihen sich Jugendstilvilla an sozialistische Wohnkaserne, preußischer Amtsbau an Glas und Beton der Moderne.
Renaissance und Gotik aus der Hansezeit begegnen sich in repräsentativen Bauten wie dem Loitzenhaus und der Jakobskathedrale. Stettins größte Kirche bekam erst vor wenigen Jahren ihren ursprünglichen hohen Turm zurück.
Die Wunden des Krieges scheinen allmählich verheilt ...
Aber wer die Stadt aus Tagen noch vor dem Kriege kennt, für den hat sie sich doch sehr verändert!
In einem der Tore aus preußischer Vergangenheit befindet sich Cafe Wedel mit leckeren Speisen für den kleinen Hunger. Wir haben sie probiert...!
Empfehlenswert! Aber das Anklamer - bzw. ehemalige Königstor- es bleibt eine Sehenswürdigkeit in einer fremd gewordenen Stadt mit zungenbrecherischem Namen!
Mit modernen Bürogebäuden, Hotels, Shoppingmalls, Baukränen auf nervigen Baustellen und einem chaotischem Feierabendverkehr ist Stettin inzwischen eine europäische Stadt geworden, ein Ort, der wieder „Stettin“ genannt werden darf, und der offen ist für Neues!
Hier wird nicht nur Polnisch gesprochen, man kann sich auf Englisch verständigen und muss sich der deutschen Sprache nicht schämen.
Man zahlt in polnischen Zlotys, aber auch Euros werden gern genommen.
Touristen werden beherbergt in Hotels von internationalem Standard.
Und auf der ehemaligen Lastardie, einer kleinen Oder-Insel, dröhnt Musik bis weit in den Morgen.
Es gibt immer was zu feiern … Stettin ist eine junge Stadt mit einer Universität und einigen Akademien, z. B. für Seefahrt, für Kunst …
Das Wetter ließ dieser zwei Tage nichts zu wünschen übrig! So gehörte auch noch eine Hafenrundfahrt zu den Highlights, die Nicole Kiesewetter für die Ausflügler organisiert hatte. Überhaupt wären an dieser Stelle jene zu nennen, denen wir den Erfolg dieser Exkursion verdanken: In Rafal hatten wir in angenehmer Weise einen europäisch denkenden Polen kennengelernt. In Rafal hatte Nicole Kiesewetter aber auch eine wichtige Unterstützung bei der Organisation von Quartieren und Restaurantbesuchen. Ihr gebührt ein besonderer Dank für alles Engagement schon im Vorfeld und im Nachgang dieser Fahrt.
Als unsere Fahrer sind neben Frau Nicole Kiesewetter die Herren Dr. Bernd Müllejans und Michael Markwardt zu nennen; sie brachten uns sicher durch den mitunter unübersichtlichen Verkehr und behielten die Nerven; so kamen alle wieder sicher nach Hause.-
Der dominierende Eindruck im Blick auf die eingangs gestellte Frage?
Ich kann die alte „Hauptstadt Pommerns“, die ehemalige „deutscheKreisstadt“ Stettin akzeptieren als das moderne Zentrum einer neuen alten Region, in der Deutsche und Polen friedlich zusammen leben. Längst ist das Land am Meer auch Heimat geworden für Georgier, Weißrussen und Ukrainer, die hier ein neues Zuhause fanden. Pomerania - dieser alte Name erhält eine neue Bedeutung: für ein Grenzen übergreifendes gedeihliches Miteinander, indem man zusammenarbeitet und Probleme gemeinsam löst. Nicht als „die Polen“ oder „die Deutschen“, jeder für sich, sondern als Pomeranen, als Bewohner einer europäischen Region mit einem gemeinsamen Zukunftsprojekt. -
Die Geschichte ist offen ... Möge sie friedlich bleiben!