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Süderholzer Blatt
Ausgabe 394/2023
Reisen
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Warum in die Ferne schweifen …?

Friedland Fangelturm

Schloss und Park Rattey

Tanzlinde Gahlenbeck

Urlaub im Urlaubsland M-V

So sieht sich die Tourismusbranche in M-V gerne: als das erste Urlaubsland unter seinesgleichen. Und wir pflichten ihr bei: „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah...“ heißt es schon bei Goethe. Also Rattey statt Rio! Das hat auch etwas Exklusives an sich, sodass nach ersten geposteten Fotos vom Urlaubsort wie selbstverständlich die Frage kommt: Gibt es etwas zu feiern?

In der Tat hat das ehemalige Rittergut sich längst zum besonderen Domizil gemausert. Eine nicht ermüdende Fontäne vor dem Schloss begrüßt Ankommende und Gäste des Weingutes. Allerdings sind Baumaschinen und Bauteile nicht zu übersehen; ein großer Gebäudetrakt ist am Entstehen, gerade war Richtfest. Und das Gelände wird weiter „vervollkommnet“. Schon ist der Parkplatz befestigt, führen statt schlichter Kieswege steinerne Treppen in den Park hinunter, durch den man an einem Reben-Feld und Teich vorbei unter Laternen wandeln kann. Das gibt romantische Bilder!

Unser Quartier befindet sich unter dem Dach, ein geräumiges und stilvoll eingerichtetes Zimmer mit herrlichem Ausblick auf Teiche und Park mit den alten Eichen darin. Am Abend werden wir mit einem eisgekühlten Landwein überrascht, natürlich vom hiesigen Gut, und einem drei-Gänge-Menü im schloss-eigenen Restaurant.

In den nächsten Stunden und Tagen wollen wir die Gegend per Fahrrad erkunden. Allerdings gibt es ein Problem: nirgends ist eine Fahrradkarte zu bekommen, die den Radius zwischen Friedland und Strasburg insgesamt auf einem Blatt abbildet. Zwar begegnen uns derartige Übersichtskarten auf großen Schautafeln am Wegesrand, aber es begegnet uns kein Laden, in dem so etwas vertrieben würde. In Friedland werden wir an die Stadtinformation im Eingangsbereich des Museums verwiesen. Nicht zu finden ist hier gefragtes Kartenmaterial, wenngleich die Aufsichtskraft sehr bemüht ist, unseren Wünschen nachzukommen.

Aber glücklicherweise ist die Gegend recht gut ausgeschildert. Holztäfelchen verschiedener Art, mit Richtungs- so wie Entfernungsangaben (bzw. ohne dergleichen) begleiten uns auf diversen Streckenabschnitten. Nicht immer sind das extra Radwege, aber wir bleiben zumeist unbehelligt von Staus und rasenden Verkehrsteilnehmern.

Wir kommen durch diverse Ortschaften, die eines gemeinsam haben: Sie sind gar nicht immer so klein, wirken aber ländlich abgeschieden. Irgendwie erinnern sie mich an die Beschreibung eines Reisenden aus Süddeutschland, der um 1830 herum Mecklenburg besuchte. Wenn man von den Sandwüsten Brandenburgs käme, müsse Mecklenburg gefallen, schrieb jener und lobte die „fetten Wiesentäler, Saatfelder, hellen Seen mit idyllischen Hütten“. „Aber an Manufakturen und Fabriken scheint man noch wenig gedacht zu haben, als an Kanäle, so schlecht auch die Landstraßen sind.“ kritisierte er.

Mir fallen die leeren Schaufenster in Marktnähe auf: Friedland an einem Wochentag nachmittags... wenig Menschen beleben die City. Der Platz scheint viel zu groß für das Städtchen, dessen kriegsbedingte Lücken selbst nach fast acht Jahrzehnten nicht vollends kaschiert sind - trotz allen Bemühungen mit Neubebauung und Straßenkunst. Vielleicht ist aber auch der grau bewölkte Himmel mit schuld an der empfundenen Tristesse …?

Als wir zwei Tage später Strasburg, die einzige uckermärkische Stadt in M-V besuchen, bleibt der Eindruck jedoch der selbe. Auf dem großen Marktplatz fehlt das Rathaus; eine Installation erinnert daran, dass es in den letzten Kriegstagen in Flammen aufging. Und heute - auch hier: leere Schaufenster, geschlossene Geschäfte - mit Ausnahme eines Supermarktes. Vergebliche Suche nach der Eisdiele, wo wir vor einiger Zeit noch einen Schwedenbecher genossen hatten... Sie gibt es nicht mehr. Trutzburg-artig thronen die großen Stadtkirchen in Marktnähe. Wir können nicht hinein. Wir sind zur falschen Zeit da. Der „Kirchentour“ sind wir nicht gefolgt; hier hat beinahe jedes Dorf sein Gotteshaus. Die „Schönen vom Lande“ erheben sich inmitten ihrer Gemeinden stolz, mächtig und sind wie jene in den Städten: meistens verschlossen. „Offene Kirchen“ wie in Woldegk und Badresch blieben während unserer Fahrt die Ausnahme.

Dem Touristen werden diverse Routen angeboten: die Eiszeitroute, z.B.führt bergauf, talabwärts, wie in Moränenlandschaften üblich, und mit nicht einmal viel Glück folgen „Urstromtal und Sander“ in einem Wegstück, nämlich beim Slalom um die Pfützen eines ausgeschilderten, aber aufgeweichten Wanderweges in Ufernähe. Der Galenbecker See ist in weiten Teilen ein Sumpf- bzw. Wiesengebiet. In seiner noch existenten Wasserfläche schwimmen abgestorbene Gehölze und ein sehr lebendiges Schwanenpaar. Die Geräuschkulisse verrät, dass hier noch andere Wasservögel zuhause sind.

Dann erreichen wir Galenbeck, die östlichste Gemeinde im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Das Dorf hat einige Attraktionen zu bieten. Da wäre zuerst der schiefe Turm zu nennen, der Rest einer größeren mittelalterlichen Burganlage. Ein Denkmal vor dem ehemaligen Fachwerk- Herrenhaus erinnert an den „Marschall Vorwärts“ der Befreiungskriege, Gebhart Lebrecht von Blücher, der hier in Gefangenschaft geraten und darauf in die preußische Armee übergetreten sein soll; es ist gut gepflegt wie auch die im Park stehende „Tanzlinde“, im 18.Jahrhundert gepflanzt, 14 Meter hoch gewachsen und mit 3.25 Meter Umfang ein respektabler Baum, den ein hölzernes Gestell umgibt. Auch hier informiert eine Tafel den Besucher ausführlich. Nicht zuletzt wäre noch die Kirche zu nennen mit einem achteckigen Turm, der ungewöhnlich mittig als Nordportal angeordnet wurde. Leider geht es uns hier wie anderenorts: die Türen sind verschlossen. Aber es gibt einen Hinweis auf den Schlüssel, dem wir allerdings nicht nachgehen.

Denn viel lieber hätten wir jetzt eine Erfrischung gehabt, ein Getränk… aber wo wäre das zu bekommen? Gaststätten finden sich keine, und wenn, liegen deren beste Zeiten lange zurück. Einen Treffpunkt namens „Dorfladen“ entdecken wir auch nirgends. In Neuensund gibt es einen kleinen hölzernen Pavillon am Ortseingang, dessen runden Tisch sogar ein Topf mit Blumen schmückt; aber keinen "Dorfkonsum". Im kilometerlangen Straßendorf Heinrichswalde begegnet uns niemand, den wir hätten danach fragen können. Statt ordinärem Landwarenhandel fallen Hinweisschilder auf für physiotherapeutische Praxen, Versicherungen, Handwerksunternehmen, wie Frisörsalons u.ä. Aber wo kaufen die Leute Waren des täglichen Bedarfs ein oder was beim Einkauf im städtischen Supermarkt vergessen wurde?

Ein Vergleich drängt sich auf: Wie daheim! - Von wegen „Tourismusland“! Aber im Urlaub möchte man es anders haben! - Also doch besser Rio statt Rattey? Wir haben fast sechzig Kilometer in den Waden, bevor wir uns an einem kleinen Campingkiosk des Camp Cosa auf ein erfrischendes Bier niederlassen können. Der naturbelassene Zeltplatz liegt nahe der nördlichsten Talsperre Deutschlands, am Rande des Naturschutzgebietes Brohmer Berge.

Wieder erinnere ich mich der oben zitierten historischen Eindrücke:„Die geringe Bevölkerung ...in einem so weiten, nicht unfruchtbaren Lande, das an der See liegt, muss auffallen ... Überall in Deutschland scheint mir, von Ackerbau und Viehzucht abgesehen, der Kunstfleiß höher zu stehen.“ - Heute profitieren Touristen von „umgerüsteten“ Schlössern. Auch das Weingut Rattey mit seinem Hotelbetrieb, das früher mal Rittergut war, ist nun zum Genuss-Ort geworden - denn: Wer Landschaft pur liebt, die Ursprünglichkeit und ländliche Ruhe, Rustikalität und Eleganz so wie eine gute Küche - der ist hier bestens aufgehoben! Und doch geht es uns ein wenig wie dem Reisenden vor 200 Jahren, der mit seiner erfahrenen Gegenwart fremdelt… Die Frage, ob Rio oder Rattey, stellt sich nicht. Aber es zeigt sich, dass beim Urlaub in unserem „Tourismusland“ landeinwärts noch einige Wünsche und Erwartungen offen bleiben.

Linde Hurtig

* Zitate aus: Regionalgeschichtliche Quellensammlung Teil 1. Greifswald 1967.