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Süderholzer Blatt
Ausgabe 394/2023
Meinung
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Meinungsfreiheit

Es gibt viele Arten von Spezialisten, gute, schlechte, gekaufte und nicht gekaufte, fachspezifische und fachübergreifende, ausgebildete und selbst ernannte, universelle und ganz spezielle.

So weit, so gut. Spezialisten sind absolut notwendig, um bei der ständig zunehmenden Menge an Fachwissen den Überblick zu behalten und bei Bedarf entsprechend aktiv zu werden, kompetent zu beraten und zu informieren. Dabei sollten sich diese an die Fakten halten.

Fakten sind nachprüfbare Tatsachen wie zum Beispiel Ereignisse, Sachverhalte und Zahlen. Der Duden sagt dazu: „Faktum: Etwas, was tatsächlich nachweisbar vorhanden oder geschehen ist: Tatsache“.

Wenn jemand für sich in Anspruch nimmt, auf einem bestimmten Gebiet Fachmann zu sein und sich dann ganz eindeutig zu einem Sachverhalt seines Fachgebietes äußert, dann ist das keine Meinungsäußerung, sondern eine Feststellung.

Wenn diese Feststellung allerdings nicht der Wahrheit entspricht und entgegen besserem Wissen erfolgt, dann ist das eine Lüge. Wenn diese Feststellung trotz Nichtwissen erfolgt, dann ist das ebenso eine Lüge, weil hier nicht vorhandenes Wissen vorgetäuscht wird.

Als Tatsachen dargestellte Sachverhalte sind keine Meinung! Insbesondere dann, wenn derjenige, der diese Fakten äußert, für sich in Anspruch nimmt, Spezialist zu sein.

Es gibt leider Spezialisten, die der Meinung sind, man müsste ihnen einfach alles glauben, weil sie Spezialisten sind. Mir dagegen wurde von klein auf beigebracht: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er gleich die Wahrheit spricht.“

Wenn allerdings dem munter fantasierenden Spezialisten trotz seines fachlichen Hintergrunds und trotz seiner fachbezogenen Position höchstrichterlich bescheinigt wird, dass er „nur“ eine Meinung geäußert hat, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Dass es sich bei dem betreffenden Spezialisten um einen hochrangigen Politiker handelt, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer und lässt das Urteil ziemlich fragwürdig erscheinen. Noch schlimmer macht das Ganze ein weiterer Richter mit seinem gut gemeinten Hinweis, dass ja jetzt jeder andere auch diese Art von „Meinungsfreiheit“ für sich in Anspruch nehmen könne. Dieses Urteil hat zwar keine direkten Nebenwirkungen, bereitet mir aber dennoch Kopfschmerzen, denn die moralischen und juristischen Auswirkungen dadurch sind erheblich.

Wie weiß ich denn nun, ob ein Spezialist eine sachkundige Aussage zu seinem Fachgebiet macht oder ob er nur irgendeine x-beliebige Meinung äußert? Wozu brauche ich dann noch Spezialisten, wenn ich mich auf diese nicht verlassen kann und mich doch selber sachkundig machen muss?

Und welche Bedeutung hat es moralisch, wenn fachliche Falschaussagen juristisch zu Meinungsfreiheit erklärt werden? Die Meinungsfreiheit ist ein sehr hohes Gut, ebenso wie die Wahrheit, und beide sollte man niemals missbrauchen.

Andreas Diecke

Grafik: Andreas Diecke