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Süderholzer Blatt
Ausgabe 396/2023
Das Thema
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Ein Meister ohne Gesicht …

Orgel in Kreutzmannshagen

Orgel in Groß Bisdorf

Orgel in Nehringen

über den Stralsunder Orgelbauer F. A.D. Mehmel

Zu Weihnachten ertönen im Gemeindebereich auch wieder Orgeln von F.A.D. Mehmel: In Bretwisch, Deyelsdorf und Nehringen hat der Orgelbauer Spuren hinterlassen. In Kreutzmannshagen hat der Meister selbst gebaut; in Groß Bisdorf führte sein Sohn Paul den Auftrag des Vaters zu Ende.

Wie hat er ausgesehen, dieser Friedrich Albert Daniel Mehmel?

Mehr als ein halbes Hundert Orgeln hat er gebaut, darunter eine so große wie die in St. Jacobi zu Stralsund. Aber des Meisters Gesicht kennt man nicht.

Keine Lithografie, keine Fotografie... die es damals schon gab.- Kein Denkmal wie für J.S.Bach, den genialischen jungen Organisten an der Arnstädter Kirche oder den altehrwürdigen Meister an der Leipziger Thomaskirche, ist ihm errichtet worden. Selbst von den Silbermann - Brüdern, die anderthalb Jahrhunderte zuvor gelebt hatten, gibt es Bildnisse! Mehmel war zwar kein Silbermann, aber auf seine Weise doch ein Künstler, neben Grüneberg der bedeutendste Orgelbauer in Pommern! (Wenigstens von Barnim Grüneberg gibt es ein Foto.)

Das Handwerk hatte F. A. D. Mehmel bei Meistern der Orgelbaukunst gelernt, nicht zuletzt bei Friedrich Ladegast in Weißenfels. Ladegast schätzte seinen Kollegen Cavaille - Coll in Frankreich, was dann auch Mehmels Vorstellungen vom Klangbild einer Orgel beeinflusst haben dürfte - Übrigens: auch von seinem Lehrmeister Ladegast gibt es eine Fotografie, einen ernst blickenden Mann, in kostbaren Pelz gewandet. Von seinem Schüler, dem stillen Stralsunder, kennen wir nichts dergleichen. Wer war er? -

Ein Mann aus dem Thüringischen, stammend aus Allstedt, wo Thomas Müntzer einst Bürgern und Bauern den Aufruhr gepredigt hatte; er war dort im Jahr 1827 geboren, heiratete in Stralsund die Witwe des verstorbenen Orgelbauers Fernau, wurde 1859 Bürger der Stadt, kam zu Wohlstand, ließ 1862 im Zentrum der Stadt ein großes Haus errichten. Am Appolonienmarkt entstand ein großzügiges Gebäude mit Werkstatt, Orgelsaal und Wohnungen. Mehmel beschäftigte mehr als ein Dutzend Arbeiter. Das alles hatte er bis in die Mitte seiner Dreißiger erreicht! Der Erfolg muss ihn zu einem angesehenen Bürger gemacht haben.

Aber wir erfahren nichts Näheres... Er wird von Zeitgenossen als „freundlich und bieder“ beschrieben, wenngleich es die Kirchenältesten nicht überall gut mit ihm meinten. In Marien behandelte man ihn schäbig, heißt es, in Nicolai etwas besser, am fairsten wohl in Jacobi, weshalb er diesem Gotteshaus sein größtes Orgelwerk schenkte...Mancher Kontrakt mit dörflichen Kirchengemeinden hingegen liest sich, als wäre der „Kontrahent“ein Kesselflicker. „Der Orgelbauer M. verpflichtet sich... Er übernimmt alle Arbeiten zu festen Preisen innerhalb von sechs Wochen...“ Bei Nichteinhaltung drohe Strafe. Und: „in üblicher Weise übernimmt der Kontrahent Gewähr für die Tüchtigkeit und Instandsetzung der Orgel auf ein Jahr und verbürgt sich dafür durch eine Kaution von...“

Orgelbauen sei nicht nur ein Handwerk, Orgelbau sei eine Kunst, war Mehmels Devise.Was wissen wir von diesem Mann? Von einigen Daten abgesehen: wenig bis nichts. Wie lebte er? Spielte er eine Rolle im gesellschaftlichen Leben der Stadt oder wirkte er eher zurückgezogen? Er hatte viele Aufträge zu bewältigen: im Ostseeraum reichten sie bis Kolbergmünde und bis Cuxhaven an der Nordsee, sodass er wohl oft und lange unterwegs war und eine Filiale in Wismar aufmachen musste. Er baute für den Ratzeburger Dom und wurde herzoglich belohnt als Mecklenburger Hoforgelbauer. In Pommern hingegen, wo er besonders aktiv war und allein über vierzig Orgeln gebaut hatte, dachte niemand an derartige Ehrung.

Zwar gab es mit F.A.D. Mehmel einen bekannten, gefragten Orgelbauer innerhalb der Stralsunder Stadtmauern. Als aber die Bahnanbindung Stralsunds neuen Konkurrenten den Zugang erleichterte, führte das dazu, dass Kirchenräte und Gemeinden die Orgelbauer gegeneinander ausspielten.

Mehmel krönte sein Lebenswerk 1877 mit seinem größten Orgelbau - in St. Jacobi. (Sein zweitgrößtes Werk erklingt noch heute in der Greifswalder Marienkirche.) Der Sachverständige Otto Wangemann war damals des Lobes voll. Die Intonation des gesamten Pfeifenwerkes sei „vorzüglich“, ist in seinem Gutachten nachzulesen, die Klangfarben seien „wohlgelungen“. Material und Arbeit könne jeder liefern, „so intonieren nicht!“ Und doch kam das Instrument nicht so zur Geltung, wie das Urteil hätte erwarten lassen. Mehmels Orgeln hatten eine oftmals schwergängige Spieltraktur und ließen sich deshalb nicht eben leicht spielen … Seine Jacobi-Orgel war auch kein Instrument für Bach und frühere Meister.. Die Romantik in der Musik ging ihrem Ende entgegen. Eigentlich hatte Mehmel in der Tradition französischer Meister gebaut, so wie sein Lehrer Ladegast. Aber wer sollte in Stralsund einen Cesar Franck oder Louis Vierne spielen? Mehmels Jacobi-Orgel war ein Werk zum Fantasieren! Große Konzerte fanden darauf wohl nicht statt. So fiel die Orgel dem Vergessen anheim. Und der Krieg bedeutete ihr Ende.

Man denkt, dass der Erfolg den Orgelbaumeister Mehmel zu einem angesehenen Bürger gemacht haben sollte. Aber wir erfahren nichts dergleichen. Es gibt einen Stellwagen-Weg in der Hansestadt (im Stadtteil Knieper-West,) in Erinnerung an den Lübecker Meister, der in Marien die älteste Orgel der Stadt errichtet hat. Wer aber kennt noch den Orgelbaumeister Mehmel? Nichts im Stadtbild erinnert an ihn.

Mehmel hatte sechs Kinder. Die meisten starben früh, erreichten das Erwachsenenalter nicht. Aus dem Juni des Jahres 1888 ist ein Schreiben bekannt, worin Mehmel im Amt Wittenburg um die vorzeitige Auszahlung einer Kaution für die Orgel in Vellahn bittet. Seine Frau sei schwerkrank, er befürchte das Schlimmste, hoffe aber, wenn alles vorüber, wieder die nötige Ruhe finden zu können, um sich seiner Arbeit zu widmen. - Aus diesem Brief gehen nicht nur die Notlage und Verzweiflung des Mannes hervor, sondern auch liebende Fürsorge und Frömmigkeit. - Mehmels Frau stirbt bald darauf. Mehmel hofft auf seinen Sohn Paul, der Anfang 20 und vom Militär entlassen, ihm eine große Stütze ist und in der Werkstatt zur Hand geht. Aber gerade acht Tage nach dem Tod seiner Frau trifft das Schicksal auch den Orgelbaumeister. F. A. D. Mehmel stirbt mit gerade 60 Jahren …

Hatten die Sorgen und finanziellen Zwänge ihn zerfressen und ein Leiden verstärkt?- Es lässt sich manches vermuten, doch wir wissen es nicht.

Der junge Nachfolger Paul Mehmel hat voller Zuversicht den Fortgang der Werkstatt „Mehmel & Sohn“ wenige Tage nach dem Tod seines Vaters annonciert; er will „mit tüchtigen Kräften unverändert … das ihm geschenkte Vertrauen … gleich dem seligen Vater in jeder Beziehung ... rechtfertigen“ Jedoch blieb ihm dafür nur eine kurze Spanne Zeit. „Am 21. Juli 1894 um 9 ½ Uhr verschied nach längerem Leiden der Orgelbaumeister Paul Mehmel“ vermeldete eine unscheinbare Anzeige in der Stralsundischen Zeitung sechs Jahre später. Die dünne Mitteilung ist kaum augenfällig und sie lässt manche Frage offen: Was letztlich zu dem frühen Tod des jungen Meisters geführt hatte, und wie es danach weiter ging mit der Werkstatt …?

Der Klang Mehmel ´scher Orgeln war von Zeitgenossen zwar hoch gelobt worden. Aber schon der 1. Weltkrieg nahm vielen Werken die wichtigen Prinzipalpfeifen aus den Prospekten, womit auch der Originalklang von Mehmels Orgeln verloren gegangen sein dürfte.

Auf nebulöse Weise versuchten sich ein Maschinenmeister und dessen Nachkomme an der Fortführung der Werkstatt, was grandios gescheitert ist. Der Mann, der bei Mehmel gearbeitet hatte, war kein Orgelbauer und schon gar nicht Orgelbaumeister, wie sich gelegentlich auf mancher Rechnung bekundet fand und worüber es Anfang der Vierziger Jahre zum Rechtsstreit kam.

In den Wirren des 2.Weltkrieges, der auch die Stadt am Sund nicht verschonte, mochte, was an Zeugnissen aus Mehmels Tagen vielleicht noch vorhanden gewesen, den Plünderungen und Brandschatzungen zum Opfer gefallen sein. Ob Fotografien dabei gewesen sind... wer weiß das heute noch mit Sicherheit zu sagen? Die für Kirchen karge DDR-Zeit ließ einen Großteil von Mehmels Werken überleben. Während die Ratzeburger Domorgel modernen, größeren Instrumenten weichen musste, blieb der Orgelbestand im Osten Deutschlands großteils unverändert erhalten, wenn auch oft in kläglichem Zustand. Die 90er Jahre waren günstig für Mehmels Nachfahren in der Profession: Zahlreiche seiner Instrumente wurden restauriert und konnten wieder spielbar gemacht werden. Ein Bild von dem Orgelbaumeister in Stralsund geben sie nicht. So bleibt von dem Wirken F. A. D. Mehmels nur, was dessen Handwerk war: seine Orgeln. Sich selbst zur Ehre schuf er diese, 72 Instrumente wurden zu Denkmalen seiner Handwerkskunst.Und in dem Klang, ihrer Musik mag der Spielende sich ein Bild machen von dem Meister, der vom Reißbrett bis zur Intonation hart für sein Werk gearbeitet hatte.

Trotz alledem - das Gewünschte bleibt verschollen, ein Bildnis von Friedrich Albert Daniel Mehmel kennen wir nicht, scheint es nicht zu geben!

Sicher war die Fotografie in damaligen Zeiten noch selten und diente eher Repräsentationszwecken - und nicht dem inflationären Festhalten flüchtiger Momente. Möglich, dass Mehmel sich nicht als der Patriarch verstand, der aus einem goldenen Rahmen auf spätere Betrachter herabblicken wollte.

Das einzige Erinnerungsmoment findet sich an dem einen oder anderen Spieltisch. „F.A.D. Mehmel“ ist auf dem Schildchen über der Orgelklaviatur da noch zu lesen. Manchmal …Sein Schöpfer jedoch bleibt ein Meister ohne Gesicht.

Linde Hurtig