Barry, meine mutige Schwester und ich
Meine Frau hat mich mal wieder ermahnt, dass ich doch über etwas Positives schreiben soll. Da ist mir der Bauernhof von meiner Oma eingefallen. Meine Schwester und ich waren als Kinder ziemlich oft bei ihr zu Besuch.
Omas Bauernhof war genau genommen nicht Omas Bauernhof. Sie wohnte nur dort. Sie bewohnte zwei Zimmer und eine Küche. Und das auch noch verteilt auf zwei Stockwerke. Die Küche war ursprünglich mal die Hälfte vom Kornspeicher und der war mal das Zuhause von zahlreichen Ratten. Aber das war vor meiner Zeit. Jetzt war da die Küche und ein halber leerer Kornspeicher. Nur die Waage für die Getreidesäcke stand noch da. Aber davon wollte ich gar nicht erzählen. Auch nicht von Omas altem weinroten Wecker, den ich auseinander nehmen durfte und den ich leider nie wieder zusammenbekommen habe. Genau wie viel später das Getriebe von meinem Moped. Ging einfach nicht mehr alles rein in das Gehäuse. Aber das ist eine völlig andere Geschichte.
Die Scheune ist es, wovon ich Ihnen erzählen will. Standen die riesigen Tore offen, war es da drin grau, staubig und unordentlich und alle Sachen waren einfach nur Sachen. Der Traktor war da. Ansonsten gab es den Hänger, Körbe, Eimer, Rechen, Mistgabeln, Sensen, Schaufeln, Leitern, Stricke, Riemen und irgendwelche Antriebsräder an der Wand und die Hasenställe. Alles war irgendwie steif und unbeweglich. Bis auf die Hasen natürlich.
Waren die Tore aber zu und man ging durch die kleine Tür in die Scheune, dann war alles verwandelt. Die Dinge begannen leise zu leben. Man konnte die Stille atmen hören. Nur unterbrochen von dem gemütlichen Geräusch kauender Kühe und einem gelegentlichen Schnauben der Pferde aus den angrenzenden Ställen mit Fütteröffnungen in die Scheune.
Geheimnisvolles Halbdunkel umfing einen. Staub hing flirrend fest in der Luft. Vergoldet von den wenigen Sonnenstrahlen, die durch die Bretterritzen fielen. Es war wie in einer großen Kathedrale. Nur nach Weihrauch roch es nicht, aber nach Wagenschmiere.
Diese Gerüche. Ich weiß nicht ob es Ihnen genauso geht, aber ich kann mich als Erwachsener heute noch daran erinnern, wie bestimmte Dinge nicht nur riechen, sondern auch wie sie schmecken. Hat man ja schließlich mal probiert. Zumindest als normales Kind. Finde ich. Ich weiß wie Schnee schmeckt, oder Eisen, da muss man im Winter höllisch aufpassen, dass die Zunge nicht festfriert. Ich weiß wie Sand schmeckt, allerdings ist mir weniger der Geschmack in Erinnerung geblieben. Es knirscht einfach übel zwischen den Zähnen. Von Wagenschmiere ist mir nur der Geruch in Erinnerung geblieben, der Geschmack zum Glück nicht. Wie beschreibt man am besten den metallisch klebrigen schwarzen Geruch von Wagenschmiere? Diejenigen von Ihnen, die Wagenschmiere noch kennen, werden wissen, was ich meine. Diejenigen, die jünger sind als ich oder noch nie in einem Dorf in einer Scheune waren, werden fragen, was das eigentlich ist, Wagenschmiere.
„Bleib’ da bloß weg. Das geht nie wieder ab.“ Das waren die mahnenden Worte von Oma. Das Unheil befand sich in der Mitte der Räder des Anhängers, auch einfach Wagen genannt. Gewissermaßen auf Augenhöhe für mich. Und Omas Worte hatten Gewicht. Auf keinen Fall wollte ich den Rest meines Lebens gezeichnet von schwarzer Wagenschmiere herumlaufen. Den Geruch habe ich allerdings nie vergessen. Ist sozusagen in meinem Gedächtnis kleben geblieben. Sieht man zum Glück nicht.
Sorgen hatte ich damals keine, wenn man mal absieht von dem großen gefährlichen Hofhund. Gefühlt war er mindestens so groß wie ich und ich hatte einen Heidenrespekt vor ihm und bin ihm möglichst aus dem Weg gegangen. Er war von Beruf Hofhund und sonst nichts und wenn er anschlug mit seiner dröhnenden Stimme und die Kette klirrend hinter ihm hersprang konnte man schon richtig Angst bekommen. Das Böse Gucken hatte er sich in seinem Job so lange angewöhnt, bis er gar nicht mehr anders schauen konnte. Ansonsten war er vermutlich ganz lieb und schon ziemlich alt und vielleicht war er auch nur ein ziemlich armer Hund, weil er sein Dasein an einer langen Kette fristen musste.
Heute würde ich Barry knutschen und einen langen Spaziergang mit ihm machen. Vor Wagenschmiere habe ich auch keine Angst mehr. Ich habe sogar welche in meinem Schuppen.
Ob positiv oder nicht müssen sie entscheiden. Für mich wird Omas Bauernhof und das ganze Drumherum immer positiv bleiben, auch wenn aus heutiger Sicht vieles damals eher nicht artgerecht, dreckig und möglicherweise gesundheitsschädlich war.