Leben wir heute in einer babylonischen Sprachverwirrung oder handelt es sich schon um Orwellsche Propagandasprache?
Richtig zu Bewusstsein gekommen ist mir diese Problematik während der Corona-Zeit durch die gewichtigen Äußerungen eines ministerialen Fachmanns, die, als falsch entlarvt, auf einmal nur noch Meinung waren und vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Unwahrheit wird höchstrichterlich zu Meinung geadelt. Was steckt dahinter, wenn nicht Manipulation?
Komischerweise gilt dieses Recht auf freie Meinungsäußerung nur eingeschränkt. Wenn nämlich gewichtige Äußerungen von anderer Seite kommen, dann sind es auf einmal Fake News, Falschinformationen, die faktengecheckt werden müssen. Kritiker heißen jetzt Egoisten, Volksfeinde (gab’s schon mal), Leugner und Querdenker. Schlimmstenfalls handelt es sich um Volksverhetzung oder um demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates, die auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze energisch von einer wehrhaften Demokratie bekämpft werden müssen?!
Dabei sind allein schon die Begriffe Volksverhetzung und Delegitimierung des Staates strafrechtlich so klar umrissen, wie New Yorks Skyline bei dichtem Nebel. Geht man dann noch unter die Strafbarkeitsgrenze, wird der Nebel zum Schneesturm. Wenn man diese Worte aber nur oft genug verwendet, werden sie irgendwann zu etwas Selbstverständlichem, das man genau zu kennen glaubt. Wie das funktioniert kann man eindrucksvoll nachlesen in LTI, dem Buch von Victor Klemperer über die Sprache im Dritten Reich.
In den Siebzigern gab es in der BRD eine „Volksfahndung“ (Erich Fried, Deutsche Volksfahndung 1972). Uns allerdings hat man weis gemacht, dass es das Denunzieren nur in der DDR gab. Heute soll ein Hinweisgeberschutzgesetz die Aufspürung der „falschen“ Gesinnung erleichtern. Was für eine unglaublich beschönigende Bezeichnung für das Denunzieren. Bärbel Bohley, Bürgerrechtlerin der DDR, hat übrigens genau das schon 1991 vorausgesehen (siehe Chaim Noll, 03.03.2019 bei Achgut.com), nur diese perfide Wortschöpfung, die konnte sie nicht erahnen.
Staatlich direkt oder indirekt geförderte Faktenchecker, die sich so wohlklingende Namen wie zum Beispiel „Correctiv“ geben, sorgen für die Verbreitung der „richtigen“ Wahrheit. Das orwellsche Wahrheitsministerium lässt grüßen. Ein Demokratiefördergesetz soll die „richtigen“ demokratischen Initiativen fördern. Wobei die Festlegung, was richtig und was falsch ist natürlich dem Staat obliegt. Das ist undemokratisch. Kritisches Denken, das man im Übrigen in der Schule lernen sollte und das die Grundlage der Demokratie ist, wird, schaut man sich aktuelle Tendenzen an, vermutlich eher nicht gefördert. Stattdessen denkt man darüber nach, den Bürgern Meinungskorridore vorzugeben, ohne Abzweigungen natürlich. Staatlich unterstützte Demonstrationen (für die „Demokratie“ zum Beispiel) werden in allen Medien bejubelt. Warum ich da an die ehemalige DDR denken muss, weiß ich jetzt auch nicht. Demonstrationen für den Frieden sind dagegen momentan nicht gewünscht und werden entsprechend in den Medien behandelt oder gar nicht erwähnt.
Das Verteidigungsministerium heißt zwar noch so und nicht Friedensministerium wie bei Orwell, aber die Bundeswehr muss kriegstüchtig werden und die Demokratie wehrhaft. Zusammen mit den Berichten über Waffensysteme und über unsere Rüstungskonzerne bereitet uns die Sprache allenthalben auf den Krieg vor. „Gespräche machen keinen Sinn“ (Baerbock) und „Waffen retten Leben“ (Makaiev) – hätten Sie’s gedacht? Das sind nur zwei sprachliche Highlights der letzten Zeit in diesem Zusammenhang.
Herr Lauterbach erklärte uns, dass eine Impfpflicht am Ende zu einer freiwilligen Impfung führen würde und Ausgehverbot heißt jetzt Bleibefreiheit (Eva Von Redecker). Und Meinungsfreiheit? Die Meinungsfreiheit steckt dann im Meinungskorridor und meinungsfrei klingt doch fast wie Meinungsfreiheit.
Es gibt noch etliche andere Themenfelder, in denen mit Sprache manipuliert und agitiert wird. Vielleicht findet sich ja jemand, der die Sprache unserer Zeit einer ähnlich gründlichen Prüfung unterzieht wie Victor Klemperer in LTI. Aktuelle Motive und Hintergründe aufzuzeigen könnte nicht schaden.
Immer wenn Begriffe auf einmal verstärkt verwendet werden, heißt es wachsam sein. Sprache kann verschleiern und Sprache kann entlarven. Sprache kann verfeinden und kann versöhnen. Es kommt darauf an, was man daraus macht. Lassen wir uns nichts ver-sprechen und bleiben wir aufmerksam.