KinoOrganist Stephan von Bothmer
Seit den Greifswalder Dom das imposante Kirchenfenster von Olafur Eliasson schmückt, kann man über Tag das Spiel des Lichtes durch das farbige Glas beobachten. Im Dämmerschein des Abends erscheint der große Kirchenraum ebenfalls in einer besonderen Atmosphäre. Die Pfeifen der großen Dom-Orgel schimmern rötlich und schemenhaft zeichnen sich die Umrisse zweier Kino-Projektoren ab. Denn an diesem, einem der letzten Abende im September, luden Dom-Gemeinde, CDF-Jubiläumsbüro und der Filmclub Casablanca e.V. zu einem besonderen Ereignis ein.
Im Rahmen der CDF-Ehrung 2024 werden besondere Streifen gezeigt, die in der Reihe „Filmische Dialoge“ künstlerisch sowie thematisch besonders eindrucksvoll sind und emotional berühren - wie die Bilder des in diesem Jahr gefeierten Malers. Dabei ist auch die Wahl der Aufführungsorte von Bedeutung. Für den schwarz-weiß-Stummfilm „Sonnenaufgang - Lied von zwei Menschen“ wählte der Greifswalder Filmclub Greifswalds größte Kirche St. Nicolai. Nicht ohne Grund: der mit Untertiteln versehene Film sollte akustisch begleitet werden von Orgelmusik.
Allerdings fühlte man sich angesichts der beiden Filmprojektoren eher an frühere Kino-Abende auf dem Dorf erinnert. Die alte Kinotechnik stand aufgebaut mitten zwischen den Reihen der Besucherbänke. 35 mm Filmrollen wurden ca. viertelstündlich fast unbemerkt gewechselt. Die alte Technik funktionierte störungsfrei. 90 Minuten lang ratterten die Filmstreifen jeweils abwechselnd auf einem der Geräte. Auf der Chorbühne war die Leinwand aufgespannt und darauf einer „ der schönsten Filme aller Zeiten“ zu sehen: „Sonnenaufgang“ zur abendlichen Stunde. Der Film ist mit einem Sonder-Oscar ausgezeichnet worden. 1926 hatte Friedrich Wilhelm Murnau in diesem Streifen Regie geführt.
Es war sein erster amerikanischer Film. Murnau verließ Mitte der Goldenen Zwanziger Deutschland in Richtung USA. Bis dahin galt er als einer der bedeutendsten deutschen Filmregisseure der Stummfilmzeit. Seine Bildführung, die damals revolutionäre Kamera-Arbeit und Montagetechnik eröffneten dem jungen Medium neue Möglichkeiten.
„ Sunrise – Sonnenaufgang“ ist die Geschichte einer jungen Ehe, eines Ehemannes, der von einem Stadtmädchen angestiftet wird, seine Frau nicht nur zu betrügen, sondern sie zu verlassen, indem er sie umbringen sollte und das Ganze als Unfall kaschierte.
Das Meisterwerk des Expressionismus entstand nach literarischer Vorlage, einer Erzählung von Hermann Sudermann, „Die Reise nach Tilsit“, und er beeindruckt noch heute mit seiner Bildsprache: Märchenhaft weich erscheinen die Bilder des ländlichen Lebens, dynamisch zeigt sich das Treiben einer modernen Stadt jener Jahre durch Tempo, Überblendungen und Bildschnitte. Da musste auch die Orgel also mithalten ...! Und sie tat es anderthalb Stunden lang. Wie in klassischen Stummfilmzeiten!
Für diesen Part hatte man den Berliner Komponisten und Stummfilmpianisten Stephan von Bothmer gewonnen. Und der bewies von der ersten Szene an, dass er das Metier beherrscht! Mal spielte die Orgel zart, zirpend wie Libellen im Sommer, mal keck pfeifend - wie das Mädel aus der Stadt, das den Mann lockt. Dramatische Steigerung erfuhr die Musik bei den Szenen von Sturm und Gewitter, als das Paar auf dem See im Boot zu kentern droht. Walzertakt und beschwingte Weisen begleiteten das turbulente Leben in der Stadt. Volksliedhafte Melodien mischten sich in die Bilder des dörflichen Alltags. In jedem Falle war der Zuschauer von Musik umgeben, war er ebenso Hörer und akustischer Genießer.
Und das machte diesen „Filmabend“ im Greifswalder Dom zu einem ganz besonderen Erlebnis! Die Kirchenorgel überzeugte auch als Kino-Instrument! Und sie bzw. der Mann an ihrem Spieltisch machten einen beeindruckenden Job.
Am Ende applaudierten 150 Besucher dem Organisten. Und der verneigte sich seinerseits vor der großen Dom-Orgel. Ohne ihren Klang hätte dem visuellen Genuss etwas gefehlt, oder anders gesagt: von Bothmers Spiel hatte das Filmerlebnis nicht nur akustisch, sondern auch emotional vervollkommnet.