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Süderholzer Blatt
Ausgabe 407/2024
Zum Nachdenken
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Vom Umgang mit Elefanten

Es gibt afrikanische Elefanten und es gibt indische Elefanten, es gibt die Elefanten, die aus Mücken gemacht sind und die im Porzellanladen. Und dann gibt es noch die Elefanten im Raum. Einer von diesen Elefanten, die zur Zeit ständig im Raum herumgeistern, ist der russische Präsident Wladimir Putin. Jede Menge „Spezialisten“ wollen uns täglich ganz genau über diesen Elefanten „informieren“.

Dazu fällt mir eine uralte Erzählung ein, in der verschiedene blinde Fachleute den Auftrag bekommen, jeweils unterschiedliche Körperteile eines Elefanten zu untersuchen und dann das Tier zu beschreiben. Natürlich kommen sie zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen und erstatten, darüber einigermaßen zerknirscht, Bericht bei ihrem Auftraggeber. Dieser bedankt sich dennoch, fasst alle Ergebnisse zusammen und kommt zu einem genauen Bild eines Elefanten.

Unsere Fachleute oder Spezialisten sind zwar körperlich nicht blind, dafür aber geprägt von ihrem jeweiligen Lebenslauf und, ganz wesentlich, geprägt von jahrzehntelanger westlicher Rhetorik. Sie alle untersuchen nicht etwa die verschiedenen Körperteile des Elefanten, sondern alle den gleichen Zeh des rechten Vorderfußes unseres Elefanten. Aus diesem Zeh, so erzählen sie uns, erkennen sie ganz genau, um welchen Elefanten es sich handelt, wo er herkommt, was er schon alles angestellt hat, wo er hin will, welche Absichten er auf seinem Weg verfolgt (natürlich nur böse) und welche Maßnahmen erforderlich sind, um ihn loszuwerden. Eine wirklich erstaunliche Leistung. Eigentlich wussten sie aber auch schon vorher, was sie herausfinden wollten. Auf diese Ergebnisse beziehen sich dann neue Spezialisten und kommen beinahe täglich zu weiteren Erkenntnissen, die dann wiederum von weiteren Spezialisten für ihre Untersuchungen genutzt werden, die zu speziellen Erkenntnissen führen. Unsere Medien berichten denn auch brav von all’ diesen Erkenntnissen. Echte Informationen über das große Ganze? Fehlanzeige! Den ganzen Elefanten soll man gar nicht kennen. Das nennt man übrigens Propaganda. Aber so etwas gibt es ja in unseren westlichen Demokratien nicht.

Loswerden wollen sie den Elefanten damit, dass sie den ihnen bekannten Zeh mit immer heftigeren Attacken mit Waffen aller Art malträtieren. Dass dies riskant sein könnte, kommt ihnen überhaupt nicht in den Sinn. Dass es auch andere Möglichkeiten geben könnte, mit diesem Elefanten zurecht zu kommen, wird ebenfalls überhaupt nicht in Betracht gezogen. Er muss weg, weil er angeblich unglaublich gefährlich ist. Er ist aber komischerweise nicht mehr gefährlich, wenn es um mögliche Reaktionen auf die Malträtierungen geht beziehungsweise, im Klartext, um den tatsächlichen und den von der Ukraine und sehr vielen Anderen gewünschten immer weitreichenderen Waffeneinsatz, Raketenstationierungen, neue NATO-Stützpunkte und mehr. Geht es um den Gegner werden solche Leute Kriegshetzer genannt, bei uns heißen sie selbstverständlich Realpolitiker. Über Verhandlungen wird schon lange nicht mehr gesprochen.

Dass die an einem Konflikt beteiligten Parteien immer mit Maximalforderungen in Verhandlungen gehen, ist eine Binsenweisheit. Das kennt man zum Beispiel auch von Gewerkschaften und deren Forderungen zur Genüge. Dann aber zu sagen der Andere wolle überhaupt nicht verhandeln, wie jetzt beim Ukraine-Konflikt, ist mindestens Dummheit oder Ignoranz oder aber ein deutliches Zeichen dafür, dass man selbst nicht verhandeln will! „Putin will ja gar nicht verhandeln“ heißt es dann und „Gespräche machen keinen Sinn“. Ich habe es an dieser Stelle schon einmal gesagt und ich sage es noch einmal: Die Aussage „Gespräche machen keinen Sinn.“ ist so, als würde man sagen „Tod und Zerstörung machen Sinn.“ Das ist keine Dummheit mehr, sondern das grenzt schon an ein Verbrechen.

Willy Brandt hat einmal gesagt: „…, dass man auch wenn die Gegensätze noch so groß sind und die Hürden schier unüberwindlich scheinen, nach Wegen suchen muss, die Konflikte zu entschärfen. Alles beginnt mit der Bereitschaft, miteinander zu reden, die Sichtweise des anderen zu verstehen.“

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Text und Bild Andreas Diecke