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Süderholzer Blatt
Ausgabe 420/2025
Das Thema
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Gedanken im Advent

Advent hat begonnen, eine Zeit der Erwartungen.. wie jedes Jahr.

Aber nicht jedes Jahr war wie dieses... Und je älter man wird, ist es eine Zeit des Erinnerns.

Wieder mussten wir uns von lieben Mitmenschen verabschieden. Und je älter wir werden, desto öfter geschieht das! Nicht verwunderlich, dass graue Tage im November da melancholisch machen.

Am Ewigkeitssonntag besuchten wir ein Konzert im Greifswalder Dom.

Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms wurde aufgeführt. Ich meinte es schon gehört zu haben, war aberdennoch angefasst, als der Chor mit mächtigem Gesang den großen Kirchenraum erfüllte. Musik kann die Seele berühren wie sonst wohl kaum eine Kunst.

Hinter uns saß Thomas, ein seit wenigen Jahren guter Bekannter. Er hatte einen jungen Mann dabei, Tischlerlehrling, der wohl gelegentlich hilft, seine Bauvorhaben auf dem Grundstück umzusetzen. Eigentlich hätte Karin dahin gehört. Aber Karin liegt seit vielen Wochen in der Klinik. Und außerdem haben sie sich getrennt... Nichts bleibt ewig, nicht einmal das, wovon man es glaubte.

Und wieder schwillt der Gesang an. Im Programmheft war zu lesen, dass Brahms kein Requiem im herkömmlichen Sinne komponiert habe, kein Totengebet, sondern eine Musik zum Trost für die Hinterbliebenen. Ein Trost, dessen er wohl selbst besonders bedurft hat nach dem Tod seiner Mutter.

Seine Musik aber ist so mächtig, dass sie auch Heutige und deren Innerstes berührt.

Schon merkwürdig, als wir an den bereits aufgebauten Buden des Weihnachtsmarktes vorbei gingen. Auch wenn die Vorweihnachtszeit erst jetzt beginnt, wirkten Weihnachtstanne, Riesenrad und Buden an diesem tristen Nachmittag etwas deplatziert. Aber wenigstens öffnet dieser Markt erst nach diesem Sonntag, und nicht, wie andere, bereits Tage zuvor. Kommerz kennt keine Pietät.

In den Tagen nach Totensonntag richte ich die Wohnung adventlich her.

Dazu kommt Grünes in die Vasen zu den Hortensien. Und in die Sträuße der Hoffnung stecke ich diesmal sparsam Erinnerungen, die weit zurück liegen: Eine Glocke aus Schokoladen-Aluminiumpapier, geformt von Sabine Anfang der Neunziger. Damals waren aufgeregte Zeiten. Gerade war die Mauer gefallen. Und es läuteten die Glocken der Kirchen zum Jahreswechsel die Hoffnung auf Freiheit

und bessere Zeiten ein. Zwei Nussschalen, golden und silbern leuchteten sie mal, als meine Schwester sie mir schenkte. Aus der einen Schale winkt ein Männlein in Rot, dessen Bart als Wattebausch aus der Schale quillt. Ein kleiner Schneemann

wohnt in der anderen, der goldenen Schale. Wann sie mir das gebastelt hat? Ich weiß es nicht mehr. Aber dass sie jedes Jahr wieder an den Adventsstrauß kommen, ist festes Ritual!Von wem war die Kerze aus Pergament eigentlich? Ich weiß es nicht mehr, aber eine Gesegnete Zeit wünscht sie dem Betrachter, und darum kommt sie diesmal mit ins Grün. In diesem Jahr komplettieren auch zwei Jerichoer Trockenrosen meinen Schreibtisch. Schon der geringste Tropfen Wasser bringt die unansehnlichen Gebilde zur „Blüte“. Sie demonstrieren augenscheinlich das Wunder des Lebens, und sie erinnern mich an die jüngste Reise in die heißen Gefilde der Namib-Wüste und an die Menschen in Afrika, die wir erlebten. Seit diesen Tagen ist meine Steine-Sammlung noch um einige Exemplare angewachsen. Es blinkt und funkelt … dabei sind´s nicht einmal Diamanten, sondern nur eben aufgesammeltes,schlichtes Gestein von der Schotterpiste, aber selbst erwählt.

So ist die Adventszeit angefüllt mit Erinnerungen, aber auch mit Erwartung. Weihnachtsmusik, Weihnachtspost, Telefonate, gegenseitige Besuche und gemeinsames Essen an den Festtagen. Das alles kann Weihnachten sein. Leider auch das Gegenteil: Dröhnende Stille und Einsamkeit. Das Verlassensein in Bunkern und Gräben der tobenden Kriege …

Bis Weihnachten ist es nur noch eine kurze Spanne Zeit. - Aber das Elend der Welt reicht über Jahre hinaus, die Besinnlichkeiten solcher Feste hämisch ignorierend.

Auch in unsere Erwartungen dröhnt hektischer Alltag. Gerade wirbt der Handel mit seinen Sonderangeboten zum Black Friday. Trügerische Hoffnungen auf Schnäppchen werden geweckt, die Jagd ist längst eröffnet! Dabei sollte die Zeit vor Weihnachten besinnlich sein!

Wann wird der Mensch zur Besinnung kommen? Dass die „Größen“ dieser Welt zu einer Sprache des Friedens finden, ist eine alte, lange gehegte Hoffnung. Das ist, was ich mit meinen Erinnerungsstücken auch in das Adventsgrün flechte, ein „Friede auf Erden“ aus der Weihnachtsbotschaft, wie sie alljährlich in unseren Kirchen verlesen wird. - Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Linde Hurtig