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Mittelahr Bote
Ausgabe 34/2022
Aktuelles
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„Es muss dringend etwas passieren“

Claus Bünnagel.

Aufräumarbeiten am Elternhaus.

Buchautor und Journalist Claus Bünnagel über Hochwasserschutz an der Ahr

AHRTAL Im Dezember 2020 veröffentlichte Journalist und Buchautor Claus Bünnagel (Grafschaft) im Münchner Huss-Verlag sein Werk „Mit Vollgas in die Klimakatastrophe? Die Energie- und Verkehrswende als Chance“. Darin warnt der Chefredakteur des Fachmagazins „busplaner“ auch vor Extremwetterereignissen. Wir berichteten damals über die Inhalte des Fachbuchs und sprachen mit dem Autor. Dass es seine eigene Heimat nur ein halbes Jahr später so hart treffen würde und die Flutwelle auch das Haus seiner Eltern in Ahrweiler in Mitleidenschaft ziehen würde, hätte er beim Schreiben aber niemals erwartet, wie er uns nun berichtet.

Bünnagel bemängelt eine fehlende Diskussion über nötige Hochwasserschutzmaßnahmen, die eine Wiederholung des Geschehenen verhindern könnten. In seinen Augen ist es dringend notwendig, dafür jetzt viele Milliarden Euro an der Ahr in die Hand zu nehmen. „Viele sagen: Es war Pech, was damals passierte – weil die Unwetterfront genau über unserer Region abregnete. Ich sage: Klar war es Pech, aber kein Zufall“, ist der Buchautor überzeugt. Denn das Ahrtal sei geografisch prädestiniert für ein solches Flutereignis wie am 14. Juli 2021. „Und es wird wieder passieren, wenn wir keine Maßnahmen dagegen ergreifen: vielleicht in drei, zehn, 30 oder 50 Jahren, aber es wird sich im nächsten halben Jahrhundert wiederholen“, ergänzt er.

Erderwärmung steigt exponentiell

Die Erderwärmung betrage gegenwärtig rund 1,2°C gegenüber vorindustrieller Zeit, berichtet Bünnagel. Bis 2080 dürfte sie exponentiell auf mindestens 2,5°C ansteigen, wenn die Menschheit nicht grundlegend umdenken und umsteuern würde. Dann sei mit weit heftigeren Unwettern zu rechnen, die sich mit dann noch wärmerem Mittelmeerwasser aufladen und wie im Juli 2021 über dem Kontinent abregnen würden. Mittlerweile gehe man in der Wissenschaft davon aus, dass sich die Häufigkeit von Extremwetterereignissen gegenüber den 1970er-Jahren bereits verneunfacht habe.

„Auf die Situation an der Ahr übertragen: Es dauert künftig vermutlich nicht nur gut 100 Jahre – nimmt man die Hochwasser 1804, 1910 und 2021 als Maßstab – von einem Ereignis bis zur nächsten, sondern womöglich nur noch rund zehn Jahre. „Dagegen sollten wir uns wappnen“, sagt Bünnagel. Als Diskussionsgrundlage schlägt er Maßnahmen vor wie die Tieferlegung des Flusses um mehrere Meter, wie es in einigen Alpentälern praktiziert würde, oder Flussumlegungen z.B. im Bereich Altenburg. Auch große Rückhaltebecken an jedem Zustrom sowie umfassende Aufforstungen vor allem am Oberlauf der Ahr, um Regenwasser zu binden, seien notwendig.

Lehren ziehen

Stattdessen seien dagegen die neuen Hochwasserzonen recht lax ausgelegt worden, und in den Überschwemmungsgebieten des Juli 2021 würde teilweise schon wieder neu gebaut. Die Diskussion über Hochwasserschutzmaßnahmen sei fast zum Erliegen gekommen, die Politikkarawane längst weitergereist, kritisiert Bünnagel und verweist auf die sächsische Stadt Grimma. Die erlebte 2002 eine „Jahrhundertflut“. Es sei damals zunächst lediglich wiederaufgebaut worden. 2013 folgte die nächste „Jahrhundertflut“. Erst dann hätte man begonnen, die Stadt vor weiteren Hochwasserereignissen zu schützen.

„Wir machen gerade denselben fatalen Fehler wie in Grimma – nur in noch erheblich größerem Ausmaß. Denn wir spielen an der Ahr mit dem Feuer, wenn wir keine umfassenden Hochwasserschutzmaßnahmen ergreifen. Es sollte jedem klar sein: Passiert eine solche menschgemachte Naturkatastrophe hier noch einmal, wird kaum noch mit Fluthelfern zu rechnen sein, dafür aber mit einer Massenflucht der einheimischen Bevölkerung“, warnt Bünnagel. „Ich kann den Menschen an der Ahr nur raten: Macht Druck auf die Politik, engagiert Euch für den Hochwasserschutz. Ansonsten werdet Ihr in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten erneut die Leidtragenden sein“, betont er abschließend.