Applaus in Erftstadt: rund 70 Freiwillige empfangen einen Konvoi mit gespendetem Baumaterial aus Bayern im Wert von rund einer Million Euro.
ERFTSTADT/AHRTAL. Wird noch freiwillige Hilfe zum Wiederaufbau im Ahrtal benötigt oder haben die Hilfsorganisationen in Zusammenarbeit mit den verwaltenden Akteuren rund um den Wiederaufbau und den entsprechenden Hilfsfonds alles im Griff? Die Antworten auf diese Frage könnten unterschiedlicher kaum sein. Geht es um die „Abstimmung mit den Füßen“ ist die Frage klar beantwortet. Noch heute fahren an den Öffnungstagen bis zu 50 Ahrtaler ins Baustoffspendenlager nach Erftstadt, um sich mit kostenlosem Baumaterial zu versorgen. Und so gibt es auch heute noch viel Unverständnis, in erster Linie bei Betroffenen und freiwilligen Helfern, über die Schließung von Hilfsmaßnahmen, wie dem „Baustoffzelt Kaiser“, dass kurz nach der Flutkatastrophe vom Juli 2021 in Walporzheim errichtet wurde und das später in den Innovationspark Rheinland umgezogen war. Hier endete die Hilfe im August 2022.
Dass es aber immer noch eine Menge Betroffener im Ahrtal gibt, die aus den unterschiedlichsten Gründen private Hilfe in Anspruch nehmen, zeigt sich vier Mal in der Woche in einem Wohn- und Gewerbegebiet in Erftstadt. Dort ist in einem ehemaligen Autohaus auf einer Fläche von 4.500 Quadratmetern das Baustoffspendenlager NRW untergebracht. Hier arbeiten rund 70 Ehrenamtler unter der Führung von zwei Hauptamtlichen daran, Flutopfer mit Baustoffen aller Art, die immer noch aus ganz Deutschland gespendet werden, zu versorgen. Das Lager ist keine rein privat organisierte Institution, Träger ist der Arbeiter Samariter Bund (ASB). Als ASB-Dienststellenleiter fungiert Tibor Schady, der eigentlich einen Job im Vertrieb hatte, sich nach den schlimmen Schäden, die Tief Bernd im Juli 2021 in Deutschland anrichtete, aber für die Mitarbeit in der Hilfe engagiert. Seit eineinhalb Jahren leitet Schady das Baustoffspendenlager.
Nach der Schließung des Baustoffzelts Kaiser in der Grafschaft war schnell klar: Betroffene im Ahrtal können sich in Erftstadt eindecken. Vorlegen müssen sie dabei die amtliche Betroffenheitsbescheinigung und einen Nachweis, dass das aufzubauende Gebäude nicht elementarversichert war. Vor Ort sind zudem Fragen zum aktuellen Stand des jeweiligen Wiederaufbauprojekts zu beantworten. Danach kann sich der Betroffene versorgen. Dabei gibt es keine Beschränkungen. „Nimm Dir so viel du willst – No Limit“ ist an allen Ecken und Enden auf großen Schildern zu lesen. Schady‘s Team begrüßt bei den Öffnungszeiten montags, mittwochs, freitags und samstags zwischen 80 und 140 Betroffene aus dem gesamten Bereich, in dem Tief Bernd wütete. „Auch aus Stollberg, Hagen oder Wuppertal kommen die Menschen“, sagt der Projektleiter unter betont: „Aber rund 40 Prozent der Menschen kommen aus dem Ahrtal. Vor allem in den Abendstunden bilden sich oftmals lange Schlangen.“ Zudem sei es täglich eine kleine zweistellige Zahl von Menschen mit AW-Kennzeichen, die erstmals den Weg nach Erftstadt ins Spendenlager eingeschlagen hätten.
Die Gründe dafür, dass sich auch gut 800 Tage nach der Katastrophe noch immer viele Menschen von der Ahr auf den knapp 50 Kilometer weiten Weg machten, um kostenloses Baumaterial zu erhalten, sieht Schady in der immer noch nicht funktionierenden Wiederaufbauhilfe. Nur in den allerwenigsten Fällen hätten die nicht versicherten Menschen die 80 Prozent an Hilfsgeldern für die Deckung ihrer Schäden erhalten. Dass die großen Hilfsorganisationen bei den verbleibenden 20 Prozent an Kosten, auf denen die Betroffenen sitzen bleiben, aushelfen, hab es ebenfalls noch selten gegeben, berichtet er vom Inhalt seiner Gespräche mit den Besuchern. Natürlich gebe es vereinzelt Betroffene, die mit dem Wiederaufbau fertig seien, aber eben nur wenige. Da die Menschen oftmals auch kein Geld hätten, sieht er das Baustoffspendenlager weiterhin als notwendig an. Da sind ASB und wohl auch die Erftstädter Kommunalpolitiker anderer Meinung. Zwar war eine Schließung des Lagers im Frühjahr noch abgewendet werden können, zum 1. Dezember aber soll die Tore der Hilfseinrichtung am Bonner Ring endgültig geschlossen bleiben. Offiziell heißt es, es sei dank des Wiederaufbaufonds dann keine Hilfe mehr notwendig. Schady und seine Mitstreiter sind mit der Entscheidung nicht einverstanden und auch von Seiten der Hilfesuchenden wird vor allem in den sozialen Netzwerken viel gegen die bevorstehende Schließung protestiert. Die aber scheint unabwendbar zu sein.