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Mittelahr Bote
Ausgabe 50/2022
Aktuelles
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Bilanz nach der Flut aus Sicht des Handwerks

Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz.

Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich im Gespräch

AHRTAL. Seit der ersten Stunde nach der Naturkatastrophe sind die Handwerker im Ahrtal am Wiederaufbau beteiligt. Auch für Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz, verging seit fast keine Woche, in der er nicht im Ahrtal unterwegs war. Was wurde geschafft, was ist noch zu tun.

Herr Hellrich: Eine kurze Bilanz, wie läuft der Wiederaufbau aus Sicht des Handwerks?

Das Handwerk hat nach der Flutkatastrophe eine riesige Verantwortung übernommen – man muss sagen: übernehmen müssen! Denn wer sollte die fachlichen Probleme um zerstörte Versorgungsnetze sonst lösen, die Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten anstoßen und organisiert übernehmen? Das war eine bis dahin nicht gekannte Dimension und ich darf heute sagen: dieser Verantwortung ist das Handwerk gerecht geworden. Die ersten Schritte aus dieser Katastrophe und das, was folgte, sind aus Sicht des Handwerks gut gelaufen. Das lassen wir uns auch von Niemandem schlecht reden. Gleichwohl: fertig sind wir noch lange nicht und der Wiederaufbau wird dauern.

Wie beurteilen sie die Lage heute?

In einigen Bereichen ist es besser und schneller gelaufen, als man zunächst annahm. Die Angebote des Handwerks stehen, sie sind qualitativ wie auch quantitativ gut hinterlegt. Was verbessert werden kann, ist die Bekanntheit dieser Angebote bei den Betroffenen. Hier haben wir trotz aller Öffentlichkeitsarbeit, aller Ansprache und Bemühungen dazu lernen müssen.

Wie erklären Sie sich das?

Eine solche Krise setzt ein Umdenken bei den üblichen Kommunikationsformen voraus. Viele Betroffene waren nicht in der Lage, die zahlreichen Hilfsangebote in ihrem Sinne zu analysieren und anzufordern. Ich denke mit den heutigen Erfahrungen, dass wir in vergleichbaren Situationen ein vorbereitetes System anbieten müssen, über das Hilfe zentral organisiert und gesteuert wird. Angebote müssen zeitlich und inhaltlich so gegliedert werden, dass sie sich an den Erfordernissen und Bedürfnissen orientieren. Nach der Ahrflut gab es aus unserer Sicht zu viele ungesteuerte Informationen, Plattformen, Kanäle und Initiatoren, was eine Übersichtlichkeit eher erschwerte als konkrete Hilfe zielgenau zu vermitteln.

Was ist der größte Hemmschuh beim Wiederaufbau?

Wie gesagt: die Vermittlung zwischen Angebot und Nachfrage ist verbesserungswürdig. Es ist nur schwer verständlich, wenn einerseits über unsere Internetplattform handwerk-baut-auf.de rund 1800 Handwerksbetriebe aus ganz Deutschland ihre Leistungen anbieten, auf der anderen Seite Betroffene sagen, dass sie nach Wochen oder Monaten immer noch keine Handwerker finden konnten. Weil sie beispielsweise nicht wissen, dass es handwerk-baut-auf.de gibt. Und das, obwohl wir wirklich alle Kommunikationsregister gezogen haben. Doch Krisen haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten – auch in der Frage von Wahrnehmungen. Daraus müssen alle Beteiligten lernen.

Gilt das auch bei der Frage der Auftragsvergabe?

Ein ganz klares Ja. Der vertraute Handwerksbetrieb von nebenan ist sicherlich der Wunschpartner beim Wiederaufbau, doch in vielen Fällen überlastet und selbst betroffen. Deshalb haben wir rechtssichere Lösungen angeboten, die eine Installation durch Betrieb A aus Köln oder München vorsieht und die anschließende Wartung durch Betrieb B aus der Ahr-Region. Eine Möglichkeit, die leider zu selten genutzt wurde.

Der Facharbeitermangel ist nicht nur ein Problem im Ahrtal. In welchen Gewerken gibt es den größten Bedarf?

Die Fachkräftesicherung ist das große Thema der deutschen Wirtschaft. Wenn dann eine Region, ein Projekt oder eine Situation die Konzentration von Fachkräften fordert, macht sich die angespannte Lage natürlich besonders stark bemerkbar. Insofern macht die Nachfrage auf den vielen Baustellen des Ahrtals das sichtbar, was als Fachkräftemangel ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Das gilt nicht für ein einzelnes Gewerk, sondern für die Wirtschaft als solche.

Erfährt das Handwerk zu wenig Wertschätzung?

In diesen Situationen wird sehr deutlich, welchen Stellenwert das Handwerk für unser Leben hat. Mein klarer Apell kann also nur lauten, sich verstärkt mit dem Handwerk, seinen Berufenund Arbeitsbereichen vertraut zu machen. Das Jugendliche sich hier verwirklichen und am Ende des Tages sehen können, was sie geschafft haben, ist ein zusätzlicher Anreiz, ins Handwerk zu gehen!

Was planen Sie für das 2023, wo kann man noch nachsteuern?

Wir arbeiten in zwei Schwerpunktbereichen und werden das 2023 intensivieren. Zum einen in der Beratung von betroffenen Handwerksbetrieben beim Wiederaufbau. Das schließt auch die Antragstellung der Wiederaufbauhilfen ein. Zum anderen in der Vermittlung von handwerklichen Leistungen an Flutbetroffene. Da wir inzwischen um die Stellen wissen, wo der Schuh drückt, können wir gezielter helfen, organisieren und beraten. Nach wie vor ist die Handwerkskammer organisatorisch wie auch personell umgegliedert im Sinne der Wiederaufbauhilfe. Auch unsere Jour-Fix-Runden, die Verantwortliche des Krisenmanagements, der Versorgungsunternehmen, Hilfsorganisationen, der Landesregierung oder Kommunalpolitik und handwerkliche Organisationen an einen Tisch bringen, setzen wir nach Bedarf fort. Wir haben hier – vielleicht etwas jenseits der öffentlichen Wahrnehmung – viel erreichen können. Kurt Krautscheid als Präsident der Handwerkskammer Koblenz und ich als Hauptgeschäftsführer haben uns hier auch persönlich sehr stark eingebracht.