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Mitteilungsblatt Hamm (Sieg)
Ausgabe 39/2025
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Westerwälder Literaturtage in Hamm (Sieg)

Die Thesen von Prof. Andreas Rödder und Fragen von Michael Au zum „Verlorenen Frieden“ zwischen Ost und West und zur Verfassung der Demokratie regen zum Nachdenken und Diskutieren an.

Am vergangenen Donnerstag, den 18. September, war die erste und einzige Veranstaltung der diesjährigen Westerwälder Literaturtage (Programmleitung: Katharina Roßbach) in Hamm (Sieg) ausverkauft und das KulturHaus dementsprechend mit über neunzig gespannten Zuhörer:innen gefüllt. Ortsbürgermeister Thomas Christmann freute sich in seiner Begrüßung darüber, „dass das Haus so voll geworden“ sei und stellte die beiden Referenten des Abends, Historiker Prof. Andreas Rödder und den Kultur- und Literaturreferenten des Landes Rheinland-Pfalz, Michael Au vor. Die beiden Männer stammen nicht nur aus der Region und verbrachten ihre Schul- und Jugendzeit in Wissen (Sieg), sondern verbindet darüber hinaus eine langjährige Freundschaft, erklärte Au später.

Zwischen den beiden spannte sich im Verlaufe des Abends ein unterhaltsames Zwiegespräch auf, dem Rödders 2024 erschienenes Buch „Der verlorene Frieden. Vom Fall der Mauer zum neuen Ost-West-Konflikt“ zu Grunde lag, zu dessen Thesen und Einordnungen Michael Au zugespitzte und teils provokante Fragen an den Autoren stellte.

Rödder ist dabei kein unbeschriebenes Blatt: Eingangs erklärte auch Au, dass Rödder niemand sei, der „im Elfenbeinturm“ auf die Dinge schaue und über sie schreibe, sondern sich auch mitten ins Geschehen begäbe und seine Meinung in den Diskurs einbrächte. Dabei gab es in der Vergangenheit auch immer wieder Kontroversen um den CDUler.

„Es gibt keine eindeutigen Lehren aus der Historie, aber die Historie beeinflusst das politische Handeln.“ (Rödder)

Nach einem Überblick über die Entwicklungen des Ost-Westkonfliktes der letzten Jahrzehnte legte Rödder die Diagnose dar, die „Hybris des Westens“ sei in dem (überheblichen) Glauben begründet gewesen, alle Nationen und Menschen warteten nur auf ihn. Man habe sich nicht vorstellen können, dass in anderen Teilen der Welt die westliche Ordnung kein Leuchtfeuer, sondern eine Bedrohung kultureller und ideeller Konzepte ist.

In diesem Zusammenhang kamen Rödder und Au schließlich auch auf die Eskalation des Konfliktes in Form des Ukrainekriegs zu sprechen. Dabei urteilte Rödder, dass die Aushandlung des Minsker Abkommens „vernünftig“ gewesen sei, man aber hätte erkennen müssen, dass damit nicht mehr als eine „kurze Atempause“ im Konflikt gewonnen wurde, da sich Russland nicht an das Abkommen hielt, statt sich der Realität weiter zu verweigern. Die uneingestandene Niederlage des Ostens im kalten Krieg sei der eigentliche Treiber des russischen Revisionismus der Gegenwart, urteilte er.

Aus Rödders Perspektive sei es nun neben einer Rückkehr zur militärischen Abschreckung fundamental, den Invasoren keine Angriffsfläche durch innere Spaltung zu geben.

Das Gebot der Stunde: Selbstbehauptung der Demokratie

Ein wichtiges Gegenmittel seien also auch „vitale, westliche Demokratien“, die nicht durch gesellschaftliche Polarisierungen immer mehr an Handlungsfähigkeit einbüßten. Gleichzeitig erklärte Rödder, seinem Verständnis nach solle Politik „Kampfsport“ sein, im Wettstreit um die bessere Idee. Wie fair und offen dieser ausgetragen werden würde bzw. könne, sei unter anderem ein Faktor für die Reformfähigkeit Deutschlands.

Gesprächsstoff für den weiteren Abend und zum Mit-nach-Hause-Nehmen

Im Rahmen der „etwas anderen“ Buchvorstellung im KulturHaus stellte Rödder seine Fähigkeit unter Beweis, komplexe Themen – ohne den übermäßigen Einsatz von Fachjargon, aber von Begleitreferenzen untermauert – anschaulich darstellen zu können. Den ernsten Themen zum Trotz kam auch in insofern ein Unterhaltungsfaktor zum Tragen, als dass Rödder ebenso wie Au stellenweise immer wieder Spitzen gegen vergangene und aktuelle Anschauungen und Politik(er:innen) austeilten und mit ihren eloquent formulierten Kritiken durchaus für ein auflockerndes Lachen in der Runde sorgten.

Während Rödder in der „Geschichtsdeutung“ sein umfängliches Fachwissen einbrachte und seiner Argumentation eine (im Westen) wohl weitgehend konsensfähige Einordnung des Ost-West-Konfliktes zu Grunde legte, zeichneten sich seine Ableitungen daraus durch Thesen aus, die sich -oft aus mehreren Perspektiven- kontrovers diskutieren lassen (müssen): Darunter befanden sich etwa Rödders Empfehlung zur Aufrüstung und Rückkehr zu wirksamer Abschreckung sowie seine (hypothetische) Aussprache für eine CDU-Minderheitsregierung anstelle einer Koalition und für einen differenzierten Umgang mit der AfD und ihren Inhalten auf der politischen Bühne.

Wie Rödder selbst zwischenzeitlich einwarf: „Politik ist immer mit Wertung verbunden.“

So war es kaum verwunderlich, dass sich viele der Zuhörerinnen und Zuhörer nach der Veranstaltung mit den neuen Gedanken- und Diskussionsanstößen in kleinen Gruppen zusammenfanden, um sich über die behandelten Themen auszutauschen und eigene Haltungen einzubringen.

Auch Ortsbürgermeister Thomas Christmann konstatierte gegenüber den beiden Protagonisten des Abends: „Ich könnte jetzt noch so viel dazu sagen!“, ehe er sich bei Au und Rödder für die Eindrücke bedankte und sowohl ihnen als auch der Programmleiterin der Westerwälder Literaturtage, Katharina Roßbach (buchladen Wissen) im Namen der Ortsgemeinde als Gastgeberin der Veranstaltung jeweils ein Präsent überreichte.

Über den Autor:

Ausschnitt aus dem Werdegang: Andreas Rödder (Jhg. 1967), studierte Geschichte und Germanistik in Bonn, Tübingen und Stuttgart, promovierte 1995 in Bonn über die Außenpolitik der späten Weimarer Zeit und habilitierte sich 2001 mit einer Arbeit zur politischen Kultur der englischen Konservativen. Seit 2005 ist er Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Er ist außerdem Initiator und Leiter der Denkfabrik Republik21, die sich als Plattform für eine neue bürgerliche Politik positioniert.

Aktuelle Publikationen: In seinem jüngsten Buch „Der verlorene Frieden. Vom Fall der Mauer zum neuen Ost-West-Konflikt (2024), reflektiert Rödder die Entwicklungen seit 1990 und analysiert zentrale Krisen, Machtverschiebungen und familiäre Brüche in der internationalen Ordnung.

Meinungen & Kontroversen: Rödder wird oft als Vertreter eines konservativen Reformer-Ansatzes wahrgenommen. So plädiert er dafür, konservative Werte zu bewahren, Wandel aber so zu gestalten, dass möglichst viele Menschen „mitkommen“. Kritiken gibt es insbesondere in Bezug auf seine politischen Aussagen: Beispielsweise schlug er vor, die CDU könne in Ostdeutschland eine Minderheitsregierung tolerieren, die gelegentlich auf Unterstützung durch die AfD angewiesen ist, was innerhalb der Partei auf starke Gegenwehr stieß. Für manche ist Rödder ein wichtiger Vordenker, der konservative Mitte neu definiert; andere sehen seine Bereitschaft, über Allianzen mit weniger etablierten Parteien nachzudenken – auch mit Blick auf die AfD – kritisch und riskant.

Zuletzt forderte er mehr Sachlichkeit in der politischen Debatte und warnte vor Moralisierung und Emotionalisierung als Gefahr für demokratische Auseinandersetzungen.

Quellen zum „Über den Autor“-Teil und mehr dazu (zuletzt abgerufen am 22.09.2025)

Hollstein, Miriam; Rosenkranz, Jan | Stern online (September 2023) | Umgang mit Rechtspopulisten – Historiker Rödder: „Die AfD hat das Ziel, die Union zu zerstören“ | https://www.stern.de/politik/afd-debatte--historiker-roedder-offen-fuer-cdu-minderheitsregierungen-33837136.html

Maull, Doris | SWR online (Juni 2023) | Zeitgenossen - Andreas Rödder: „Konservativ sein ist eine Frage der Haltung“: https://www.swr.de/swrkultur/leben-und-gesellschaft/andreas-roedder-historiker-swr2-zeitgenossen-2023-07-01-100.html

Denkfabrik R21 online | https://denkfabrik-r21.de/

Portal für Politikwissenschaft online | https://www.pw-portal.de/aussen-und-sicherheitspolitik/ueberblick/andreas-roedder-der-verlorene-frieden-vom-fall-der-mauer-zum-neuen-ost-west-konflikt

Universität Mainz online | https://neuestegeschichte.uni-mainz.de/start/univ-prof-dr-andreas-roedder/

Welt online | https://www.welt.de/politik/deutschland/article247552868/Historiker-Andreas-Roedder-Brandmauer-Hysterie-fuehrt-dazu-dass-die-AfD-immer-mehr-Zulauf-erhaelt.html