Einzug der Volksvertreter in die Frankfurter Paulskirche
Blick vom Heister auf Schönstein mit Schloss Gemälde von Christian Hohe, 1852
„Auf dem Stein“ oberhalb des Stock`schen Hauses befanden sich die 6 Feldschanzen (im Bild unterhalb des Ziegenhirten).
Gräfin Sophie von Hatzfeldt -Trachenberg geb. 10.08.1805, gest. 25.01.1881, Foto um 1860
Revolten der Schönsteiner Bauern und „Hatzfeldt-Krieg“ im Schatten der Deutschen Revolution 1848
Teil 1
„Es ist alles so, wie es geworden ist.“
Das Leben ist in seiner ganzen Vielfältigkeit Entwicklung. Ohne Vergangenheit ist Gegenwart nicht denkbar, darauf baut Zukunft auf. In diesem Beziehungsgefüge kann die erste frei gewählte deutsche Volksvertretung am 18. Mai 1848 - vor also 175 Jahren - in der Frankfurter Paulskirche als Weichenstellung für unsere heutige freiheitlich demokratische Grundordnung gesehen werden und bereits vorher für die Weimarer Republik, 1919-1933.
Der Revolution vorausgegangen waren in vielen deutschen Landen Demonstrationen, Aufstände und blutige Unruhen, die auf die wirtschaftliche Notlage und die sozialen Ungerechtigkeiten zurückzuführen waren. „Ehre, Freiheit, Vaterland“ lautete der Wahlspruch 1817 auf dem Wartburgfest der Deutschen Burschenschaft. Bereits 1832 fand eine erste große politische Massendemonstration auf dem Hambacher Schloss statt, wo die liberalen Redner Freiheit und ein einiges Vaterland einforderten, einen deutschen Nationalstaat, der den Deutschen Bund aus 35 Fürstentümern und 4 Stadtstaaten ablösen sollte. Die Menschen schwenkten die schwarzrotgoldenen Fahnen und riefen: „Hoch lebe das Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört.“[1] Hoffmann von Fallersleben dichtete 1841 „das Lied der Deutschen“ und erinnerte darin an die unerfüllten Wünsche der unterdrückten Bevölkerung. Zu Beginn der 3. Strophe wird dies besonders deutlich:
Einigkeit und Recht und Freiheit
für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
brüderlich mit Herz und Hand![2]
In den Städten forderten die Bürger auf Kundgebungen Freiheit der Presse, Versammlungsfreiheit, Recht auf Arbeit, allgemeines Wahlrecht, Gesetzgebung durch das Volk und die Arbeiter zudem höhere Löhne. Die Bauern wollten von ihren drückenden Abgaben befreit werden.
Der Nährboden für politische, soziale und wirtschaftliche Umwälzungen war bereitet, vor allem im Jahre 1847, da nur wenig Brotgetreide gewachsen und die Kartoffelernte schlecht ausgefallen war. In seinem Elternhaus lauschte der Junge Karl Schmidt, was die Alten an Heim- und Bürgerabenden über das Vorjahr der Revolution 1848 und die Folgezeit zu erzählen wussten, auch, wie sich all diese Geschehnisse in Schönstein und im engeren Heimatbezirk ausgewirkt hatten.
Das wenige und teure eingeführte Brotgetreide wurde mit Eicheln und Wurzeln gestreckt, Kartoffeln gab es nur sonntags. Der 1818 in Hamm/Sieg geborene Friedrich Wilhelm Raiffeisen gründete landwirtschaftliche Genossenschaften, um die Not der Bauern auf diese Weise zu lindern. Das Volk war jedoch reif zur Auflehnung, zumal von der Regierung keinerlei Unterstützung erfolgte. Der Amtmann der Standesherrschaft Schönstein floh über Nacht und der einzige Polizeibeamte vertauschte den Uniformrock mit einem blauen Kittel, um der Landwirtschaft nachzugehen. Auf dem Schulhaus wehte die Freiheitsfahne. Die Bauern vor Ort und im Siegtal waren „auf dem Laufenden“. Der Großvater des kleinen Karl Schmidt, damaliger Lehrer in Schönstein, geistiger Berater und Wortführer der allabendlichen Versammlungen im Schulsaal, bezog eine in Koblenz erscheinende Tageszeitung; somit war bekannt, dass von der notleidenden Bevölkerung in weiten Landstrichen eine Flut von Petitionen an den Vereinigten Landtag in Berlin gelangt war; folglich hatten 1847 auch die Bauern der Standesherrschaft Wildenburg - Schönstein eine Abordnung mit einer „Bedrückungsbeschwerde“[3] nach Berlin entsandt, wo der König die Beschwerdeführer (Bauern, Landarbeiter und Pächter) persönlich empfing. Nun war in den Zeitungen zu lesen, wie der Reichsgraf Edmund von Hatzfeldt mit seinen Untertanen umsprang und alle Gesetze missachtete.
Auch in Schönstein und umliegenden Dörfern dürfte das „Hungerlied“ des demokratisch gesinnten Dichters Georg Weerth bekannt gewesen sein:
Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht`?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.
Und am Mittwoch mussten wir darben,
Und am Donnerstag litten wir Not
Und am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!
Drum lass am Samstag backen
Das Brot fein säuberlich-
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich![4]
Graf Edmund von Hatzfeldt hatte in Anbetracht möglicher Unruhen und räuberischer Überfälle auf Schloss Schönstein die Schützenbruderschaft in Bereitschaft gesetzt, deren Protektor er war. Sie bestand aus „einer Kompagnie von 60 Mann“, die mit neuen Gewehren und Lanzen ausgerüstet wurde. „Auf dem Green“, der Sieginsel hinter dem Schloss, wurden täglich Schießübungen durchgeführt, Exerzieren und Wachdienst eingeübt. „Auf dem Stein“, im Bereich des Stock`schen Hauses, wurden 6 Feldschanzen aufgestellt- kleine Kanonen, etwa 1 Meter lang mit 4-5cm Rohrdurchmesser. Diese Feuerschlünde sollten „Tod und Verderben speien“, wenn die Ruhe des Ortes gestört oder sich jemand am Eigentum vergreifen sollte. Von diesem Standort aus konnten die Hauptzugangswege, aber auch die Schlosstore gut bestrichen werden. Diese militärischen Vorkehrungen hielten fremde Eindringlinge von Überfällen ab. [5]
Zur Revolte gegen ihren Standesherren gelangten die Schönsteiner Bauern und Landpächter aus der Umgebung durch Ferdinand Lassalle, der als Generalbevollmächtigter die Gräfin Sophie von Hatzfeldt zukünftig in jahrelangen Scheidungsprozessen gegen ihren brutalen und zügellosen Ehemann Edmund verteidigen sollte. Lassalle hatte die 20 Jahre ältere Sophie 1846 in Berlin kennengelernt, von ihrer zerrütteten Ehe und ihren Scheidungsabsichten erfahren. Er hatte bereits mit jungen Jahren das Studium der Philosophie, Philologie und Geschichte absolviert und war mit scharfem Intellekt und unbändigem Ehrgeiz ausgestattet. „Reichtum und Macht bedeuten mir nichts. Das eine ist errafft und das andere ergaunert“[6], ließ Lassalle gegenüber der Gräfin verlauten - und: „Unrecht vertrage ich nicht. Wo ich darauf stoße, gebe ich nicht eher Ruhe, bis es beseitigt ist.“[7] Diese Grundhaltung war die Triebfeder, sich gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Rechtlosigkeit zur Wehr zu setzen; dies machte ihn auch zum Anwalt der Arbeiter in den Elendsvierteln der Städte und führte später - im Jahre 1863 - zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV). Die Verschwendungssucht des Grafen Edmund von Hatzfeldt, seine Zügellosigkeit, seine Gemeinheiten gegenüber Sophie und ihren Kindern, öffentliche und private Demütigungen, Verweigerung von Unterhaltszahlungen, all das veranlasste Ferdinand Lassalle, gegen den Grafen juristisch zu Felde zu ziehen. An Gräfin Sophie gerichtet sagte er: „Es mag zwar übertrieben klingen, aber es ist die Bestimmung meines Lebens, Ihnen zu Ihrer Freiheit zu verhelfen.“[8] Und: „Meinetwegen kann der Reichsgraf ein ganzes Rudel von Advokaten beschäftigen, aber er unterschätzt mich. Jetzt wird es revoltant.“[9] Lassalle war in seinen Zielsetzungen nicht nur bestrebt, die Gräfin in ihren Scheidungsabsichten zu unterstützen, sondern er inszenierte den Scheidungsprozess gegen ihren Ehemann als öffentliche Anklage der herrschenden Verhältnisse. „Denn wer so geschickt ihr Leid als Leiden aller Unterdrückten zu schildern verstand, der hatte das Zeug, Anwalt aller Bedrängten zu werden… um Wort für Wort das Private ins Poltische zu drehen und alles in ein feuriges Plädoyer für Gerechtigkeit und gegen Willkür und Gewalt zu verwandeln.“[10]
Verfasser: Bruno Wagner, Schönstein
Teil 2 und Teil 3 erscheinen in den Folgewochen.