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Ausgabe 27/2023
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Vor 175 Jahren

Barrikadenkämpfe im März 1848 in Berlin. Zeitgenössische Farblithographie. Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Ansicht von Schönstein mit Schloss, alter Pfarrkirche, Fachwerk- und Lehmstampfhäusern. Aquarell von Dörner `43. Archiv: Bruno Wagner

Revolten der Schönsteiner Bauern und „Hatzfeldt-Krieg“ im Schatten der Deutschen Revolution 1848

Teil 3

Das obige Briefdatum zeigt an, dass die Zeit der monarchistischen Gegenrevolution angebrochen war. Noch im März 1848 hatte König Friedrich Wilhelm IV. erklärt, nachdem die Revolutionäre in allen deutschen Ländern gesiegt hatten: „Ich habe heute (21. März) die alten deutschen Farben (schwarz, rot, gold) angenommen und mich und mein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen Reiches gestellt. Preußen geht fortan in Deutschland auf.“[15] Die Volksvertreter der Frankfurter Nationalversammlung arbeiteten an einer Verfassung mit den Grundrechten, die als Grundlage für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (23. Mai 1949) gelten. Sie hatten sich auf einen Gesamtstaat Deutschland geeinigt.

An die konstituierende Nationalversammlung zu Frankfurt richteten die Bewohner des Standesgebietes Wildenburg - Schönstein in Rheinpreußen ihre Wünsche und Beschwerden in 16 Punkten zur zeitgemäßen Erledigung als „Bauernpetition vom 25. Mai 1848“. Darin heißt es (teilweise sinngemäß verkürzt):

1.

Aufhebung der standesherrlichen Regierungsrechte und Patrimonialgerichtsbarkeit und Bereinigung derselben mit landesherrlichen Behörden.

2.

Freie Wahl der Gemeindebeamten durch die Gemeinden.

3.

Öffentliche Gerichtspflege und Schwurgerichte in Kriminalsachen.

4.

Aufhebung des standesherrlichen Patronats über Kirchen, Kapellen, geistliche Stiftungen und Schulen.

5.

Herausgabe der Erb- und Zinsgüter resp. der bestehenden Hofgüter mit Wohnhäusern, Scheuern, Ställen und Backhäusern sowie Feldern, Wiesen, Haubergen und Waldungen nebst Hutgerechtsamen von der Standesherrschaft an die alten Besitzer resp. deren Erben gegen Entrichtung der seit altersher darauf ruhenden Abgaben, soweit diese auf unrechtmäßige oder listige Weise in die Hand der Standesherrschaft gekommen sind.

6.

Zur Erledigung des Punktes 5.: Offenlegung der in den Händen der Standesherrschaft befindlichen alten Urkunden, Lagerbücher und Renteiregister.

7.

Im Falle der Ablehnung des vorgenannten Punktes seitens der Standesherrschaft: Anwendung von Zwangsmitteln durch die Beschwerdeführer gegen die Standesherrschaft, sollte diese durch Vorenthaltung der erwähnten Dokumente das ganze Gebiet im Zustand des Aufruhrs und der Erbitterung belassen und den Bewohnern materiellen Wohlstand vorenthalten sowie diesen nicht die Möglichkeit einräumen, als zukünftige Bürger und selbständige Glieder der freien und einigen deutschen Nation tätig sein zu können.

8.

Herausgabe der im Besitz der Standesherrschaft befindlichen Güterstücke der Kirchen und Kapellen.

9.

Freie Jagd und Fischerei.

10.

Aufhebung aller Feudallasten.

11.

a) Freie Wahl der Forst- und Flurschützen.

b) Freie Verwaltung der Gemeindekassen durch die Gemeinde und Steuerabgaben nach dem Einkommen und Vermögen.

c) Minderung von Beamten und ihrer Gehälter auch von Ärzten pp.

d) Verminderung von Taxen, Gebühren pp.

12.

Verminderung der Grundsteuer, Aufhebung der Klassen- und Gewerbesteuer pp.

13.

Zur Senkung der Staatsausgaben: Reduzierung des stehendes Heeres in Friedenszeiten, Einführung einer Bürgerwehr pp.

14.

Unbeschränktes Versammlungs- und Assoziationsrecht.

15.

Unabhängigkeit der Geistlichen in kirchlichen Angelegenheiten.

16.

Aufhebung des durch Richterspruch verhängten Verlustes der Ehren- und Burgerrechte und Substituierung von Geld- und Arbeitsstrafen für Gefängnis oder Zuchthaus in Holzdiebstahlsfällen - begründet in Streitigkeiten über Holzgerechtsame.

Die Namen der Beschwerdeführer waren folgende: Arndt, Baldus, Becker H., Becker, Brenner, Brenner, P. Brühl, Lorenz Broel, Burbach, Deutz, Dörner, Joh. Pet. Euteneuer, J. Hahmann, Harter, H. Holschbach, Hombach, Jost Wilhelm Hüsch, Hüsch, Hüsch, Hussing, Klein, Langenbach, Ludwig, Mergelbach, Pfeiffer, Seibert, Simonis, Schmidt, Schneider, Schneider, Schneider, Stangier, Stinner, Weber, Weiß, Weseler, Weller, Weller, Wisser.[16]

Im November des Revolutionsjahres zog der preußische König 40 000 Soldaten in Berlin zusammen, jagte die preußische Nationalversammlung auseinander und festigte seine Stellung als Monarch. Die ihm von den Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone für ein neues Deutsches Reich lehnte er empört mit den Worten ab, ein solcher Reif sei mit dem „Ludergeruch“ der Revolution behaftet.[17] Damit war die Arbeit der Frankfurter Nationalversammlung für ein geeintes Deutschland gescheitert. Aufstandsbewegungen im Frühjahr 1849, u.a. in Sachsen, Süddeutschland und im Rheinland, wurden blutig niedergeschlagen. „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“[18], erklärte der preußische König. Aber alle deutschen Staaten hatten eine Verfassung mit der Erklärung der Grundrechte- Recht auf Freiheit der Person, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Unverletzlichkeit des Eigentums, Gleichheit vor dem Gesetz…

Während der Deutschen Revolution im März 1848 diente bei der Garde des Königs in Berlin auch ein Schönsteiner; er hieß Wilhelm Sauer. Ihn hörte der kleine Karl Schmidt bei den abendlichen Zusammenkünften der Alten erzählen, wie er seine Reise nach Berlin zu Fuß gemacht und dabei ein Paar nagelneue Schuhe verbraucht hatte. Nach seiner Schilderung war die Revolution in Berlin als Regierungssitz am heftigsten. Das Militär hatte zwar die Weisung, keine Menschenleben zu vernichten; als jedoch die aufgewiegelte Bevölkerung bei den Barrikadenkämpfen die Oberhand behielt, vor allem dank der Frauen, die ganze Ziegeldächer von oben warfen und siedendes Öl und kochendes Wasser auf das Militär schütteten, da wurde den königlichen Soldaten der Schießbefehl erteilt. Die toten Opfer des Aufstandes wurden in den Lustgarten des königlichen Palais gebracht. Beim Anblick dieser Toten habe der König von seinem Balkon in die Volksmenge gerufen: „Mein Volk, was willst du?“ Daraufhin hätten Bevollmächtige der Aufständischen dem König Einigungsverhandlungen vorgeschlagen.

Besagter Wilhelm Sauer aus Schönstein wurde auch noch bei der Niederschlagung der Revolten in Sachsen eingesetzt, danach in Schleswig-Holstein in den Städten Flensburg und Rendsburg. Nach beendigter Dienstzeit in Berlin konnte der Gardist Sauer seine Heimreise antreten- mit der Eisenbahn auf der neu gebauten Strecke von Berlin bis Hamm in Westfalen; von dort war es „nur“ noch ein Fünf-Tages-Marsch bis nach Schönstein.[19]

Auch hier kehrten nach und nach geordnete Verhältnisse ein. Die Geschehnisse dieser „tollen Zeit“, wie Karl Schmidt sie nannte, hatte er alle gut behalten, auch, dass der Amtmann der Standesherrschaft Schönstein aus seinem Asyl zurückkehrte und der Polizeibeamte seinen Säbel wieder umschnallte.

Mit unerschütterlichem Willen führte Ferdinand Lassalle die Prozesse gegen Graf Edmund von Hatzfeldt fort. Dieser hatte Jahre zuvor nicht einmal vor dem Versuch zurückgeschreckt, seinen eigenen Sohn Paul aus der Obhut der Mutter nach Schönstein entführen zu lassen. Selbst während seiner Inhaftierungszeit in Düsseldorf konnte Lassalle die Gräfin Sophie vor den Gerichten verteidigen, da er die gesetzwidrige Erlaubnis erhielt, das Gefängnis zeitlich befristet zu verlassen. In der Folgezeit scheiterte er des Öfteren vor den Tribunalen, da die vormalige Abneigung der Richter gegen den Adelsstand sich in reaktionäre und antirevolutionäre Gesinnung verkehrt hatte.

Lassalle erzielte auf seinem Gerichtsfeldzug, der insgesamt 8 Jahre vor über 30 verschiedenen rheinischen Gerichten dauerte, zunächst 1851 mit der rechtskräftigen Scheidung und der Rückgabe des Erbgutes der Gräfin einen Teilerfolg. Sophie verlor zwar ihre bis dahin zustehende Alimentation von jährlich 8 000 Talern. In einem Vergleichsverfahren wurde ihr aber 1854 eine Abfindung von 300 000 Talern zugesprochen, aus der für Lassalle eine jährliche Rente von 4 000 Talern abfiel; einen Teil übergab sie ihrem Sohn Paul.

Ferdinand Lassalles persönlicher Triumph in diesem Prozesskrieg und die Befreiung der Gräfin aus den Fesseln ihres brutalen und unmenschlichen Gatten waren darüber hinaus ein Sieg in einem juristischen Machtstreit, den er als politisches Betätigungsfeld in seinem Kampf gegen soziale Unterdrückung sah.

1864 starb Ferdinand Lassalle an den Folgen eines Eifersuchtsduells in der Schweiz.

Seine geliebte Gräfin Sophie charakterisierte ihn in seinem Streben und Ringen um die Schaffung gerechter Lebensverhältnisse und die Befreiung aus dem Untertanentum so: „Das ganze fossile Regierungspack zum Teufel jagen, die Verhältnisse radikal umstürzen und eine sociale Demokratie schaffen. Dafür brannte er, … dass Demokratie keine Floskel und nicht irgendwas Beliebiges war, nein, Demokratie war der göttliche Arm des menschlichen Fortschritts.“[20] In ihren begegnungs- und erlebnisreichen Jahren mit F. Lassalle hatte sie seine menschliche Grundhaltung erfahren: „Nicht die Herkunft, sondern der Geist bestimmt den Rang des Menschen, weshalb ein Mann von Geist ein Mann von Rang war.“[21]

Es war nicht nur die gemeinsame Seele, die sie verband, sondern auch ihre Geistesverwandtschaft. Das Bild von einer neuen Gesellschaft mit freier Entwicklung für alle und ohne soziale Unterdrückung, das er für Sophies Sohn Paul entworfen hatte, entsprach auch ihrer Geisteshaltung. Lassalle über sie: „… wie ein weiblicher Faust hat die Gräfin die Leiden der Menschheit in sich aufgenommen und den Kampf für ihre Selbstbestimmtheit gewagt, stellvertretend für alle, die sich in ihren Ehen gedemütigt und erniedrigt fühlen.“[22] „… für ihn inkarnierte sich in der Sache der Gräfin die Sache der Menschheit, die Passionsgeschichte der menschlichen Freiheit.“[23]

Auch nach Lassalles Tod betrachtete sich Gräfin Sophie als Hüterin seiner politischen Ziele und versuchte, als „Aristokratenproletarierin“ auf das politische Handeln des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Einfluss zu nehmen, jedoch nicht in der Weise, wie ihr politischer Freund und Gesinnungsgenosse Karl Marx forderte: die radikale Umwälzung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Die Gräfin wollte den Arbeitern Selbstbewusstsein geben, für sie Möglichkeiten schaffen, sich zu bilden und zu organisieren, mitzubestimmen nach dem Grundsatz: Männer aus dem Volk, Männer für das Volk. Dem ADAV spendete sie zudem eine beträchtliche Summe ihres Vermögens.

Gräfin Sophie von Hatzfeldt gehört zu den ersten Frauen in Deutschland, die ihr Recht auf Selbstbestimmtheit, Würde und Mitbestimmung im öffentlichen Leben erkämpft haben und erste demokratische Frauenbewegungen und - vereine organisierten und begründeten.

Auflehnung gegen Unterdrückung war auch in unserer Heimat ein zündender Funke für einen gewaltigen politischen Flächenbrand. Heimatgeschichte verwob sich mit deutscher Geschichte - der Deutschen Revolution 1848.

Wenn auch die zarte Pflanze Freiheit in der Folgezeit ausgetrocknet wurde, wieder aufblühte, danach absterben musste, ihr Saatgut fand jedoch neuen fruchtbaren Nährboden, auf dem ein freiheitlich bestimmtes Leben gedeihen konnte; um dessen Erhalt müssen wir uns sorgsam kümmern - gegenwärtig wie auch zukünftig.

Literaturverzeichnis

1) „Entdecken und Verstehen“

Hrsgb. Dr. Thomas Berger, Karl Heinz Müller, Prof. Dr. Hans- Gert Oomen

Geschichtsbuch für Rheinland - Pfalz - Saarland, Band 2, 1989

2) Schmidt, Karl

„Alte Heim- und Bürgerabende in Schönstein“

(Mündlichen Überlieferungen nacherzählt)

In „Wissener Heimatbuch“, 1951, Chronik des Amtes Wissen (Sieg)

Hrsgb. von Wissener Heimatfreunden

3) Abresch, Rolf Wilhelm

„ Bauernsturm auf Schloß Crottorf und Schönstein“

Wissener Beiträge zur Geschichte und Landeskunde, Heft 22

4) Feyl, Renate

„ Die unerlässliche Bedingung des Glücks“, 1. Auflage 2019

5) Busch, P. Dr. Gabriel O.S.B., Herausgeber

„Im Spiegel der Sieg“, 1979


[1] Zu Literaturangabe Nr. 1

[2] Ebenda, Seite 137

[3] Zu Literaturangabe Nr. 3

[4] Zu Literaturangabe Nr. 1, Seite 141

[5] Zu Literaturangabe Nr. 2

[6] Zu Literaturangabe Nr. 4, Seite 23

[7] Ebenda, Seite 21

[8] Ebenda, Seite 69

[9] Ebenda, Seite 68

[10] Ebenda, Seite 156

[11] Zu Literaturangabe Nr. 2 u. 3

[12] Zu Literaturangabe Nr. 3

[13] Zu Literaturangabe Nr. 4

[14] Zu Literaturangabe Nr. 3, Seite 22-23

[15] Zu Literaturangabe Nr. 1

[16] Literaturangabe Nr.3, S. 48

[17] Zu Literaturangabe Nr. 1

[18] Ebenda, Seite 150

[19] Zu Literaturangabe Nr. 2, Seite 280-281

[20] Zu Literaturangabe Nr. 4, Seite 146

[21] Ebenda, Seite 150

[22] Ebenda, Seite 155

[23] Ebenda, Seite155

Fotos: Archiv: Gerstenberg, Wietze, Archiv: Bruno Wagner, Archiv: Rolf Wilhelm Abresch,

Repro: B. Theis, Archiv: Landesbildstelle Rheinland, Düsseldorf; Miniaturen von Boser, Düsseldorf 1841, Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Verfasser: Bruno Wagner, Schönstein