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Ausgabe 47/2022
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Vor 110 Jahren gegründet – das Weißblechwalzwerk Wissen (Sieg)

Gastwirtschaft Frank um 1880

Die Anfänge des Weißblechwerkes Baubeginn 1911 - Postkarte

Kistenfabrik und Sägewerk Hombach bis 1926

Kistenfabrik des Weißblechwerkes, ab 1926 im Ziegeleigelände Koenemund in der Hockelbach

Walzwerkskolonie mit Blick auf die Bruchstraße und Kleinstraße (re)

Generaldirektor Dr. Karl Grosse

Ludwig Patt (1891-1979), Aufnahme: 1930er Jahre

Weißblechwerk um 1930

Bandentfettungsanlage

Produkte - entstanden aus Weißblech

Elektrolytische Bandverzinnung, Zerteilanlage

Im Frankenthal, wo heute Gewerbebetriebe und eine Spedition angesiedelt sind, wurde 1912 - also vor 110 Jahren- das erste Blech gewalzt.

Bereits 1899 hatte die Wissener Bergwerks -und Hütten AG (u.a. Eigentümerin des Hochofenwerks Alfredhütte - linksseitig der Sieg, am Bahnhof Wissen - und der Wissener Hütte, ab 1902 Alte Hütte) beschlossen, 50 Grundstücke für 60 000 Reichsmark im Frankenthal zu kaufen.

Der Aufsichtsrat der Vereinigten Stahlwerke van der Zypen und Wissener Eisenhütten AG. hatte 1910 entschieden, das Aktienkapital um 3 000 000 RM zu erhöhen und mit den neuen Geldmitteln ein Weißblechwerk zu errichten. Das Baugelände lag rechts der Sieg zwischen Bahndamm und der Bornscheidt in der Gemarkung Schönstein. Zuvor waren drei Häuser zwischen der Bahnstrecke und dem Hüttengraben abgerissen worden, u.a. die Gastwirtschaft von Johann Heinrich Frank und die angeschlossene Gerberei seines Bruders Hubert Reinerus Frank.

Die Standortwahl fiel deshalb auf Wissen-Schönstein, da in Köln-Deutz (Sitz der Betreibergesellschaft und der Familie van der Zypen aus Lüttich in Belgien) nicht genügend Gelände zur Verfügung stand. Zudem konnte das seit 1873 bestehende Hochofenwerk Alfredhütte die benötigte Energie für die Herstellung von Weißblech und für die Verzinnung in Form eines Nahwärmenetzes liefern. Auch das Lohnniveau war in hiesiger Region aus Unternehmersicht recht günstig.

Oberingenieur Karl Grosse, technischer Leiter der Vereinigten Stahlwerke v.d. Zypen und Wissener Eisenhütten AG, reiste nach Großbritannien, um in Swansea (Südwales) technische Anlagen der Weißblechherstellung zu besichtigen und seine erworbenen Kenntnisse für Wissen einzubringen. Der erste Spatenstich erfolgte am 14.01.1911 durch Bauleiter Oskar Hallerbach. Die Wissener Bauunternehmer Koenemund, Hahmann, Klaas wurden mit der Ausmauerung der Wasserleitung beauftragt; das Baugeschäft Metzler aus Wissen war am Aufbau der Betriebsgebäude beteiligt. Im April begann man mit der Montage der Werkshallen und von Hallenkränen.

Es folgte der Einbau der Walzgerüste sowie der für die Fertigfabrikation benötigten Scheren, Beizanlagen, Glühöfen, Putzmaschinen und Verzinnungsherden. In 16 Drehrostgeneratoren sollten Braunkohlebriketts zur Beheizung der Zinnkessel, Wärme- und Glühöfen vergast werden.

Nach der Inbetriebnahme der Weißblechwalzen durch Walzmeister Christian Seuser am 12.04.1912 und nach der Eröffnungsfeier durch Karl Grosse waren in der Anlaufzeit des Walzwerks 268 Arbeiter und 17 Angestellte beschäftigt. Über 60 berufserfahrene Walzer und Arbeiter hatte Ingenieur Wilhelm Krämer vom Walzwerk Rasselstein/ Neuwied mit nach Wissen gebracht; er leitete den Bau des Weißblechwerkes.

Die Versandkisten für das Weißblech wurden von der Firma Hombach (Sägewerk und Kistenfabrik), Brückhöfe, geliefert.

Eine neue Siedlung für die Arbeiter entstand 1912 zwischen der Hachenburger/ Nassauerstraße, der Hockelbach und Langstraße sowie im Bruch (Bereich der heutigen Bergfeldstraße). In den angrenzenden Straßen dieser Walzwerkskolonie wohnten die Angestellten, Meister, Ingenieure und Direktoren.

Im Jahre 1913 wurden bereits 2150 to gewalzt, Weiß- und auch Schwarzblech an 12 Walzstraßen.

Mit dem Ausbau des Warmwalzwerkes von 12 auf 16 Walzstraßen wurden zur Weiterverarbeitung die Beiz- und Glühereianlage gebaut (1914/15). Während des 1. Weltkrieges mussten wegen Mangels an Arbeitskräften Frauen und Kriegsgefangene eingestellt werden. Die Bleche wurden für Armeekonservendosen hergestellt. 1917 kam es zu einem durchgreifenden Umbau des Warmwalzwerkes.

Karl Grosse wurde zum Generaldirektor und Leiter des Weißblechwalzwerkes ernannt und 1920 wurde ihm von der RWT- Hochschule Aachen der Grad eines Doktor-Ing.-Ehrenhalber verliehen.

Seit 1933 waren die Alfredhütte und das Weißblechwerk Wissen mit anderen Werken im Siegerland zu den Hüttenwerken Siegerland AG Siegen zusammengeschlossen. Direktor Ludwig Patt unternahm 1936 studienhalber seine zweite Amerikareise, die dem Bau der Kaltwalzanlage vorausging.

Von den im Deutschen Reich 1937 hergestellten 267 000 to Weißblech kamen alleine 41% = 109 000 to aus Wissen. Fast 3 000 Mitarbeiter beschäftigte das Werk Wissen, das als das größte und modernste seiner Zeit in ganz Europa galt. Jedoch: Die am Werk vorbeifließende Sieg war zu dieser Zeit bis Dattenfeld rot gefärbt. Die eingeleitete Säure führte zu massivem Fischsterben und das Eisensalz zum Absterben der Fauna. Erste moderne Kläranlagen wurden 1930 errichtet. Im Jahr zuvor legte man einen Säureteich auf dem Sandberg (Schlackenhalde) zum Verrieseln im Schlackensand an.

Auf dem Alserberg wurde am 10.08.1938 der erste Spatenstich für die Siedlergemeinschaft Moselland vorgenommen. Einen Großteil der 40 neuen Häuser bewohnten nach der Fertigstellung Hütten- und Walzwerksarbeiter.

Das neue Kaltwalzwerk- mit den technischen Anlagen Bandbeize, Bandentfettung, Haubenglüherei, Reversier- und Dressiergerüst- wurde am 17. Mai 1939 in Betrieb genommen.

Nach dem Beginn des 2. Weltkrieges (1. Sept. 1939) wurden viele Arbeitskräfte eingezogen. Über 1500 ausländische Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangene aus 8 europäischen Ländern- untergebracht im Barackenlager „Union II“ auf der Bornscheidt in Schönstein- mussten von 1940 bis 1945 im Hochofen- und Weißblechwerk für die zum Kriegsdienst abkommandierten Männer Schichtdienst leisten. Die Wissener Schützenhalle in der Köttingsbach wurde vom Weißblechwerk für den weiblichen Arbeitsdienst angemietet.

Besonders ab Oktober 1944 waren die Bombardierungen und Fliegerangriffe so heftig und zahlreich geworden, dass Hochofen- und Walzwerk im Dezember stillgelegt werden mussten. Mindestens 66 im Barackenlager auf der Bornscheidt internierte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter/innen waren im Laufe der Kriegsjahre durch Luftangriffe, Erschießungen, Krankheiten und Entkräftung ums Leben gekommen. In der letzten Märzwoche 1945 wurde das Lager aufgelöst.

Anfang April 1945 nahmen amerikanische Einheiten nach teils heftigen Kämpfen gegen versprengte deutsche Truppen ganz Wissen in Besitz; Ab 10. Juli wurden die Amerikaner von den französischen Besatzungstruppen im Kreisgebiet abgelöst.

Ab Juli 1946 wurde im Warmwalzwerk wieder an zwei Straßen gewalzt. Unter dem alten Namen Hüttenwerke Siegerland AG firmierte 1952 eine Einheitsgesellschaft, die sechs Werke in Wissen, Niederschelden, Eichen, Attendorn, Langenei und Hüsten betrieb. Diese HWS AG war der größte Produzent seiner Branche in ganz Deutschland- mit 7 327 Mitarbeitern.

Eine technische Neuerung war ab 1956 die Installation einer elektrolytischen Bandverzinnung.

Das als „Knochenmühle“ verschriene Warmwalzwerk stellte seine Walzungen 1962 ein.

Als die Dortmund - Hörder Hüttenunion AG die Aktienmehrheit der HWS AG übernommen hatte, kam es 1961 zu einem Organvertrag. Die Hüttenwerke Siegerland AG wurden 1969 in die Hoesch AG eingegliedert; ab 1972 war der neue Firmenname „Estell Siegerland AG“, nachdem die Hoesch AG und die Niederländischen Hoogovens die neue Gesellschaft Estell NV Nimwegen gegründet hatten.

Nach den höchsten Erzeugerzahlen von Rohblech und Weißblech, elektrolytisch und feuerverzinkt (1973/74), zwangen Rationalisierungsmaßnahmen ab 1975 zu stetiger Reduzierung der Belegschaft. Auch die Stahlkrise in den 1980er-Jahren führte zu einem merklichen personellen Abbau.

Am 15.09.1986 wurde das Weißblechwerk (Kaltwalzwerk mit Nebenbetrieben) stillgelegt. Anfang 1989 begannen die Chinesen unter der Leitung der Firma Mannesmann das Kaltwalzwerk zu demontieren und im April nach Anshan im Nordosten von China zu verfrachten. Im Dezember 1992 war die Fusion der Konzerne Krupp AG (Essen) und Hoesch Stahl AG (Dortmund) endgültig perfekt. Der Aufsichtsrat beschloss, den Stahlstandort Wissen zum 30.06.1995 zu schließen. Die letzten Beschäftigten der Bandverzinnung kamen in den Werken Eichen und Ferntal im Siegerland und bei Rasselstein (Neuwied) unter.

Weißblechwerk unter der Führung von Hoesch AG um 1969

Foto: Archiv VG

Direktor der letzten Pfase von 1988-1995 war Ludwig Schütz. Seine Vorgänger waren- im zeitlichen Rücklauf- Dr. Hans Kettler, Josef Kleff, Erich Schneider, Dr. Erich Schauff, Fritz Kiel, Ludwig Patt, Heinrich Generotzky, Generaldirektor Dr. Karl Grosse.

In der Folgezeit (1995-2002) der Ära Weißblechwerk Wissen war der Stahlstandort eine Industriebrache, die zur Thyssen-Krupp Immobilien GmbH gehörte. Dank der im Jahre 2000 ins Leben gerufenen Zukunftsschmiede und des Arbeitskreises Kultur und nach Kauf des ehemaligen Werkes II durch Spedition Brucherseifer sowie Umbau- und Sanierungsmaßnahmen konnten in der Folgezeit Veranstaltungen jeder Art in der Halle der Industriekultur durchgeführt werden. Der Förderverein KulturWERKwissen und die Wissener Eigenart sorgen bis dato mit dafür, dass jährlich circa 40 000 Personen die Multifunktionshalle, das Kulturwerk, aufsuchen.