Solange man sich in Welschneudorf zurückerinnern kann, war der Westerwälder Hof in der Bad Emser Straße an der Einmündung zur Arzbacher Straße eine feste Größe im dörflichen Leben und im allgemeinen Sprachgebrauch seit jeher als „Weisbruds Wirtschaft“ bekannt. Bis heute sagte man auch: „Ich gehe ‚bei de Berthold‘ einen trinken.“ Und das, obwohl dieser bereits seit 1997 verstorben ist.
Doch nicht immer war der Westerwälder Hof der Westerwälder Hof und „Weisbruds Wirtschaft“ nicht immer „Weisbruds Wirtschaft“. Zuvor handelte es sich über 100 Jahre lang um das „Gasthaus Dommermuth“, wie viele Bilddokumente eindrucksvoll belegen. Namensgeber war Ende des 18. Jahrhunderts der aus einer Köhlerfamilie stammende Peter Dommermuth. Die Familie Dommermuth gehörte im 19. Jahrhundert zu den prägenden Familien in Welschneudorf. Sie ist in der Köhlerei zu einem gewissen Wohlstand gelangt und stellte über mehrere Generationen Schultheiße und Bürgermeister im Ort. Nachdem Peter Dommermuth im Jahre 1845 im für damalige Verhältnisse stolzen Alter von 78 Jahren verstorben war, wurde die Gastwirtschaft von dessen gleichnamigen Sohn Peter Dommermuth jun. weitergeführt. Auch er wurde seinerseits 77 Jahre alt und war nicht nur Gastwirt, sondern fungierte auch als Nachfolger seines älteren Bruders Johann lange Jahre als Bürgermeister von Welschneudorf. Bereits ihr Vater Peter der ältere wurde als Mitglied im Kirchenvorstand geführt. 1875 ging das Gasthaus Dommermuth schließlich in dritter Generation an Jacob Dommermuth über. Dieser starb jedoch bereits 1895 ohne Nachfolger und so wurde das Gasthaus um die Jahrhundertwende zum ersten Mal von dessen Witwe an den aus Bad Ems stammenden Gastwirt Johann Weisbrod verkauft und in „Westerwälder Hof“ umbenannt. Sohn Josef Weisbrod genannt ‚Jusseb‘ heiratete Wilhelmina Christina ‚Lina‘ Scheuern aus Hömberg und Tochter Rosa den aus Welschneudorf stammenden Paul Billaudelle. Josef und Paul waren in etwa gleich alt und kehrten beide nicht aus dem zweiten Weltkrieg zurück. Nachdem auch Johann Weisbrod bereits 1941 an einem Kehlkopfleiden verstorben war, führten die beiden Schwägerinnen Lina und Rosa kurzer Hand den Westerwälder Hof mit „Frauen-Power“ als Familienbetrieb weiter. Später ging dieser dann an Rosas Sohn Berthold Billaudelle über, der die Gaststätte um eine Bäckerei erweiterte. Auch nach Bertholds Tod blieb der Westerwälder Hof bei seiner Schwester Elsbeth Lenz im Familienbesitz.
Doch nochmals zurück zu den Anfängen: Genau genommen war auch das Gasthaus Dommermuth nicht immer das Gasthaus Dommermuth. Der erste nachweisliche Wirt in Welschneudorf war seit etwa Mitte der 1780er Jahre Johann Gilles, der mit einer Schwester des besagten Peter Dommermuth sen. verheiratet war. Sowohl die „Gillese“ als auch die „Dommermuths“ gehörten zu den alteingesessenen Welschneudorfer Köhler-Familien. In der Köhlerei musste man sich aufeinander verlassen können und war gewohnt, rund um die Uhr Hand in Hand zusammenzuarbeiten. Und so wurde wohl auch die Gaststätte in der Großfamilie gemeinsam betrieben. Johann und Elisabeth Gilles hatten insgesamt zehn Kinder, von denen einige früh starben und bei einigen der Verbleib unklar ist. Bei zwei Töchtern lässt sich nachvollziehen, dass sie selbst jeweils in eingesessene Wirts-Familien in Arzbach einheirateten. Da von den zehn Kindern offensichtlich keines als Nachfolger für die Gastwirtschaft übrigblieb, wurde diese daher zu guter Letzt von Schwager Peter Dommermuth weitergeführt.
Nachdem der Gaststättenbetrieb somit quasi zweimal über jeweils 120 bis 130 Jahre durch die Familien Gilles/Dommermuth bzw. Weisbrod/Billaudelle/Lenz aufrechterhalten wurde, wurde der Westerwälder Hof in diesem Jahr schließlich zum zweiten Mal verkauft. Wir alle werden viele gemütliche Stunden auf dem „Saal“ an Rosenmontag oder beim Stiftungsfest in bester Erinnerung halten. Unvergessen ist auch Alfons‘ Krustenbraten im Rahmen von unzähligen Familienfeiern. Über lange Jahre war der „Saal“ Mittelpunkt für hunderte von Probenstunden der Welschneudorfer Gesangvereine, zeitweise fungierte er während der Renovierung unserer Kirche übergangsweise sogar etliche Monate als Gotteshaus. Hier wurden Hochzeiten gefeiert und bei Beerdigungen Abschied genommen. 1948 kam es der Überlieferung nach während der französischen Besatzungszeit nach dem Krieg an Kirmes sogar zu einer handfesten Messerstecherei zwischen den Welschneudorfer Kirmesjungen und einquartierten polnischen Arbeitern. Und wer weiß, was sich in den 180 Jahren davor noch alles auf dem Saal ereignet haben mag.
Wenn nun also mit der Gaststätte rund 250 Jahre Dorfgeschichte zu Ende gehen werden, bleibt zumindest die Gewissheit, dass das Gebäude der Dorfgemeinschaft auch künftig in unserem Dorfmittelpunkt in einer tragenden Funktion erhalten bleiben wird.
Somit endet eine Epoche, eine Legende in Welschneudorf. Wir danken von Herzen der Familie Lenz für das Geleistete, das Engagement, das Herzblut und die vielen schönen Stunden in diesem ehrwürdigen Gebäude über viele Jahrzehnte. Wir wünschen Alfons, Rosel und Oggi für ihren verdienten Ruhestand alles erdenklich Gute und noch viele glückliche und gesunde Jahre.
Gleichzeitig danke ich aber auch den neuen Eigentümer für ihre Pläne, das Altgebäude zu erhalten und wünsche ihnen viel Glück bei der Umsetzung.
Zuletzt danke ich Torsten Schwarz für die geschichtliche Aufarbeitung dieses Beitrages.