Einleitung
Streuobstwiesen waren über viele Jahrhunderte ein landschaftsprägender Aspekt unserer dörflichen Strukturen. Auf historischen Fotos der Ortschaften bildeten die Obstbäume rund um die Ortskerne verstreut wertvolle Kulturflächen mit doppeltem Nutzen. In der Oberschicht waren es die Obstbäume, verschiedenste Arten und Sorten in unterschiedlichen Altersstufen. Die Unterschicht nutzte man als Weideland, als Mähwiese oder auch als Ackerland und Garten. Kurzum bezeichnet die Streuobstwiese die Form eines extensiven Obstbaus mit großwüchsigen Obstbäumen (=Hochstämmen) und weiten Pflanzverbänden.
Zur Obstbaumkultur in Europa
Nachweislich brachten die Römer vor mehr als zweitausend Jahren Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen neben einigen anderen Obstarten in unsere Region. Gepflanzt wurden die süßen Früchte im unmittelbaren Rand der Siedlungen, kurze Wege erleichterten die Pflege und Ernte. Außerdem hatte man das wertvolle Nahrungsmittel im Blick, um es vor Diebstahl oder tierischer Konkurrenz zu schützen. Kaiser Karl der Große förderte den Obstbau und stellte damit eine Säule zur Ernährung der Bevölkerung sicher. Später waren es die kirchlichen Orden, die viel Wissen zur Sortenwahl und der Pflege der Obstbäume sammelten und an die Bevölkerung weitergaben. Allseits bekannt ist das Zitat von Martin Luther: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Das Zitat mit durchaus unterschiedlichen Möglichkeiten der Interpretation verweist auf die hohe Bedeutung des Obstanbaus in dieser Zeitepoche. Gesetze der adligen Herrschaften zur Förderung und dem Schutz von Obstbäumen verpflichteten die Bevölkerung im Mittelalter zu bestimmten Anlässen (Heirat, Geburt) Obstbäume zu pflanzen. Über Generationen wurden solche Verpflichtungen bis in die Jetztzeit übertragen, wobei heute die Bäume von den Gemeinden für freudige Anlässe zur Verfügung gestellt werden. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung im 19. Jahrhundert wechselte die Nutzung des Obstes zunächst von der Selbstversorgung hin zur Handelsware. Ihre Blüte erlebten die Streuobstwiesen in der Zeit der vielen kleinbäuerlichen Betriebe bis nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Form der klassischen „Zweischicht-Nutzung“. Das ab dieser Zeit starke Anwachsen der Bevölkerung leitete zusammen mit der Stadtflucht das Ende der Streuobstwiesen ein. Das Nahrungsmittel Obst wird seitdem in riesigen Plantagen produziert und die Streuobstwiesen sind zumeist in begehrtes Bauland umgewandelt. Der Gedanke des Natur- und Artenschutzes und das Wissen um die Biodiversität wagen heute wieder den Schritt zurück. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und durchaus nachvollziehbar und werden in weiteren Kapiteln erläutert.
Eine zeitliche Herausforderung für Nutzung und Biodiversität
Bei der Anlage einer Streuobstwiese sollte man sich über lange Zeitspannen von der Pflanzung bis zur Erntephase bewusst sein. Für die Entwicklung von Hochstämmen bis zur ersten Ernte des Obstes bedarf es eines Zeitfensters von zehn bis 15 Jahren. Danach beginnt die Ertragsphase, je nach Pflege der Bäume erstreckt sie sich über mindestens 40 Jahre. Erst ab diesem Zeitpunkt zeigen sich die ersten Strukturen der Biodiversität an den Bäumen. Totholz, grobe Rindenstrukturen und Flechten bieten Lebensraum für verschiedene Tierartengruppen. Voraussetzung ist eine ökologische Pflege der Bäume sowie die sorgsame Behandlung des Bodens als deren Lebensgrundlage. Heimische Obstsorten können durchaus hohe Lebensalter von über 100 Jahren erreichen. Im Idealzustand verfügt die Streuobstwiese über einen stufigen Aufbau von Bäumen verschiedener Altersklassen.