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Unsere Verbandsgemeinde Selters Ww
Ausgabe 36/2024
Amtliche Bekanntmachungen
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Der Umweltbeauftragte informiert: Genetische Vielfalt

Mönchsgrasmücke.

Bei der Betrachtung der drei Säulen der biologischen Vielfalt soll in diesem Beitrag auf die genetische Vielfalt (= genetische Diversität) eingegangen werden. Genetische Diversität steht für die Vielfalt der Erbanlagen von Individuen und Populationen einer Art. Sie ist vererbbar und zeigt sich ursächlich für Veränderungen innerhalb der Arten, ja sogar für das Entstehen neuer Arten. Zumindest einige Organismen können sich an Einflüsse der Umwelt anpassen, wie z.B. Fressfeinde, Krankheitserreger oder auch Trockenheit und Temperatur.

Im Jahr 1992 haben die Vereinten Nationen (UN) eine eigene Definition für die genetische Vielfalt gefunden als „die Variation in der Menge genetischer Informationen innerhalb und zwischen Individuen einer Population, einer Art, einer Ansammlung oder einer Gemeinschaft.“

Genetische Forschung wird in den Bereichen der Pflanzen- und Tierwelt betrieben. So haben für den Bereich der Bäume unserer Wälder Bund und Länder ein Konzept zur Erhaltung der Genressourcen und Saatgut rechtlich verankert. Zuständig für die Forschungsarbeiten sind die forstlichen Versuchsanstalten der Bundesländer. Beim aufmerksamen Beobachten von Waldbäumen wie zum Beispiel einer Rotbuche fallen dem Waldbesucher unterschiedliche Kronen- oder Stammformen, unterschiedliche Vitalität und Wachstumsdynamiken auf. Liegt die Ursache dieser individuellen Unterschiede von Bäumen einer Art einzig in den waldbaulichen Aktivitäten des Waldbewirtschafters? - Unter natürlichen Bedingungen wären große Teile Deutschlands mit Laubwäldern bestockt, dominiert von der Baumart Rotbuche. Auffällig ist ihre große Standortamplitude von den Sandböden am Strand der Ostsee bis auf 1.400 m in den Alpen, von kalkhaltigen Böden bis zum bodensauren Milieu. Handelt es sich dabei immer um die gleiche Art Rotbuche? - Unterschiede an Bäumen der gleichen Art werden insbesondere von den Erbanlagen gesteuert, die Informationen für verschiedene Eigenschaften und Lebensvorgänge enthalten. Unsere Waldbäume zeichnen sich dadurch aus, dass sie hohe Lebensalter erreichen können. Allerdings sind sie zeitlebens an einem Ort fixiert. Quasi als Ausgleich sind die Bäume gegenüber anderen Organismen mit einer großen Vielfalt von Erbanlagen ausgestattet. Diese Vorteile nutzen die Bäume, um zum Beispiel auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren und damit das Überleben der einzelnen Art zu sichern. Für den Erhalt der genetischen Vielfalt der Bäume spielt die natürliche Verjüngung des Waldes eine wesentliche Rolle.

Um sich vor Fressfeinden zu schützen, können Pflanzen spezielle Substanzen (z.B. Terpene) bilden, die als Toxin oder Fraß-Hemmstoff wirken (Ausstoßen von Baumharzen beim Befall durch Borkenkäfer). Pflanzen sind auch in der Lage, Gene zu aktivieren, die entfernt an menschliche Eigenschaften erinnern. Sie senden Botenstoffe ober- und unterirdisch aus, die Nützlinge anlocken, um bedrohliche Schädlinge zu fressen. Solche Erkenntnisse sollten beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Berücksichtigung finden.

Ein Beispiel der genetischen Vielfalt aus dem Tierreich. Von den etwa 240 Brutvogelarten Deutschlands verlässt ein Teil der Population im Winterhalbjahr als Zugvogel das Brutgebiet, andere Arten verbleiben ganzjährig in ihrem Brutgebiet. Als Ausnahme von der Regel haben einige Vogelarten eine geänderte Strategie zum sogenannten Teilzieher entwickelt. Beispielhaft wurde ein geändertes Zugverhalten an der Singvogelart Mönchsgrasmücke untersucht. Der einstmalig reine Zugvogel hat in verschiedenen Schritten Populationen von Zugvögeln, Teilziehern und Standvögeln ausgebildet. Klärungsbedarf bestand in der Frage, ob diese unterschiedlichen Zugverhalten genetisch bedingt sind.

Durch die Handaufzucht von Mönchsgrasmücken und einer Kreuzung von ziehenden und nicht ziehenden Mönchsgrasmücken konnten einzelne Zugverhalten selektiert werden. Diese genetischen Veränderungen des Zugverhaltens ermöglichen dem Singvogel eine Anpassung an andere Umweltbedingungen. Die im Brutrevier verbleibenden Mönchsgrasmücken brauchen nicht mehr längeren Frostperioden ausweichen, in denen das Nahrungsangebot knapp wird. Nicht im Winterhalbjahr abziehende Mönchsgrasmücken haben gegenüber den Zugvögeln den Vorteil, dass sie schon frühzeitig die besten Brut- und Nahrungsreviere aussuchen und besetzen können. Viele unserer Zugvögel treffen zu einem Zeitpunkt aus den Überwinterungsgebieten in den Brutgebieten ein, in dem ein günstiges Nahrungsangebot vorliegt. Üppige Nahrung finden die Insekten fressenden Vogelarten nach dem Laubausbruch der Wälder, wenn diverse Raupen-Fraßgesellschaften sich über das frische Grün hermachen. Durch die Veränderung des Klimas verfrüht sich allerdings der Zeitpunkt des Laubausbruches, die Phase des großen Nahrungsangebots ist beim Eintreffen von weit ziehenden Vogelarten vorbei (sog. Mismatch). Daraus folgende Szenarien wären ein Anstieg der Population von Standvögeln, ein mögliches Verdrängen von Langstreckenziehern oder genetische Veränderungen der Arten durch eine stärkere Entwicklung vom Zug- zum Standvogel.

Jeder Organismus weist zumindest kleine Abweichungen zu seinen Artgenossen auf. Diese genetische Diversität erlaubt es den einzelnen Arten, sich an die Veränderungen der Umwelt anzupassen und sichert damit den Fortbestand einer Population.

Joachim Kuchinke,
ehrenamtlicher Umweltbeauftragter
der Verbandsgemeinde Selters