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Unsere Verbandsgemeinde Selters Ww
Ausgabe 38/2024
Amtliche Bekanntmachungen
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Der Umweltbeauftragte informiert: Artenvielfalt

Rebhuhn

Zur Erläuterung der Biodiversität wurden in den vorangegangenen Umweltinformationen die Teilaspekte der Biodiversität und der genetischen Vielfalt erläutert. Abschließend lohnt ein Blick auf die Artenvielfalt an Tieren, Pflanzen, Pilzen, Flechten und Mikroorganismen. Beeindruckend sind die regionalen Unterschiede in der Anzahl der Arten. So zählen wir in unseren heimischen Wäldern knapp 80 unterschiedliche heimische Baumarten während in den tropischen Regenwäldern die Artenerfassung noch nicht abgeschlossen ist. Man geht dort von mindestens 40.000 unterschiedlichen Baumarten aus. Diese großen Unterschiede resultieren aus dem gegensätzlichen Klima, im intakten Tropenwald geprägt durch Feuchtigkeit und Wärme. In unserem mitteleuropäischen Raum, geprägt von einem gemäßigten Klima begrenzen noch immer die letzten Eiszeiten das Arteninventar der nicht mobilen Arten.

Als wesentlicher Baustein der Biodiversität ist die Vielfalt der Arten Voraussetzung für ein funktionierendes Ökosystem und ein Prädikat für die Landschaftsqualität. Jeder Ausfall, auch der von einer einzigen Art beeinflusst das gesamte System - mit unbekanntem Ausgang. Andererseits zeugt es von Ignoranz, wenn bei Störungen eines Ökosystems die Ursache bei einer einzelnen Art festgemacht wird.

Die Zerstörung von Lebensräumen, die Umweltverschmutzung, die geänderte Landnutzung, die Veränderung des Klimas und eine Verbreitung von invasiven Arten verursachen ein durch uns Menschen zu verantwortendes Artensterben. Über den Zustand unserer Natur informieren die „Roten Listen“. Als Fieberthermometer unserer Umwelt geben sie darüber Auskunft, welche Arten besonders gefährdet sind. Um die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Artenschwundes abzubremsen bedarf es intensiver und konkreter Maßnahmen zum Schutz der Natur. Rote Listen existieren sowohl als globale Listen, aber auch heruntergebrochen auf die lokale Ebene als Rote Listen der einzelnen Bundesländer wie die Roten Listen von Rheinland-Pfalz,

https://lfu.rlp.de/natur/artenschutz/rote-listen.

Bei der genaueren Betrachtung der Korrelationen zwischen den gefährdeten Arten und ihren Lebensräumen fällt auf, dass in ihrem ursprünglichen Zustand stark veränderte Biotope die größte Anzahl der gefährdeten Arten aufweisen. Umgekehrt sollte man beim Verschwinden von Arten den Grund in der Beeinträchtigung ihrer Lebensräume suchen. Durch über viele Jahrzehnte durchgeführte regelmäßige Kartierungen zeigen die Roten Listen unserer Vogelarten die geschilderte Problematik auf. Diese Listen werden regelmäßig fortgeschrieben und aktualisiert. Quantitativ die meisten gefährdeten Arten aus der Avifauna finden sich in unserem heimischen Naturraum bei den Offenlandarten der landwirtschaftlichen Nutzflächen (Veränderung durch Flächenverluste und Intensivierung der Bewirtschaftung). Selten geworden sind Offenlandarten der Fauna wie das Rebhuhn, die Feldlerche und der Feldhamster oder Wildpflanzen unserer Kulturlandschaften wie Kornrade und Arnika.

Einen auffälligen Artenrückgang gibt es bei Arten der Sonderstandorte wie z.B. Tongruben (kurzzeitige Nutzungsänderung) und bei den Arten der Binnengewässer (Beeinträchtigungen durch Klimaveränderung, durch Eutrophierung, Freizeitnutzung). Einzig die Waldarten weisen stabile Bestände auf, wobei auch hier zumindest regional große Veränderungen stattgefunden haben, die sich erst in den kommenden Roten Listen widerspiegeln. Das klimabedingte Absterben von Wäldern hat bei den Nadelbaumarten insbesondere der Baumart Fichte begonnen. Hier ist mit einem Artenrückgang von auf Koniferen geprägten Nahrungsspezialisten zu rechnen. Bei einer Fortsetzung von langen trockenen und zu warmen Witterungsperioden in der Vegetationszeit werden sich Schäden bei vielen anderen Baumarten zeigen. Eine höhere Anfälligkeit gegenüber dem Klimastress zeigen Bäume in den höheren Altersklassen. Der Weg von einem Rückgang von selbst häufigen Arten bis zu ihrem gänzlichen Verschwinden kann sich in kurzen Zeiträumen abspielen. Eine solche leidvolle aber sehr genau dokumentierte Geschichte hat sich Ende des 19. Jahrhunderts / Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA zugetragen. Es ist die Geschichte von der Wandertaube, einst die mit Abstand häufigste Vogelart auf dem amerikanischen Kontinent. Noch im Jahr 1866 wurde der über 14 Stunden durchziehende Schwarm der von den Brut- in die Überwinterungsgebieten Wandertauben auf über drei Milliarden Vögel geschätzt. Mit der Erschließung entlegener Gebiete durch die Eisenbahn, Zerstörung der Nahrungs- und Brutwälder durch Holznutzung sowie eine unkontrollierte Bejagung wurde der Niedergang der Tauben eingeläutet. Organisierte Taubenjäger haben im Jahr 1878 allein in Wisconsin mehr als 10 Millionen Tiere erlegt. Die Fleischberge wurden vor allem in den Städten vermarktet. Im Jahr 1896 waren von den ehemals Milliarden Tauben noch etwa 250.000 übrig. Dieses war der letzte große Schwarm der Wandertaube den man im gleichen Jahr in Ohio fast gänzlich eliminiert hat. Am 24.03.1900 wurde die letzte freilebende Wandertaube ebenfalls in Ohio erlegt. 14 Jahre später, am 01.09.1914 starb im Zoo von Cincinnati „Martha“, die letzte ihrer Art, im Alter von 29 Jahren. Noch heute gilt „Martha“ als Symbol für den Artenschwund in den USA. Versuche von Nachzuchten schlugen seinerzeit fehl.

„Martha`s“ Geschichte zeigt beispielhaft den Zusammenbruch einer riesigen Population einer Art durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren. Heute kann so etwas nicht mehr passieren? Leider doch, werfen sie einen Blick auf die umfangreichen Roten Listen der verschiedensten Arten. Der Erhalt und die Wiederherstellung der Biodiversität sind ein elementarer Baustein für unsere Artenvielfalt.

Joachim Kuchinke
ehrenamtlicher Umweltbeauftragter
der Verbandsgemeinde Selters