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Wäller Wochenspiegel - Anzeiger für die Verbandsgemeinde Westerburg
Ausgabe 46/2024
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Oma Gertrud und der Volkstrauertag

Meine Oma Gertrud war eine lebenslustige und starke Frau. Sie war gesellig, offen, hat gerne gesungen, konnte stundenlang erzählen und sie hat gerne und viel gelacht. Richtig herzlich konnte sie lachen - übers ganze Gesicht mit strahlenden Augen. So hab ich sie erlebt, und so behalte ich sie auch in meinem Herzen solange ich lebe.

Bei einem Thema jedoch wurde ihr Gesicht wie versteinert, ernst, traurig und das Strahlen in den Augen war von jetzt auf gleich weg: „Krieg - das ist das Schlimmste, was es gibt. Das darf es nie wieder geben!“, sagte sie oft. Und schon als kleines Kind spürte ich, dass es ihr damit ernst war - todernst.

Oma Gertrud, Jahrgang 1924, war in Stahlhofen am Wiesensee aufgewachsen, in der Nachkriegszeit des 1. Weltkrieges und hat die Schrecken des 2. Weltkrieges als Jugendliche miterlebt.

Oft erzählt wurde bei uns zuhause von den jungen Männern aus dem Dorf und den Nachbardörfern, die in den Krieg gezogen waren. Einige von ihnen kamen irgendwann zurück, verändert, tief geprägt von den quälenden Erlebnissen. Von einigen hörte man einfach nichts mehr. Viele waren „gefallen“, gestorben, erschossen, verhungert, weggebombt. Unermessliches Leid, Angst, Todesangst, Schmerzen, unendliche Trauer in den Familien, Verzweiflung, Tränen…

Und heute? Die Omas und Opas, die noch authentisch von den Schrecken der Kriege bei uns erzählen können, werden immer weniger. Die Menschen, die sich am Volkstrauertag an den Denkmälern versammeln, auch.

Darum erzähle ich euch hier von meiner Oma - und zwar von ihrer ernsten Seite, von ihrer Botschaft an uns. Dabei denke ich an das Leid von damals, denke an die vielen Opfer von Krieg und Gewalt, von Hass und Intoleranz. Denke an die, die auf den Schlachtfeldern ihr Leben gelassen haben. Denke an die, die vertrieben, entrechtet, gequält, umgebracht wurden, weil sie anders aussahen, anders geglaubt, geliebt, gelebt haben. Natürlich habe ich dabei die Bilder der heutigen Kriege weltweit vor Augen, denke an das unermessliche Leid jetzt und heute, das Menschen sich gegenseitig zufügen.

Wenn ich an meine Oma denke, fühle ich die Verantwortung, mich in meinem Leben für Mitmenschlichkeit, Toleranz und Demokratie einzusetzen. Ich hoffe sehr, dass diejenigen, die große Verantwortung tragen in Gesellschaft und Politik, hierzu gute und richtige Wege finden - zum Wohl aller Menschen. Und ich bitte Gott für uns alle um seine spürbare Nähe, seine Hilfe und seinen guten Segen.

Maic Zimmermann, Evangelischer Pfarrer im WällerLand